Moritz Eggert ist Komponist, Pianist, Hochschullehrer, Präsident des Deutschen Komponist*innenverbands und: Extremsportler! Für das PuK-Porträt befragten wir ihn zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Musik und Sport, zum Sieger- oder Verlierer-Sein, zu Üben und Trainieren und zum Fitbleiben. Gerade erst ist er von einem viertägigen Ultraschwimmmarathon zurück. Das Wochenende darauf fährt er zum Mozart 100 UTMB in Salzburg. Das ist kein neues Mozart-Festival oder der kryptische Name einer neuen Komposition: Es geht um den Mozart 100 Meilen Ultratrail Mont Blanc. Auch da läuft Moritz Eggert mit. Inzwischen steht jede Woche seines Lebens unter dem Zeichen des Sports.

»Ultratrail Mont Blanc ist eine Riesenorganisation, die verschiedene Ultras, also Läufe, die über die klassische Marathondistanz von 42,195 Kilometern hinausgehen, in der ganzen Welt organisiert. Danach habe ich ein Everesting-Event im Brandnertal. Bergauf liegt mir: Das ist tatsächlich ein Event, bei dem man insgesamt 8.849 Höhenmeter mehrfach nur aufwärts bewältigt und zwischendrin immer wieder mit der Gondel runterfährt. Das nehme ich als ein Trainingsevent für das ›Hauptding‹ am 1. August: Der KAT 100 in Kitzbühel. Mit seinen 167 Kilometern ist das einer der längeren Ultras. Da rechne ich durchaus damit, mehr als anderthalb Tage unterwegs zu sein.«

Moritz Eggert studierte Klavier an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt bei Leonard Hokanson und von 1986 an Komposition bei Wilhelm Killmayer an der Musikhochschule München. Heute hat Eggert selbst eine Professur für Komposition an der dortigen Musikhochschule. Zu Eggerts bekanntesten Werken gehört der Klavierzyklus »Hämmerklavier«. Neben der Orchester- und Kammermusik liegt ein besonderer Schwerpunkt seines Schaffens im Genre Musiktheater. Im Rahmen des Kulturprogramms der WM 2006 komponierte er das Fußballoratorium »Die Tiefe des Raumes« und die Musik für die Eröffnungszeremonie. Sein Fußballett für den Wiener Opernball 2008 war dort die erste Aufführung zeitgenössischer Musik.

Zu seinen Verdiensten zählt auch, dass – unter anderem angestoßen durch den Fall Mauser an der Münchner Musikhochschule – die MeToo-Debatte an deutschen Musikhochschulen angekommen ist. Als Publizist betreibt er in Kooperation mit der neuen musikzeitung den größten Blog im Musikbereich, den Bad Blog of Musick.

Ein Workaholic, ganz klar. Und was macht ein Workaholic, wenn er sich mal eine Pause von der Arbeit gönnt? Er geht seiner Sportsucht nach: Das ganze Jahr über ist Eggert in die Trainingspläne seines Coaches Doug Stewart eingebunden – entweder in der Recovery oder in der Vorbereitung für den nächsten oder übernächsten Wettkampf.

»Selbst während der GEMA-Generalversammlung 2024 in Berlin musste ich zwischendrin ins Olympia-Schwimmstadion, um zu trainieren. Wenn ich in einer Tapering-Phase bin, also mich direkt vor dem Wettkampf im Training langsam runterschraube, dann merke ich, dass ich richtig depressiv werde, weil der Körper nicht mehr so viel Endorphine ausschüttet.«

Vor etwa sieben Jahren kam Eggert eher zufällig in eine Fitnessgruppe namens »Eisbach Fit« in München und begann dort das Functional Fitness Training. Nächste Station war die Laufgruppe Under Armour Running Society München, inzwischen Munich Running Society. Eggert machte den München-Marathon mit und interessiert sich seither immer stärker für längere Läufe. »Ausdaueranstrengungen entsprechen meiner Persönlichkeit. Zeitgleich mit dem Laufen habe ich sehr viel Hyrox gemacht, das ist eine aus dem Crossfit hervorgegangene Sportart, in der es um eine Kombination von Übungen mit Laufen geht, also man muss schnell laufen, man muss aber auch schnell Burpees machen oder Rudern oder Ski-Erg. Da habe ich es tatsächlich mit viel Training 2022 in Las Vegas zum Vizeweltmeister gebracht. Das war bisher mein größter sportlicher Erfolg – in meiner Altersklasse natürlich.«

