Es gab eine Zeit, in der ein deutscher Staat 4,5 Prozent seines Nationaleinkommens der Kultur widmete. Das erfährt man aus Gesprächen des Literaturwissenschaftlers Paul Werner Wagner mit Menschen, die nach 1945 in der Sowjetzone und dann in der DDR Kulturpolitik machten. Der erstaunliche und kreative Raum der kulturpolitischen Freiheit, den sie nach der Befreiung tatsächlich schafften, verkümmerte wenige Jahre später unter dem Einfluss des Stalinismus. Auch davon handeln die Gespräche. Mittlerweile viel reicher, stellt der Staat dem Kulturetat heute eine Null vor das Komma. Diese Diskrepanz allein macht neugierig auf das Buch. Aber da ist mehr. Hier wird Zeugnis abgelegt über jene demokratische und antifaschistische Elite Deutschlands, die den Faschismus mit Müh und Not überlebt hatte und vom Stalinismus verfolgt, bedrängt und vergrämt wurde. Paul Werner Wagner veröffentlicht jetzt eine Auswahl von dreizehn seiner Zeitzeugen-Gespräche mit Kulturpolitikern, die im Grunde Fremde im eigenen Land blieben. So erfahren wir Verschwiegenes und Erstaunliches, Tragisches und Komisches. Verharmlost wird nichts. Angesprochen wird der Putsch gegen den einzigen ernstzunehmenden Versuch, die DDR-Wirtschaft und – eben auch – ihre Kulturpolitik zu reformieren. Aufgezeigt wird, wie biedermeierlich Staatsfunktionäre über Kunst sprachen. Das Buch kommt als Chronist der Vergangenen daher, meint aber eine Zukunft, in der sich Utopie und Realität nicht zwanghaft immer wieder gegenseitig verzwergen. Der konventionelle Westblick taugt da nicht. Das Buch hilft zu verstehen, wie die ungelebte Variante der Geschichte hätte aussehen können und warum die einheitsdeutsche Entwertung der Lebensleistungen im Osten ein vor allem kulturelles Problem ist. Der Buch-Titel lässt das Licht ausgehen. Sein Inhalt, indessen, ist ein Lob des Morgenrots. Nach großen Kriegen sind Signale aus Kultur und Kunst überlebenswichtig. Das gilt auch im Vorfeld großer Kriege. Also heute.
1. April 2025