Was hat Deutschland mit Isfahan zu tun? Mehr noch: Was kann man in Deutschland von Isfahan lernen? Wer mit dem Namen dieser Stadt nur die Nachrichten über israelische und US-amerikanische Bombenangriffe auf iranische Atomanlagen verbindet, wird diese Fragen absurd finden. Aber eine Kollegin hat mir vor Kurzem die Augen dafür geöffnet, dass es sich besonders für deutsche Kirchenleute lohnt, wenn sie sich über Isfahan informieren. Mit Negar Hakim – sie stammt aus Isfahan und arbeitet als Kunsthistorikerin an der Technischen Universität Wien – sitze ich gemeinsam in der Redaktion der Zeitschrift »Kunst und Kirche«: Zum Glück sitzen wir da nicht nur. Gerade ist es uns gelungen, diese über einhundert Jahre alte ökumenische, deutsch-schweizerisch-österreichische Zeitschrift in eine neue Zukunft zu führen. So haben wir im Herder-Verlag eine neue Heimat gefunden.

Für unseren Neustart haben wir eine Doppelnummer über die Zukunft der Kirchengebäude herausgebracht. Das ist bekanntlich ein Thema, das viele beschäftigt (zum Glück auch Politik & Kultur). Da die Debatten darum hierzulande aber nicht selten eine gewisse Enge haben, war es uns ein Anliegen, den Blick zu öffnen für die Entwicklungen in Österreich, der Schweiz oder Frankreich. Den interessantesten Artikel hat Negar Hakim beigesteuert, nämlich über die »Umnutzung« und »Nutzungserweiterung« (schön sind diese Wörter nicht, aber präzise) von Kirchen in Isfahan. Gemeinsam mit der ebenfalls aus Isfahan stammenden Architektin und Kuratorin Azadeh Hariri erzählt Hakim davon, auf welche Ideen Kirchengemeinden in ihrer Geburtsstadt gekommen sind, um ihren Sakralgebäuden eine Zukunft zu eröffnen.

Isfahan besitzt mit seinen armenischen Kirchen ein reiches Kulturerbe. Aber es ist bedroht – weniger im baulichen Bestand als in der gottesdienstlichen Nutzung. Denn die Kirchengemeinden werden kleiner. Viele Christen ziehen in die Hauptstadt oder wandern aus. Weniger als drei Prozent beträgt der christliche Anteil an der Gesamtbevölkerung noch. Kirchen waren in Isfahan über lange Zeit öffentliche Zeichen des multikulturellen Zusammenlebens – allerdings auf bescheidene Weise: Aus »Rücksicht« auf die muslimische Mehrheit wurde festgelegt, »dass sich die armenischen Sakralbauten äußerlich von traditionellen armenischen Kirchen unterscheiden. Die äußere Erscheinung vieler armenischer Kirchen erinnert daher an islamische Sakralbauten und zeichnet sich durch einfache Ziegelfassaden, Kuppeln und eine reduzierte Ornamentik aus.«

Gute Nutzung ist der beste Denkmalschutz – dieser Grundsatz gilt auch in Isfahan. Obwohl es in ihrem theologischen Selbstverständnis viel weniger angelegt ist, haben armenische Kirchen begonnen, ihre Sakralbauten für neue kulturelle Nutzungen zu öffnen. Ein gutes Beispiel ist die Vank-Kirche. 2018 wurde hier ein ethnografisches Museum eingerichtet, aber so, dass die architektonische Integrität des Ortes bewahrt blieb. Entscheidend war hier wie andernorts das Engagement des armenischen Katholikosats (der armenischen Kirchenleitung) und der lokalen Kirchengemeinde: »Die Finanzierung erfolgte eigenständig durch Einnahmen aus dem Museumsbetrieb, durch Vermietung kircheneigener Immobilien sowie durch Spenden.«

Die neue kulturelle Nutzungsviel-falt hat dazu geführt, so Hakim und Hariri, »dass ein breiteres Publikum – einschließlich Nichtchristen – in Kontakt mit diesen historischen Stätten tritt, wodurch das öffentliche Bewusstsein für ihren kulturellen Wert gesteigert wird«.

Das ist eine erfreuliche und keineswegs paradoxe Wirkung: Die Nutzungserweiterung hat den Kirchen in Isfahan eine gesellschaftliche Präsenz verschafft, die vom radikal-islamischen Regime eigentlich nicht gewollt sein kann: »Diese Entwicklung steht im Kontrast zu gängigen Vorstellungen über die Religionspolitik des Iran und verdeutlicht, dass religiös-kulturelle Räume auch unabhängig von staatlicher Einflussnahme gesellschaftlich relevant werden können. Der zunehmende Zulauf, etwa zur Vank-Kirche, ist Ausdruck eines wachsenden Interesses jüngerer Generationen an religiöser und kultureller Vielfalt.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2025.