Im Rahmen der Jahrestagung der Initiative kulturelle Integration diskutierten Panel-Teilnehmer über den Beitrag, den kulturelle Integration im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus leisten kann. Teilnehmenden des Panels haben wir jeweils zwei Fragen gestellt.

Wo liegen aus Sicht des Deutschen Kulturrates die größten Gefährdungen der Demokratie?

Die größte Gefährdung für die Demokratie liegt in der zunehmenden Dialogunfähigkeit und der daraus folgenden Wahrnehmungsverengung in der Diskussion gesellschaftspolitischer Themen bis hin zur Radikalisierung gesellschaftlicher Gruppen. Der Rückzug in die digitalen Blasen führt zu selbstreferentieller Bestätigung statt Dialog. Die TikTokisierung in der »Informationsbeschaffung« über die Welt lässt im Zeitalter der Fake News die Einordnung zwischen wahr und unwahr immer schwieriger werden. Der »Dialog« im öffentlichen Raum – insbesondere im Netz – ist von Verrohung, Hetze und Hass geprägt. Die Kulturtechniken des Zuhörens, Wahrnehmens und ergebnisoffenen Streitens befinden sich nahezu auf allen gesellschaftlichen Ebenen im Rückzug.

KI ist nicht schuld an dieser Entwicklung – es ist unsere zunehmende Unfähigkeit, mit Unvorhergesehenem umzugehen und die elementaren Kulturtechniken menschlichen Zusammenlebens von frühester Kindheit an zu vermitteln.

Im Ergebnis sind insbesondere der wachsende Rechtsradikalismus und Antisemitismus eine ernste Gefahr für unsere Demokratie. Wir erleben eine dramatische Zunahme von Hass und Gewalt, von einer durch Gewalt geprägten Sprache im öffentlichen Raum bis hin zu der grausigen Kette einer Vielzahl von Anschlägen gegen jüdische Einrichtungen, migrantische Einrichtungen sowie zunehmend auch gegenüber den Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren.

Was können Kunst und Kultur im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bewirken?

Kunst und Kultur können wirksam gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wirken, wenn sie im Leben von Heranwachsenden von Anfang an eine Rolle spielen können.

Beim Herumdoktern an den Symptomen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen – anstatt den Ursachen und deren Beseitigung nachzugehen – gerät unsere Gesellschaft mehr und mehr in die Fragmentierung öffentlicher Wahrnehmungs- und Meinungsbildungsprozesse und verliert dabei zu oft – auch in der medialen Berichterstattung – den Blick für die Zusammenhänge.

Die Künste erreichen den Menschen in einer beispiellosen Breite und Tiefe seines Seins. Die Künste schaffen Orte der Selbstfindung, Selbstvergewisserung, der Wahrnehmung des Anderen, des Dialoges mit allen Sinnen, des miteinander Ringens im Sinne kultureller Aushandlungsprozesse.

Deshalb ist es von elementarer Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, dass insbesondere Kinder und Jugendliche die Kraft der Kultur für sich und in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt von Anfang an erfahren können. Seit Jahren setzen die politischen Steuerungsmechanismen zur Demokratieförderung in der Hauptsache bei der Symptombekämpfung an, anstatt in menschenwürdigen und sachgerecht ausgestatteten Kindertagesstätten und Schulen Demokratieförderung zu betreiben, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen der Aufklärung beruht.

Kunst und Kultur können wirksam gegen Rassismus, Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wirken, wenn sich die Kreativen als Teil der Zivilgesellschaft mitverantwortlich für das Heute und Morgen in unserer Gesellschaft fühlen. Die Werte und Normen des Grundgesetzes bieten dafür eine ideale Berufungs- und Handlungsgrundlage wie auch die internationalen Vereinbarungen, zum Beispiel die UNESCO Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und der weite Kulturbegriff der UNESCO in der Erklärung von Mexico City 1982. Es gilt, die Freiheit von Kunst und Wissenschaft gemäß Artikel 5 unseres Grundgesetzes zu schützen, sowie das Engagement, die Kunst um der Kunst willen zu fördern.

Das gewachsene zivilgesellschaftliche Engagement zeigt sich in seiner strukturellen Breite in einer Vielzahl von Vereinen, Verbänden und Organisationen. Um das rasante Tempo gesellschaftlicher Veränderungen noch wirkungsvoller begleiten zu können, bedarf es einer stärkeren parlamentarischen Arbeit auf allen föderalen Ebenen, damit sich die notwendigen Rahmenbedingungen eines von kultureller Vielfalt geprägten Bildungs- und Kulturlebens nicht nur in den Sonntagsreden, sondern auch montags in den Haushaltsplänen widerspiegeln. Wir müssen politischer in unserem Denken und Handeln werden, denn Kultur bestimmt unser Zusammenleben.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2024.