»Mystik« fasziniert. Dabei ist oft nicht klar, was mit diesem Zauberwort eigentlich gemeint ist. Da ist es am besten, wenn man die Begegnung mit einer individuellen mystischen Person sucht. Doch wie soll das gelingen? Die großen Gestalten dieser Tradition sind uns in vielem doch sehr fremd. Nun hat die evangelische Theologin Julia Koll, Direktorin der Evangelischen Akademie Loccum, einen reizvollen literarischen Versuch unternommen. In einem Roman-Essay geht sie ihrer Faszination für die mittelalterliche Mystikerin Mechthild von Magdeburg nach. Zum Glück ist daraus keiner dieser historischen Romane geworden, die den Abstand zwischen damals und heute flott überspringen. Vielmehr tastet sich Koll mit Neugier und Respekt an eine ferne Figur heran, umkreist das, was wir von ihrem Leben und Glauben überhaupt noch wissen können, überaus sorgfältig und sehr vorsichtig, weil Mechthild eben niemand ist »wie Du und ich«. So gelingt Koll das Kunststück, diese geliebte Mystikerin zu betrachten, ohne sie zu vereinnahmen. Vor 800 Jahren hat Mechthild von Magdeburg gelebt, sie muss eine außergewöhnliche Frau gewesen sein. Vor allem war sie eigentümlich »porös« für die Gotteserfahrung, was sie in immer noch ergreifenden Versen zu beschreiben versucht hat. Julia Koll besucht die Orte ihres Lebens, geht den Spuren nach, die sie hinterlassen hat, kostet ihre Sprache, recherchiert, liest und spricht mit Fachleuten, stellt Fragen, malt sich ihr unerhörtes Leben aus. Von diesen Annäherungen, bei denen immer eine letzte Distanz bleibt, erzählt Koll in einem angenehm schlanken Buch, in einfacher, biegsamer Sprache, in kurzen, abwechslungsreichen, assoziationsreichen Absätzen. So strahlt ihr »Buch Mechthild«, was beim Thema »Mystik« nicht eben zu erwarten ist, eine überraschende Leichtigkeit aus. Dabei geht es um eine ernste Frage: Was kann ich selbst glauben? Wo »fließt« Gott in mein Leben? Insofern ist Kolls literarisches Debüt auch ein »Buch Julia« geworden.

Julia Koll. Das Buch Mechthild. Berlin 2025

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2025.