Spielzeug gibt es, seit es Menschen gibt. Dieser Satz gilt, wenn wir einen breiten Spielbegriff als Definitionsgrundlage für die kulturelle Entwicklung unseres Menschseins wählen. Der Mensch spielt von der Wiege bis zur Bahre. Er spielt mit Gedanken und stellt sich vor: Was wäre, wenn …? Mit der Vorstellungskraft – der Kraft der Fantasie und der Visionen – werden neue Wege sichtbar, wird Kultur und wird Menschheitsentwicklung möglich. Quantenphysikalische Theorien öffnen den Blick darauf, dass die gesamte Natur kontinuierlich spielt und mit ihr sowohl der Kosmos als auch jedes Tier und jede Pflanze. Spielen ist damit ein Urphänomen der Menschheit und des Seins.

Das früheste bekannte, in Mitteleuropa von Menschen gestaltete Spielzeug ist der Löwenmensch. Wahlweise als Verkörperung einer kultisch-religiösen Vorstellung oder als frühe Kunst interpretiert, stellt das 31 cm kleine Objekt, ganz diesseitig, eine Kombination von Mensch und Löwe dar, konkret: einen aufrecht stehenden Menschen mit Löwenkopf. Ein Fantasiespiel? Ein Rollenspiel? Eine verkleidete Puppe? Spielzeug hat Aufforderungscharakter. Mit dem Löwenmenschen in der Hand ist spielerisches Handeln leicht vorstellbar. Nicht erst seit der Herstellung dieses kulturellen Artefakts aus dem Stoßzahn eines Mammuts vor circa 42.000 Jahren haben Menschen gespielt, und sie tun es bis heute.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Spiel und Spielzeug zeigt, dass Spielzeug nicht professionell hergestellt oder im Laden gekauft worden sein muss. Im Gegenteil: Dem Menschen kann alles Spielzeug sein. Es gilt die Definition: Objekt + Fantasie =Spielzeug.

Eines der ältesten Spielzeuge der Welt ist die Puppe. Das eigene Spiegelbild, das man im Auge seines Gegenübers sieht, ist etymologisch als Pupille oder »Augenpüppchen« direkt mit der Puppe verwandt. Durch den Blick vollzieht sich nach früherem Glauben (s. Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens, 2000) die Beseelung des Menschenabbilds, der Puppe. Die Puppe ist das Gegenüber, der Stellvertreter, das Wunschbild, das Familienmitglied, die Freundin und auch die dunkle Seite des Seins. Puppen als Spielzeug symbolisieren gesellschaftliche Traditionen, Moden und Stereotype. Sie haben Funktionen, zeigen Geschlechter, Rollen, Berufe, Kleidungsstile, Lebensstufen oder Jenseitsvorstellungen. Fantasie-Puppen können aus einem Stöckchen, einem Holzscheit oder einem Maiskolben hergestellt oder wie »Mein Freund Harvy« im gleichnamigen Film unsichtbar sein.

Spielen erscheint selbstverständlich und ist nicht auf die Phase der Kindheit beschränkt. Spielen und Spielzeug durchziehen das gesamte Leben. Global lernen Menschen in fünf gleichen Schritten spielen, so wie sie laufen oder sprechen lernen. Explorativ, mit Fantasie, in Rollen-, Konstruktions- und Regelspielen. Entwicklungspsychologisch ist alles miteinander verbunden und das einmal Erlernte bleibt unterbewusst wie bewusst ein Leben lang abrufbar. »The difference between a man and a boy is the prize of the toy«, bringt es ein englisches Sprichwort auf den Punkt.

Menschen spielen überall auf der Welt. Was konkret gespielt wurde und wird, kann historisch, regional und sozial höchst unterschiedlich sein. Das Trojanische Pferd, ursprünglich ein Strategie-Objekt, ist in seiner Spielzeug-Version rund 2.000 Jahre alt und in vielen Regionen der Welt verbreitet. Räderpferdchen sind Spielzeug-Klassiker, die seit der Antike bis in die Gegenwart hergestellt und bespielt werden.

Eine aussagestarke Quelle zu den Spielzeugen ab dem 16. Jahrhundert in Mitteleuropa bietet das Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren (um 1525/1530 bis 1569) mit dem Titel »Die Kinderspiele«. Das Bild entstand um 1560 und zeigt über 80 Spiele und Spielzeug. Beim Verstecken und beim Fangenspielen dient jeweils der eigene Körper als Spielzeug. Zum Seilspringen, für Hüpfspiele wie »Himmel und Hölle« und für Geschicklichkeitsspiele werden zusätzlich Natur- und Kulturobjekte hinzugezogen: Astragale, Steinchen, Kreiden, Wasser, Lehm, Seile. Begleitet wurde und wird Spielen von Reimen und Liedern. Spiel und Spielzeug bieten dabei jeweils eine Vielzahl von Variationen und lassen den Menschen perfekter werden in Bewegung, Haptik, Sprache, Gedanken und der Kombination aller Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Wo Gegenstände in der realen Welt aufgrund des Wandels verschwunden sind, bleiben sie in Spielzeugmuseen sichtbar und bisweilen sogar funktionsfähig: Die Puppenhäuser ab dem 16. Jahrhundert spiegeln idealtypisch die Wohn- und Arbeitswelten sozialer Gruppen wider, Dampfmaschinen, Eisenbahnen, Schiffe, Flugzeuge, Spielzeugfahrzeuge und -raketen zeigen die Kraftübertragungs- und Fortbewegungsformen, Aufstellfiguren machen Geschichte nachspielbar und Plüschtiere symbolisieren den Umgang mit Natur und Tieren. In einen chronologischen Ablauf gebracht, zeigt die Geschichte von historischem und aktuellem Spielzeug die Geschichte unseres Menschseins.

Spielzeug dient Kindern der Erforschung von Welt und Umwelt, dem Verstehen und Begreifen der Dinge im Kleinen, die es im Großen später zu beherrschen gilt. Spielzeug spiegelt und vermittelt direkt, anschaulich und begreifbar Kultur. Kein anderes Kulturgut ist so umfassend in der Lage, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft realitätsnah und begreifbar darzustellen wie Spielzeug. Spielzeug ist Dialog mit der Welt.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2025.