Reisen zum Mittelpunkt der Erde. Der noch immer vom Kolonialismus geprägte Blick Europas sollte vermehrt auf den afrikanischen Kontinent gerichtet werden. Der vielfach und hoch ausgezeichnete unermüdliche Schriftsteller und Intellektuelle Navid Kermani berichtet auf fesselnde, hoch emotionale, ja erschütternde Weise von seinen Reisen in den letzten beiden Jahren vom Süden Madagaskars über die Komoren, Mosambik, Tansania, Kenia und Äthiopien bis in die sudanesischen Nuba-Berge. Dabei stehen die Menschen und ihre verschiedenen kulturellen Traditionen im Fokus seiner Beobachtungen und persönlichen Begegnungen mit einfühlsamen Gesprächen. Die Menschen in den bereisten Ländern sind getrieben und geschunden von Kriegen oder der nicht mehr zu ertragenden Klimaerwärmung. Es ist beeindruckend zu lesen, wie sich die Menschen dennoch den widrigen Umweltbedingungen stellen und sich ihnen anpassen. Arm und reich liegen oft nah beieinander, so etwa in Nairobi, Hauptstadt der Republik Kenia. Neben all dem Elend aus Flucht, Dürre, Not und Hunger gibt es aber auch viele schöne Seiten: Kunst, Kultur, Kreativität und Traditionen. Darunter nimmt die Musik eine besondere Stellung ein. Sie zieht sich wie ein roter Faden durch die lebendigen Reisebeschreibungen. Der Leser wird angeregt, über existentielle Fragen der Menschheit nachzudenken: Klimawandel, Kolonialismus, Krieg. Und dabei liegen auch Betrachtungen zum Rassismus auf der Hand. Kermani gelingt es, neue Perspektiven zu eröffnen; er plädiert stets mit großer Sensibilität und Respekt für Verständigung zwischen den Kulturen und Kontinenten – aus den unterschiedlichsten Perspektiven.
Fazit: Auf die Richtung kommt es an. Also auf nach Afrika, um einen Blick darauf zu werfen, was uns in Zukunft noch bevorstehen könnte. Eine detailreich geschilderte Reise; als Leser hat man das Gefühl, selbst dabei gewesen zu sein. Wer allerdings aktuelle, differenzierte Hintergrunddiskussionen mit Analysen erwartet, der greife zu anderen Publikationen. Wer aber auf Exkursion gehen möchte, wird hellauf begeistert sein, trotz des vielen beschriebenen Elends!
Navid Kermani. In die andere Richtung jetzt. Eine Reise durch Ostafrika. München 2024