Ein friedliches Miteinander ohne Diskriminierung wäre leicht möglich, wenn die Überzeugung der Gleichwertigkeit der Menschen in einer Gesellschaft von allen geteilt würde und die Basis ihrer verbindlichen Werte und Normen bildete. Ungleichheitsideologien jeglicher Art würden dann geächtet, zeitnah abgebaut oder sogar verhindert. Unsere Lebensrealität ist noch weit von dieser Vision entfernt, obwohl die allgemeinen Menschenrechte und unser Grundgesetz dies einfordern: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«.

Tatsächlich aber findet in Deutschland Diskriminierung als ein weitverbreitetes Alltagsphänomen in Familien, Vorstandsbüros, Supermärkten, U-Bahnen und täglich an Hunderten von Schulen statt.

Jede Diskriminierung basiert auf der Annahme, Menschen seien wegen ihrer angenommenen oder tatsächlichen Eigenschaften mehr oder weniger wert. Bei Diskriminierung zwischen Einzelpersonen, Gruppen oder durch behördliches Handeln geht es immer um Strukturen und Regeln, die bestimmte Gruppen benachteiligen und dies ideologisch legitimieren.

Beispielsweise legitimiert sich personelle wie auch institutionelle rassistische Diskriminierung durch die Behauptung, es gäbe unterschiedliche menschliche »Rassen«, diese seien unterschiedlich wertvoll und die machthabende Gruppe sei die überlegene. Daher habe sie das Recht, die unterlegenen Gruppen zu diskriminieren und auszubeuten: ein ideologisches Konstrukt, das allein der Wahrung der Machtposition der Mächtigen dient.

Lernort Schule

In der Schule kann die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Prävention in jungen Jahren effektiv stattfinden, Demokratie kann gelebt und praktisch erfahren werden.

»Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage«, so heißt das von Aktion Courage verantwortete Netzwerk von schulischen und außerschulischen Akteuren, dessen Ziel es ist, Schulen dabei zu unterstützen, Schülerinnen und Schülern die Gleichwertigkeit aller Menschen erlebbar zu machen. Schulen aller Arten können freiwillig dem Netzwerk beitreten, wenn sie sich gegen jede Form von Diskriminierung einsetzen wollen. Mindestens 70 Prozent der Schulgemeinschaft – der Schülerschaft, Pädagoginnen und Pädagogen, des technischen Personals und der Schulleitung  – müssen in einem geheimen Abstimmungsverfahren dem Selbstverständnis des Netzwerks zustimmen.

Sie zeigen: Wir schauen nicht weg, wenn Diskriminierung an der Schule vorkommt. Das Schild am Schulgebäude macht ihre Mitgliedschaft im Courage-Netz öffentlich sichtbar, ist aber kein Zauberstab, durch das Diskriminierung schlagartig verschwindet. Es erinnert täglich daran, dass hier Diskriminierung, Herabwürdigung und Gewalt nicht schulterzuckend hingenommen werden.

Bundesweit 3.700 Schulen traten bislang ins Netzwerk ein. Sie wollen Ideologien der Ungleichwertigkeit wie Antisemitismus, Homophobie, Islamismus, Frauenfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit oder eben Rassismus besser erkennen, sich offen mit ihnen auseinandersetzen und ihnen aktiv entgegenwirken. Ziel ist es, dauerhaft eine diskriminierungssensible Schulkultur zu etablieren.

Das Courage-Netzwerk

Bei der festlichen Veranstaltung zum Eintritt ins Netzwerk stehen den Schulen die von ihnen ausgewählten Patinnen und Paten zur Seite. Oft sind dies Personen des öffentlichen Lebens aus Kunst, Sport, Politik und Medien. Sie unterstützen ihre Schulen auf vielfältige Weise.

