Der bekannte Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen unterscheidet in seinem Buch über das Zuhören zwischen dem »Ich-Ohr« und dem »Du-Ohr«. Mit dem Ich-Ohr hören wir entlang unserer persönlichen Vorurteile, mit dem Du-Ohr lassen wir uns auf die Welt des Gegenübers und dessen Andersartigkeit ein. Pörksen stellt die Frage, ob wir tatsächlich allen zuhören oder ob wir die »Falschen« ignorieren sollten. Eine »unentscheidbare Frage«, die wir doch immer wieder neu beantworten müssen. Das Zuhören untersucht der Autor anhand verschiedener konkreter Beispiele: Wer hat wem im Zusammenhang mit den unfassbaren Vorfällen an der Odenwaldschule (nicht) zugehört? Welche Dynamik war nötig, damit diejenigen, die darüber sprachen und schrieben, endlich gehört wurden? In einem zweiten Kapitel wird der plötzliche Einschnitt beleuchtet, der durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine viele auch familiäre oder freundschaftliche Kommunikationsstränge durchschnitten hat: Der Vater in Russland glaubt dem in der Ukraine lebenden Sohn nicht mehr, wenn dieser von russischen Bomben auf Kiew berichtet. Er kann ihm nur aus der eigenen Wahrnehmung heraus zuhören, sich nicht mehr auf die Perspektive des Sohnes einlassen. Die »unbequeme Wahrheit der Klimakrise« wird gerne »murmelnd verdrängt«, damit diese Wahrheit über die sich abzeichnende Katastrophe nicht wirklich »gehört« werden muss. Im Kapitel »Politik des Zuhörens« schließlich geht es darum, welchen Stellenwert das Sprechen und Hören im Rahmen eines demokratischen (politischen) Systems hat. Anhand konkreter Beispiele gelingt es dem Autor, Phänomene des Zuhörens deutlich zu machen und zu beschreiben, wie Zuhören, wie Dialog funktionieren kann – oder auch nicht. »Ein Dialog ist, ideal gedacht, ein Tanz des Denkens, ein gemeinsamer Aufbruch in Richtung des noch Unbekannten, bei dem alle Beteiligten die Ruhebank fester Wahrheiten und eigener Gewissheiten verlassen – auf dem Weg zu einer neuartigen, bisher noch nicht da gewesenen Synthese der Standpunkte, die die unterschiedlichen Perspektiven vereint und kombiniert.«
Bernhard Pörksen. Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. München 2025