Vor zehn Monaten übernahm die Journalistin und Historikerin Katja Wildermuth die Leitung des Bayerischen Rundfunks (BR) von ihrem Vorgänger Ulrich Wilhelm. Seither werden vier von neun ARD-Anstalten von Frauen geführt. Das ist eine Quote, an der man heute jeden Dax-Konzernvorstand messen müsste, doch selbstverständlich ist es immer noch nicht. »Erstmals eine Frau« und ein »historischer Schritt für den BR«, hieß es in der Presse nach ihrer Wahl durch den Rundfunkrat des BR. »Für mich«, sagt Katja Wildermuth, »ist es tatsächlich eine Selbstverständlichkeit, dass alle Institutionen – öffentlich-rechtliche Medienanbieter insbesondere – auch in ihrer internen Besetzung die Gesellschaft in ihrer ganzen Vielfalt widerspiegeln sollten.«
BR-Intendantin Wildermuth kann bereits zu Beginn ihrer Tätigkeit auf einige Beispiele aus der Praxis verweisen, wenn es darum geht, beim BR Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit umzusetzen: »Wir haben als Öffentlich-Rechtliche eine vergleichsweise geringe Personalfluktuation. Deshalb greifen wir zunächst auf die klassischen Instrumente zurück wie die Schaffung eines familienfreundlichen Umfelds sowie Frauenförderung und Mentoring-Programme, mit denen man Führungskräftenachwuchs unter den Kolleginnen ganz gezielt anspricht.
Weiter hat der BR das ›Puls-Talente-Programm‹ zur Förderung der Diversität im Journalismus aufgesetzt, das jetzt im zweiten Jahr stattfindet: Es ist ein gut nachgefragtes Programm, für das sich Quereinsteiger, die in den Journalismus gehen wollen, bewerben können. Außerdem nimmt der BR bei der 50:50-Challenge nach dem Vorbild der BBC teil: Ziel ist es, den Frauenanteil in den Fernseh-, Hörfunk- und Online-Formaten zu erhöhen und Frauen im Programm sichtbarer zu machen. Das ganze Haus steht dahinter, wir haben um die 30 Redaktionen, die mitmachen. Die erste große Evaluation ist Ende des Jahres und ich bin optimistisch, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber Luft nach oben ist immer.«
Obwohl in Berlin geboren, ist Katja Wildermuth eine waschechte Bayerin: Als sie drei Jahre alt war, zogen ihre Eltern mit ihr ins oberbayerische Anzing bei München. Dort erfuhr sie ihre bajuwarische Sozialisation: »Ich war Rollschuh fahren mit den anderen Kindern, ich war im Handballverein, ich war beim Kinderfasching in der Alten Post, ich war beim Maibaum bewachen und so weiter.« Nach einer weißblauen Jugend in Oberbayern blieb Wildermuth nach dem Abitur zunächst in München und studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) die Fächer Deutsch, Geschichte und Sozialkunde fürs Lehramt am Gymnasium: »Ich habe Lehramt studiert, weil ich das damals wie heute für einen tollen Beruf halte. Es geht darum, in ganz entscheidenden Phasen von jungen Menschen jenseits von Wissensvermittlung auch Wertevermittlung und Charakterprägung zu verantworten.«
Während Studium und Promotion in Alter Geschichte nutzte Wildermuth die Möglichkeit, Praktika zu machen und zu jobben: Sie arbeitete unter anderem in einer Pressestelle sowie bei einer freien Produktionsfirma im Bereich Video mit großer Lust am Ausprobieren und mit Neugier auf berufliche Optionen jenseits der Lehramtskarriere. »Geplant habe ich meine Karriere nie, und das habe ich auch bis heute nicht bereut. Ich bin immer gut damit gefahren, da wo man ist, zufrieden zu sein und nichts in die Zukunft aufzuschieben.«
