»Musik als Vollzug der kosmischen Harmonie« – »Wenn das Hackbrett auf die Oud trifft« – »Wasser und Frost als musikalische Medien« – »Vertikales Klavier und Unterwassermusik« – »Stadtraum als kulturelle Identität«. Dies sind Headlines einiger Festival- und Konzertkritiken, die einiges über die vielfältige Welt der Konzeptentwicklerin und Kulturberaterin Martina Taubenberger verraten. Ihr Schwerpunkt ist die Konzeption, Produktion und Inszenierung experimenteller interdisziplinärer Formate mit musikalischem Fokus, die die Schnittstellen zwischen den Künsten ausloten und oft auch auflösen.
Seit Anfang 2011 begleitet sie als selbstständige Kuratorin und Künstlerische Leiterin Kultureinrichtungen, Unternehmen, Kommunen und Regionen deutschlandweit. Zu ihren Auftraggebern zählen unter anderem das Gewandhaus zu Leipzig, die Elbphilharmonie Hamburg, das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Brandenburg oder der Fonds Soziokultur. Bis Anfang 2025 war sie Beauftragte für Kunst und Kultur des Werksviertel-Mitte in München. In diesem Kreativviertel im Münchener Stadtosten gründete Taubenberger das internationale Festival »Out Of The Box« sowie das Programm »Werksviertel-Mitte Kunst« mit Ateliers, Stipendien und Ausstellungsräumen.
Musik, insbesondere improvisierte, steht bei Taubenbergers Projekten immer wieder im Mittelpunkt. Exemplarisch genannt seien hier die Trondheim Voices, das Munich Composers Collective um Gregor Hübner, Terje Isungsets Ice Music Ensemble, das mit Instrumenten aus Eis spielt, das dänische Ensemble »Between Music«, das unter Wasser musiziert oder der Schweizer Alain Roche, der mit seinem Flügel in 20 Meter Höhe an einem Baukran hängend konzertiert.
Doch fangen wir ganz von vorne an: Zur Schule ging Martina Taubenberger in Schongau, einer Mittelstadt im Alpenvorland südlich von Augsburg. Ihre Jugend und Schulzeit waren bestimmt von zwei großen Leidenschaften: Musik und Literatur. »Ich habe extensiv und exzessiv Saxophon und Klarinette gespielt, klassisch oder Big Band.« Bis weit ins Studium hinein unterrichtete sie selbst Klarinette und Saxophon: »Streckenweise hatte ich 30 Schüler, ich war wie so ein kleines Musikschulimperium.«
Bereits mit vier Jahren konnte Martina Taubenberger lesen. Diese Leidenschaft, die im Kindergarten begonnen hatte, wurde ihr mit jedem weiteren Lebens- und Schuljahr wichtiger. Auf dem Gymnasium war Taubenberger vermutlich die einzige Schülerin, die freiwillig zusätzliche Referate hielt und Bücher vorstellte, von denen sie begeistert war.
Nach dem Abitur in Schongau verließ Taubenberger die Provinz und begann ein Studium der Amerikanistik und Musikwissenschaft in Bamberg. Doch in den Fachwerkgässchen der fränkischen Universitätsstadt wurde es ihr bald zu eng, und nach dem vierten Semester ging es im Rahmen eines Austauschprogramms nach Chicago, USA, denn Bambergs Partner-Uni, die Roosevelt University, hatte ein attraktives Musikprogramm. Sie tauchte tief ein in die Welt des Contemporary Jazz, fuhr nach New Orleans auf die International Jazz Educators Conference und hatte prägende Begegnungen: »Da sitzt dann Herbie Hancock und signiert CDs, und ein paar Minuten später fährt man mit Joshua Redman im Fahrstuhl. Ich wusste gar nicht, wie mir geschieht. Das war wie Schlaraffenland.«
Zurück in Deutschland kam sie in den Genuss eines Graduiertenstipendiums der Friedrich-Naumann-Stiftung. 2009 promovierte sie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zu »Jazz-Rezeption in Deutschland nach 1945«. Während der Promotion bewarb sie sich als Managementassistentin in der Internationalen Musikakademie Schloss Kapfenburg und ging nach einem Jahr von dort aus auf eine Stelle beim Kulturreferat in Heidenheim. Schnell stieg sie von der Geschäftsbereichsleiterin zur stellvertretenden Fachbereichsleiterin auf – eigentlich ein posto sicuro, wenn da nicht immer der Traum von der Selbstständigkeit gewesen wäre. Als der Leiter des Schwäbischen Bildungszentrums Kloster Irsee auf sie zukam und sie um eine Machbarkeitsstudie für ein Festival im Kloster Irsee anfragte, war das der Impuls, den Schritt ins Risiko zu gehen.
