Dieser Beitrag entsteht wenige Tage, bevor die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union ihr neues Parlament wählen. Mehr Freiheit und Möglichkeit zur Mitgestaltung dieses Kontinents hat es in dessen Geschichte nie gegeben. Und doch ist in diesen Zeiten vieles, um nicht zu sagen alles anders: Zahlreiche geopolitische Herausforderungen, gesellschaftliche Veränderungen und wirtschaftliche Krisen prägen die politische Lage. Die Wahlen zum Europaparlament sowie in den ostdeutschen Bundesländern in diesem Jahr werden damit zu einem Gradmesser für die Demokratie in Europa und Deutschland.

Vor wenigen Tagen haben wir den 75. Geburtstag unserer Verfassung gefeiert. Das Grundgesetz ist das wichtigste Dokument unseres demokratischen Selbstverständnisses. Es steht nicht nur für den Schutz der individuellen Freiheitsrechte, es ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern auch die Mitwirkung in einer pluralistischen Gesellschaft und ist ein Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit. Für mich wie für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die das Grundgesetz Tag für Tag verteidigen, hat unsere Verfassung nicht an Überzeugungskraft verloren. Ganz im Gegenteil: Sie ist Ausdruck einer geglückten Ordnung und ein klarer Gegenentwurf zu jeglicher Form von Gewaltherrschaft.

In Deutschland sind in den letzten Monaten hunderttausende Menschen auf die Straßen gegangen, um für den Erhalt der Demokratie einzutreten – das ist ein ermutigendes Zeichen. Gleichzeitig werden aber auch immer öfter Politikerinnen und Politiker oder öffentlich Bedienstete auf offener Straße überfallen oder im Internet auf unflätigste Weise beleidigt. Wir warnen schon lange davor, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Staat und Politik erodiert. Die vom dbb beamtenbund und tarifunion beauftragte »Bürgerbefragung öffentlicher Dienst« hat dazu im vergangenen Herbst erneut besorgniserregende Zahlen geliefert. Wo der Respekt schwindet, wachsen Verachtung und Gewaltbereitschaft!

Für uns ist klar: Wir brauchen einen starken Staat, einen leistungsstarken öffentlichen Dienst und eine Politik, die in der Lage ist, drängende Reformen voranzutreiben und die Bevölkerung auf diesem Weg mitzunehmen. Unsere Bürgerinnen und Bürger bauen zu Recht darauf, dass durch den Rechtsstaat Rahmenbedingungen für Verlässlichkeit von politischen wie von Verwaltungsentscheidungen geschaffen werden.

Eine plurale demokratische Gesellschaft zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass in ihr alle gesellschaftlichen Gruppen adäquat repräsentiert sind. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer immer vielfältigeren Gesellschaft mit einem heterogenen Arbeitsmarkt entwickelt. Gleichzeitig verknappt sich das Arbeitskräfteangebot. Der öffentliche Dienst steht vor einem Generationenwechsel. Ein Drittel der Beschäftigten wird innerhalb der nächsten zehn Jahre in den Ruhestand gehen. Es muss also bereits heute darum gehen, genug qualifizierten Nachwuchs für die öffentliche Verwaltung zu gewinnen und langfristig zu binden sowie ihm eine attraktive Entwicklungsmöglichkeit zu bieten.

Der dbb setzt sich seit langem dafür ein, die Attraktivität der Arbeit »beim Staat« zu erhöhen. Dazu gehört auch, dass der öffentliche Dienst für alle Zielgruppen, die für eine Karriere im öffentlichen Dienst infrage kommen, sichtbarer wird und eine vielfaltsorientierte Verwaltungs- und Personalkultur etabliert wird.

Die Bundesregierung hat sich in dieser Legislaturperiode vorgenommen, mit einer Diversitätsstrategie zur Stärkung der Vielfalt innerhalb der Bundesverwaltung beizutragen. Dies ist ein guter und richtiger Weg, der jedoch noch nicht abgeschlossen ist und der weiterer Anstrengungen bedarf.

Um insbesondere den Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu erhöhen, müssen vor allem zwei Dinge geschehen: Zum einen müssen sich potenzielle Bewerber für eine Karriere im öffentlichen Dienst interessieren. Mit gezielten Kampagnen – zum Beispiel in den Schulen – sollten die vielfältigen Aufgaben und Karrieremöglichkeiten »beim Staat« besser beworben werden. Darüber hinaus wird es vermehrt darauf ankommen, die interkulturelle Kompetenz in der Verwaltung zu stärken.

Ein gutes Zeichen ist die wachsende Zahl von Kolleginnen und Kollegen mit Einwanderungsgeschichte unter den jüngeren Beschäftigten – wir sind auf dem richtigen Weg! Darauf dürfen sich die öffentlichen Arbeitgeber aber nicht ausruhen. Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund bringen Fähigkeiten mit, auf die ein zukunftsfähiger öffentlicher Dienst nicht verzichten kann.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2024.