Nach dem 1. Staatsexamen wirkte sie als Dozentin für Alte Geschichte an der LMU und promovierte über die Römische Republik. In diese Lebensphase fiel auch ein Volontariat beim Wissenschafts- und Schulbuchverlag Oldenbourg, und liest man ihre Vita, schien der Weg in die wissenschaftliche Karriere vorgezeichnet. Aber es kam anders: Katja Wildermuth hatte eine besondere Beziehung in die DDR, eine Brieffreundschaft, die sie seit Mitte der 1980er Jahre pflegte. Irgendwann wurde sie dorthin eingeladen und fuhr – nach ein paar Monaten Warten aufs Visum – über Westberlin mit ihrem alten R4 in die DDR – zufällig eine Woche, bevor die Mauer fiel. »Die ja nicht gefallen ist, sondern es gab die friedliche Revolution«, präzisiert sie. »Ich war auch auf Montagsdemos und habe in dieser Zeit beschlossen, mich statt mit Alter Geschichte lieber mit der Gegenwart auseinanderzusetzen, Journalistin zu werden und ganz bewusst in den Osten zu gehen. Ich habe in Dresden beim MDR-Fernsehen angerufen und gefragt: ›Kann ich nicht mal vorbeikommen für ein Praktikum?‹ Aus dem Praktikum wurden dann viele Jahre.«
1994 – aus dem R4 war ein Trabi mit Perlensitzbezug geworden – wechselte Katja Wildermuth innerhalb des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) von Dresden nach Leipzig, wo sie zunächst als TV-Autorin für Politikmagazine im MDR und im Ersten arbeitet, später als Redakteurin für Reportagen zum Zeitgeschehen. 2004 wurde Wildermuth Leiterin der MDR-Redaktion »Geschichte und Gesellschaft«. Crossmediale Großprojekte wie »Geschichte Mitteldeutschlands«, die multimediale App »MDR Zeitreise«, das innovative Geschichtsformat »Breaking News Völkerschlacht« und Wissensvermittlung für junge Nutzer lagen genauso in ihrer redaktionellen Verantwortung wie preisgekrönte Dokumentarfilme von »Neo Rauch«, »Mauerhasen«, »Hitler’s Children«, »Night Will Fall« bis zu »Putins Spiele«.
Für ihre nächste Position musste Katja Wildermuth nicht mehr selbst anrufen, sie wurde angerufen: 2016 wurde sie zur Kulturchefin des Norddeutschen Rundfunks (NDR) berufen. Kulturchefin ist der verkürzte Begriff für die offizielle Tätigkeitsbeschreibung Programmbereichsleiterin Kultur und Dokumentation. In dieser Funktion verantwortete Wildermuth um die 40 TV-Formate für den NDR, Das Erste und ARTE.
Bereits drei Jahre später ein erneuter Umzug zurück ins MDR-Sendegebiet und ein weiterer Schritt nach oben auf der Karriereleiter: Von April 2019 bis Januar 2021 verantwortete Katja Wildermuth als Programmdirektorin des MDR in Halle die crossmedialen Themenfelder Kultur, Wissen/Bildung und Junge Angebote, von ARTE bis FUNK, von Religionsformaten über Naturfilme bis zu den MDR Klangkörpern. In ihrer Zeit beim MDR setzte sich der Sender für den Aufbau und das Konzept einer gemeinsamen digitalen Kulturplattform der ARD unter der Federführung des MDR ein – um »Schätze bundesweit ins Schaufenster« zu stellen, wie es der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow damals ausdrückte. Pikant ist, dass Wildermuths Vorgänger in der Intendanz, Ulrich Wilhelm, das Projekt ablehnte und der BR als einzige von neun ARD-Anstalten bisher nicht teilnimmt.
Besteht Handlungsbedarf für Katja Wildermuth, oder trägt sie die Entscheidung des Vorgängers weiterhin? Dazu die Intendantin: »Die ARD befindet sich in einem Transformationsprozess, innerhalb dessen wir unter anderem versuchen, ein gemeinsames Verständnis von Zukunftsfragen und darauf aufbauend gemeinsame Ziele und Strategien zu entwickeln. Die Idee auch hinter dem Kulturportal ist doch, dass man die starken Inhalte, die die ARD in ihrer Gesamtheit bereitstellt, nutzerfreundlich verknüpft. Das ist ein grundsätzlich richtiger Weg.«
Unabhängig davon setzt der BR auf Kulturschwerpunkte im eigenen Programm, so z. B. kürzlich mit dem Sieben-Tage-Special »BR Kultur 24/7 – Bühne für Bayern« im November mit täglichen Live-Höhepunkten auf der digitalen BR-KulturBühne unter br.de/kultur von Klassik über Kabarett bis hin zu Lesungen und Diskussionen. Abschlusshöhepunkt war ein ganzer Tag mit Kultur in all ihren Facetten im BR Fernsehen.