Demokratiebildung und -stärkung wird für Bibliotheken und Bibliothekspolitik zu einem immer wichtigeren Handlungsfeld. Um einige Beispiele zu nennen: Auf EU-Ebene befasst sich seit Anfang 2024 eine Expertenarbeitsgruppe mit den Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten von Bibliotheken. Sie soll entwickeln, wie Bibliotheken eine stärkere gesellschaftliche Rolle spielen können, »for instance: democracy building, fighting disinformation and citizen engagement in libraries« (Mandatspapier der EU-Kommission für die OMC-Arbeitsgruppe). In die gleiche Richtung zielt das Eckpunktepapier für ein Bibliotheksgesetz in Berlin. Dort heißt es: »Als wichtige Orte der Demokratie und politischen Bildung bieten sich Öffentliche Bibliotheken als Plattform für gesellschaftliche Debatten und Diskurse an.« (Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, 2023)
In Bibliotheken selbst zeichnet sich eine breite Auseinandersetzung mit Fragen der Demokratieförderung ab, die ganz unterschiedliche Formate hervorbringt. In der Stadtbibliothek Eisenach wurde Anfang des Jahres ein »Demokratieregal« eröffnet. Die Stadtbibliothek Ratingen bietet Lesungen für Kinder und Jugendliche an. Das Buch der Lesung »Demokratie-Geschichten von Ali und Anton« stammt aus der Feder des Bibliotheksleiters selbst. Diskussions- und politische Bildungsveranstaltungen oder Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren sind weitere Formate in Bibliotheken.
Desinformation und politischer Kulturkampf
Bibliotheken reagieren auf mindestens zwei unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen. Die drohende Klimakrise, der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Phase der Pandemie haben gesellschaftlichen Zusammenhalt und politische Integration vor große Herausforderungen gestellt. In der medial bekannt gewordenen »Querdenker-Studie« (Frei/Nachtwey 2021) haben Nadine Frei und Oliver Nachtwey 2021 nachgezeichnet, wie sich bislang disparate Lager in einem gemeinsamen Protestmilieu formiert haben. Das Verbindende identifiziert der Konstanzer Zeithistoriker Sven Reichardt im ausgeprägten Misstrauen gegenüber Medien und dem politischen System und spricht daher von »Misstrauensgemeinschaften«. Extreme Formen von »science denialism«, die rigorose Ablehnung von Expertinnenwissen und wissenschaftlicher Politikberatung sind Weggefährten politischer Konflikte der letzten Jahre. Für Bibliotheken ergeben sich daraus besondere Herausforderungen in ihren Kernarbeitsbereichen, der Stärkung von Medien- und Informationskompetenz.
Politik- und Kulturwissenschaftler wie Andreas Reckwitz und Wolfgang Merkel beschreiben zweitens eine Polarisierungsdynamik zwischen zwei Lagern jenseits von links und rechts. Demzufolge lassen sich die Pole eines kosmopolitischen, urban verankerten Milieus und ein von Orientierungen des »Verteidigens« und »Bewahrens« bestimmtes Milieu in ländlich geprägten Regionen ausmachen. Kleine »Triggerpunkte« (Steffen Mau) genügen, um aus feinen Rissen im zivilgesellschaftlichen Gefüge Sollbruchstellen zu machen. Eine Kinderlesung zweier Drag Queens wurde 2023 in München auf diese Weise zum Auslöser eines sich über Wochen hinziehenden Konflikts im aufgeheizten bayerischen Wahlkampf. Proteste, eine Gegendemonstration und ein Polizeieinsatz vor den Türen der Bibliothek waren das Ergebnis. Gleichwohl sind Bibliotheken in Deutschland noch nicht in vergleichbarer Weise Brennpunkt eines politischen Kulturkampfes wie in den USA. Die American Library Association berichtet, dass 2023 in öffentlichen und Schulbibliotheken Anstrengungen unternommen wurden, 4.240 Buchtitel aus den Beständen zu verbannen.
Bibliotheken als Begegnungsräume und Orte der Demokratiebildung
Bibliotheken sind damit auf mindestens zwei Ebenen demokratiepolitisch gefordert: als Orte der Aufklärung und als Orte des Dialogs. Große öffentliche Bibliotheken in städtischen Regionen haben längst mit ausdifferenzierten Angeboten der Demokratiebildung reagiert, kooperieren mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, greifen gesellschaftliche Konfliktthemen differenziert auf und entwickeln sich zu wichtigen Orten lagerübergreifender, gesellschaftlicher Selbstverständigung in ziviler Atmosphäre.
Mit besonderen Herausforderungen sehen sich vor allem kleine Bibliotheken in ländlichen Regionen konfrontiert. Das Ziel, Angebote der Demokratieförderung aufzusetzen, sieht sich in vielen Fällen mit der Realität überlasteter Personalkapazitäten konfrontiert. Aus diesem Grund hat der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) das Programm Land.schafft.Demokratie aufgesetzt. In der zweiten, 2024 anlaufenden Programmphase werden 15 Bibliotheken in Gemeinden mit maximal 30.000 Einwohnern gefördert. Während der Projektlaufzeit entwickeln diese mit Unterstützung der bpb Angebote zur Demokratieförderung für ihre Region. Dazu gehören Lesungen und Diskussionsrunden zu aktuellen Themen. Ein zweites Element von Land.schafft.Demokratie besteht aus digitalen Trainings, die Bibliotheksmitarbeitende in verschiedenen Themenfeldern rund um die demokratiestärkende Bibliotheksarbeit weiterbilden und sie dazu befähigen, eigenständige Formate zur Demokratieförderung umzusetzen.
Bibliotheken machen sich damit auf den Weg, neben zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren zu einer weiteren Säule der Demokratieförderung zu werden.