Für Nicht-Ultra-Sportler ist an dieser Stelle vielleicht ein kleines Glossar hilfreich: Burpees sind Fitnessübungen nach dem amerikanischen Physiologen Royal Huddleston Burpee. Ein Ski-Erg ist eine Skimaschine, um in der Halle trainieren zu können. Sport ist heute nicht nur stark anglisiert, sondern wird ab einem bestimmten Level extrem intellektuell. Ein Extremsportler wie Eggert verbringt daher sehr viel Zeit damit, Sweat-Tests zu machen. »Zum Beispiel, wie viel Schweiß verliere ich pro Stunde? Bei welcher Anstrengung? Wie viel Liter Wasser muss ich zu mir nehmen und was muss dieses Wasser auch beinhalten? Wie viele Kalorien muss ich pro Stunde zu mir nehmen? Ich mache mir dann lange Pläne, das ist fast wie eine Komposition, eine Art Partitur für die Rennstrecke. Man muss die Strecke auch vorab kennen und planen, wie man sich die Kräfte einteilt.« Hier sind Sport und Komponieren ganz nah beieinander. Eggerts großer Wunsch ist es, ein durchkomponiertes zwölfstündiges Marathon-Klavierstück zu schreiben, ein neues Hämmerklavier, das auch physisch anstrengend zu spielen ist: »Ich habe dafür bisher nie einen Auftrag bekommen, aber das kann ja noch kommen! Ich möchte das Komponieren einer Oper oder eines großen Orchesterwerks mit einem Marathon vergleichen. Man muss einen sehr, sehr langen Atem haben, man muss auch einen guten Plan haben und man kann es nur bewältigen, wenn man die Strecke Schritt für Schritt geht. Das, woran viele Komponisten beim Opernkomponieren scheitern, ist die Vorstellung, dass dieser gewaltige Berg von Noten, den man komponieren muss, vor einem liegt. Das Geheimnis besteht natürlich darin, dass man Stück für Stück geht, dass man sich alles in kleine Teile einteilt und einfach immer dranbleibt. Das ist auch etwas, das ich versuche, meinen Studierenden zu vermitteln, die genau mit diesem Thema die allermeisten Probleme haben, weil sie anfangs nicht einschätzen können, wie lange sie etwa für ein zehnminütiges Klavierstück oder ein 20-minütiges Kammerorchesterstück brauchen.«

Als Pianist hatte Eggert früher extremes Lampenfieber. Aber irgendwann kam der Punkt, wo er dieses Gefühl nicht mehr erlebte, die Routine war stärker geworden. Beim Sport war es auf einmal wieder da. Plötzlich stand er beim München-Marathon an der Startlinie und hatte genau diese Nervosität, diese Ungewissheit, die einen alptraumartig mit Fragen konfrontiert wie: »Schaffe ich das überhaupt, kann ich das?«

Für die Ruhrtriennale 2005 im Hinblick auf die WM in Deutschland ein Jahr später komponierte Eggert ein Fußballoratorium »Die Tiefe des Raumes« und im Frühjahr 2006 folgte das Lied »Ballack, du geile Schnitte« für Sopran und Akkordeon. Die Wirkungsgeschichte dieser Sportmusiken ist vielfältig. Durch das Fußballoratorium bekam er den Auftrag, die Musik für die Eröffnungszeremonie der WM 2006 zu gestalten, in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Christian Stückl. »Das war ein großartiges Erlebnis mit 1.200 Mitwirkenden. Und immer wenn EM oder WM ist, schauen die Musikredaktionen gerne, was es für Musik zum Thema Fußball gibt und kommen dann sehr oft auf meine Stücke, was mich natürlich freut.«

Tickets für Olympia oder für die Europameisterschaft hat Moritz Eggert aktuell nicht, aber er bereitet gerade eine Schweizer Version des Fußball-Oratoriums vor, die komplett auf Schweizer Verhältnisse umgeschrieben wird: »Da muss ich auch dort ins Stadion!«

Nicht nur beim Fußballoratorium war es sein Wunsch gewesen, mit oder auch für Laien zu arbeiten. Als Komponist sucht Eggert ganz bewusst Situationen, in denen er mit einem Publikum konfrontiert wird, das überhaupt nichts mit der sogenannten Neue-Musik-Szene zu tun hat. Eggert will Anspruchsvolles vermitteln, ohne zum Publikum herunterzusprechen: »Es geht darum, wie ich für Menschen komponiere, die eben nicht Adorno gelesen haben oder die nicht die Geschichte der zeitgenössischen Musik im 20. Jahrhundert parat haben. Wir vergessen manchmal, dass 99,9 Prozent des Publikums dieses Vorwissen erstmal nicht haben. Ich finde aber, dass man auch diese potenziellen Konzertgänger erreichen kann – mit guter Musik eben, so wie es viele große Komponisten der Vergangenheit vorgemacht haben.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2024.