Courage-Schulen stehen im Kontakt mit der für sie zuständigen Koordinierungsstelle, die sie dauerhaft begleitet, motiviert und untereinander vernetzt. Die 16 Courage-Landeskoordinationen und 106 Regionalkoordinationen sind die ersten Anlaufstellen der Courage-Schulen bei allen Anliegen. Die Koordinatorinnen und Koordinatoren beraten bei der Umsetzung von Projekttagen und Schulaktionen, vermitteln Referentinnen und Referenten, vernetzen Schulen untereinander, führen Fachtage und Regionaltreffen durch. Expertinnen und Experten der bundesweit rund 360 außerschulischen Kooperationspartner, die eine große Spannbreite von Themen abdecken, erteilen Workshops, Fortbildungen und Seminare.

Die Förderung des sozialen Lernens gelingt am besten, wenn im Schulalltag ausreichend Zeit zur Verfügung steht für die individuelle Kommunikation unter den Schulmitgliedern und zur Vermittlung und Wertschätzung sozialer Kompetenzen wie Verlässlichkeit, Ausdauer und Geduld sowie Empathiefähigkeit.

Multidimensionaler Präventionsansatz

Um den Sozialraum Schule in diesem Sinne zur Beförderung der Resilienz gegen Menschenfeindlichkeit effektiv zu nutzen, müssen wir an vielen Stellschrauben drehen, zum Teil sogar gleichzeitig. Zwei, fünf oder sieben Einzelmaßnahmen werden nicht ausreichen, ein nachhaltiger multidimensionaler Präventionsansatz ist notwendig. Dafür muss das »didaktische Rad« nicht neu erfunden werden. Bewährte Methoden gibt es z. B. in der Gewalt- oder Extremismusprävention, die Facetten eines schulischen Präventionskonzeptes bilden können.

Es geht dabei nicht nur um Wissensaneignung. Kunstpädagogische Methoden beziehen die Emotionen mit ein: Rollenspiele, die Verhaltensmuster in Konfliktsituationen einüben und helfen, Ärger, Wut und Unterlegenheitsgefühle auszusprechen und besser mit ihnen umzugehen. So werden Kommunikationsfähigkeit und Frustrationstoleranz gestärkt. Die Rolle der sozialen Medien bei der Prävention von menschenfeindlichen Haltungen ist mehr in die pädagogischen Konzepte einzubeziehen. Auch die Ausbildung und der Einsatz von Konfliktlotsinnen und  -lotsen oder Mediatorinnen und Mediatoren sind hilfreich für die Etablierung eines gewaltfreien Schulklimas. Aber eines können sie nicht ersetzen: eine respektvolle Atmosphäre in der Schule, die Selbstwertgefühle stärkt.

Pädagoginnen und Pädagogen können nicht Expertinnen und Experten für alle Ungleichheitsideologien sein. Sie brauchen Qualifizierung, um ihre Handlungsoptionen in Krisensituationen zu erweitern. Damit sie diskriminierende Vorfälle nicht aus Unsicherheit herunterspielen oder mit Sätzen wie »Bei denen ist diese frauenfeindliche Meinung ja üblich« kulturalisieren. Eine inklusive Schulkultur kann allerdings keineswegs allein durch die Qualifizierung von Pädagoginnen und Pädagogen entstehen. Sie ist Ergebnis einer strukturell und personell inklusiven Orientierung einer Schule, die auf Chancengerechtigkeit abzielt. Dazu gehört auch ein divers aufgestelltes Kollegium.

Schule ist keine bloße Wissensvermittlungsinstitution, sondern kann und soll Schülerinnen und Schülern entscheidende Soft Skills vermitteln, damit sie gesellschaftlichen Anforderungen standhalten können und nicht Ungleichwertigkeitsideologien aufsitzen. Klar ist: Um Kinder und Jugendliche angemessen unterstützen zu können, brauchen wir an den Schulen mehr Erwachsenenminuten pro Kind und Tag von einem interdisziplinären, diversen Team von Erwachsenen mit sozialpädagogischer Kompetenz.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2022.