Von 2013 bis 2015 existierte unter Leitung von Intendantin Martina Taubenberger das Musikfestival »Tonspuren«, das mit außergewöhnlicher zeitgenössischer Musik für jeweils drei Tage das Kloster Irsee bespielte. Bereits hier kam eine Idee zum Tragen, die seither alle ihr Projekte durchzieht. Ein typisches Taubenberger Projekt ist nämlich etwas, was so nur an diesem einen Ort stattfinden kann, weil es sich sehr intensiv mit dem Ort, seiner Umgebung und vor allem seiner Geschichte künstlerisch verbindet. Das Kloster Irsee hat eine sehr problematische Geschichte: Gleich nach der Säkularisierung im 19. Jahrhundert wurde dort eine »Kreis-Irren-Anstalt« gegründet. In der NS-Zeit kam es dann zu Patiententötungen im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten. Nach dem Krieg wurde Kloster Irsee Sitz des Bayerischen Psychiatrieverbandes und später Tagungs- und Bildungszentrum. »Diese Geschichte freizulegen«, sagt Taubenberger, »aber gleichzeitig dort auch etwas zu tun, was die Menschen mit dem Ort versöhnen kann, das war mein Anspruch für dieses Festival in Kloster Irsee.«
Von März 2016 an war Taubenberger Beauftragte für Kunst und Kultur des Werksviertel-Mitte und Geschäftsführerin der eigens dafür gegründeten gGmbH. »Im Werksviertel haben wir ein Atelierhaus etabliert mit einem sehr ambitionierten Stipendienprogramm, regelmäßigen Ausstellungen und einem stark interdisziplinären Kunst- und Kulturprogramm, das quasi den gesamten Stadtraum als Bühne verstanden hat. Das konnte die Baustelle der Bar im 18. Stock sein oder die noch nicht genutzte Tiefgarage im dritten UG oder der riesige Bauplatz des geplanten, aber nie realisierten Konzerthauses. Selbst die Kabinen des Riesenrads auf diesem Baugrund wurden von Musikern bespielt.«
Für die Körber-Stiftung Hamburg moderierte sie über viele Jahre das Gesprächskonzertformat »2 x hören«: »Menschen mitnehmen, auch mit hinein in eine Partitur, in ein Musikstück, damit auch sie den Weg gehen können, den die Musiker gehen, wenn sie sich ein Stück erarbeiten, das finde ich spannend. ›2 x hören‹ mache ich noch heute, aktuell für den jährlich stattfindenden ARD Musikwettbewerb.«
Im Mai 2019 war für die Kulturberaterin Taubenberger der Auftrag der Zukunftswerkstatt Lausitz, eine »Kulturstrategie Lausitz 2025« zu erstellen und dann im Anschluss den Kulturplan Lausitz, ein wegweisendes Projekt.
Heute hat sie zwar die Füße noch in München, aber der Kopf ist schon wieder in der ganzen Welt. Ein neues Kapitel mit der eigenen Firma ist aufgeschlagen: »Wir reichen am 13. Mai einen Antrag bei Creative Europe ein. Das Projekt, das wir dafür entwickelt haben, heißt ›ACT on ICE‹ mit einem Festival auf dem Weißensee.« Das Akronym »ACT on ICE« steht für Art, Creative Industries, Tourism, International Crowdfunding Competition on Ecological Sustainability. »Es ist ein Projekt mit fünf Ländern, also Spanien, Italien, Österreich, Norwegen, Deutschland. Leadpartner ist das Stiftungsnetzwerk Sonet e. V. in München.«
Taubenberger wird gerne gefragt, wo sie denn alle ihre Ideen herhabe. Ihre Antwort ist einfach: »Egal wie nervenaufreibend ein Projekt ist, ich nehme mir Zeit für intensive Gespräche mit den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern. Nach getaner Arbeit wird dann bei einer Flasche Wein über die unterschiedlichsten Dinge gesprochen.«
Irgendwann hat Martina Taubenberger angefangen, diese Gespräche aufzuzeichnen und sie als Podcasts unter dem Titel blended-art.space zu publizieren. Wer also einen Blick in Taubenbergers Kreativwerkstatt werfen möchte, besser gesagt, sie dort »belauschen« möchte, findet diese online unter blended-art.space.