Jörg Friedrich ist Computerspielentwickler, Game-Designer und CEO von Paintbucket Games, einem der erfolgreichsten Indie-Studios Deutschlands und Teil des Saftladen Kollektivs. Paintbucket wurde 2018 von Friedrich gemeinsam mit Sebastian St. Schulz gegründet und u. a. mit dem deutschen Entwicklerpreis ausgezeichnet. Mit ihren erzählenden Computerspielen möchten die Macher von Paintbucket aktiv gegen Rassismus, Antisemitismus und jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Zeichen setzen: »Wir legen besonderen Wert auf einen rücksichtsvollen und historisch genauen Umgang mit der Geschichte.«
Jörg Friedrich wurde 1976 in Heilbronn geboren und fühlte sich von Computern und Spielen schon immer magisch angezogen, auch wenn vor allem sein Vater erst einmal dagegen war: »Ich bin in den 1980ern aufgewachsen und hatte einen Nachbarn, der den ersten C 64 besaß, also den Computer, den man damals hatte. Ich war fasziniert und spielte da, so viel ich konnte. Für meinen Vater war das Teufelszeug. Das hat aber den Reiz eher noch erhöht, denn sobald ich genug Taschengeld zusammengespart hatte, das war glaube ich so mit zehn, habe ich mir einen gebrauchten C 64 besorgt, auch schon ein bisschen entwickelt, aber doch vor allem gespielt.«
Dass er den Gaming Computer an den Familienfernseher anschließen musste, entspannte die familiäre Lage auch nicht gerade. Friederichs Lieblingsfächer waren Deutsch, Gesellschaftskunde und Geschichte, aber er war auch fasziniert vom Reisen und machte nach dem Abi erst einmal eine Lehre als Reiseverkehrskaufmann. Danach arbeitete er in den 1990er Jahren am Flughafen und musste dort oft Zeit totschlagen: »Es gab die Hochsaison, wo sehr viel los war, und dann gab es die Nebensaison, in der man sich gelangweilt hat. Da saß ich also mit zwei Computern an einem Schalter und hatte im Prinzip nichts zu tun. Das war die Zeit, als es mit sogenannten Mods los ging. Mods sind Modifikationen für existierende Spiele. Das heißt, ein Entwickler stellt bestimmte Werkzeuge zur Verfügung, die er für das eigentlich fertige Spiel benutzt hat, um zum Beispiel Abschnitte neu zu gestalten oder Geschichten zu erzählen. Mit diesen kann man relativ barrierearm neue Inhalte entwickeln. Das war mein Einstieg: als mir klar wurde, dass es einen großen Bereich im Gaming gibt, für den ich nicht programmieren können muss, aber mir kleine Abläufe überlegen oder Spielabschnitte gestalten kann. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, dazu kam Ende der 90er das Internet, und man konnte dort Inhalte selber wiederveröffentlichen. Das kam gut an.«
2003 bewarb sich Friedrich an einer privaten Ausbildungsstätte in Berlin, der Games Academy, wurde genommen und lernte dort das »Handwerk« in zwei Jahren. Anschließend war er Game Programmer, so nannte sich das damals. »Ich habe dann aber auch wieder gemerkt, dass nicht die Technik mein Spezialgebiet ist, sondern dass sie für mich nur Mittel zum Zweck ist: Wie kann ich damit das Spiel gestalten oder die Geschichte erzählen, die mir vorschwebt?«
Einer der Dozenten an der Academy engagierte ihn nach der Ausbildung vom Fleck weg, so begannen lange Jahre im sogenannten Triple-A-Bereich der Spieleindustrie. AAA ist praktisch das Hollywood der Gamer, wo es um Umsätze und viel Geld geht – im Gegensatz zum Indie Bereich, zu dem er später wechselte.
Mehrere Jahre arbeitete er unter anderem bei Yager in Berlin, kletterte die Karriereleiter hoch vom Level-Designer bis zum Design-, beziehungsweise Game-Director. Seine Aufgabengebiete wurden breiter, es ging beruflich eher in Richtung Administration, es ging um große Summen und nicht mehr um das, was er eigentlich machen wollte, nämlich Spiele entwickeln. Nachdem ein Projekt eingestellt worden war, nahm er sich eine Auszeit und sah sich im gerade aufstrebenden Indie-Bereich genauer um.
Gleichzeitig trieb ihn die Weltpolitik um. »2016 passierte einiges: der Brexit, Trump wurde Präsident, die AfD ist überall in die Landtage eingezogen, der Front National erstarkte. Das waren alles Sachen, die mich sehr beunruhigt und schockiert haben. Ich dachte, okay, irgendwie rede ich da jetzt immer so viel drüber und rege mich auf Social Media darüber auf, aber das hat so gar nichts mit meinem Beruf zu tun, mit meinem Handwerk oder mit meiner Kunst, wie immer man das nennt. Und: Kann man das nicht irgendwie zusammenbringen?« Themen wie Nationalsozialismus, Faschismus oder Autokratie waren in Games so gut wie kein Thema – abgesehen von Kriegsspielen: »Der ganze Hintergrund – wie es überhaupt dazu kam und wozu es führte, also auch der Holocaust, – kam in Games einfach nicht vor.«
Solche Dinge besprach er dann schon mit dem späteren Mitgründer von Paintbucket, Art Director Sebastian St. Schulz; ihre Überlegungen mündeten im Konzept von »Through the Darkest of Times«. In diesem Spiel mit erzählenden Elementen formt man eine zivile Widerstandsgruppe während der Zeit des Nationalsozialismus. »Kein Bildungsspiel – wir sind ja keine Pädagogen; die Menschen sollen es spielen, weil sie es spannend und interessant finden. Ich vergleiche unsere Games immer mit Filmen wie ›Der Name der Rose‹: spannende Unterhaltung, die trotzdem anspruchsvoll ist und historische Einblicke vermittelt.«
2018 gründeten Schulz und Friedrich Paintbucket und beschäftigen inzwischen 15 Angestellte sowie Freelancer. Denn ein Spiel wie »Through the Darkest of Times« oder den Nachfolger »The Darkest Files«, in dem es um Fritz Bauer und die Vorgeschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse Anfang der 1960er Jahre geht, zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, dauert mehrere Jahre. Und im Bildungssektor landete das preisgekrönte Indie-Studio dann doch irgendwann. Heute nehmen sie Aufträge von Museen und Gedenkstätten an, für die sie Spielsequenzen entwickeln: »Vor allem während der Coronazeit haben diese Einrichtungen überlegt: Okay, jetzt kann grad niemand zu uns kommen, wie erreichen wir denn die Leute? Wie kriegen wir unsere Inhalte an die Menschen? Und da sind eben Games ein Weg dazu.«
Leider wird an allgemeinbildenden Schulen die interessante Möglichkeit, Kinder und Jugendliche durch Games spielerisch an ernste Inhalte heranzuführen, viel zu wenig wahrgenommen. Einzelne engagierte Lehrerinnen und Lehrer würden immer wieder anfragen, aber es gibt sogar mit der Hardware oftmals große Probleme. »Das ist natürlich eine verpasste Chance«, so Friedrich. Zumindest in NRW gibt es derzeit eine Initiative, die sich darum bemüht, Games an Schulen zu bringen.
Im Moment arbeitet Paintbucket im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung an einem Spiel über den Deutschen Herbst. »Das große Geld werden wir wohl eher nicht machen, weil unsere Themen zwar wichtig, aber eine Nische sind und vermutlich auch bleiben. Förderungen sind für uns wichtig – auch wenn sie momentan Wirtschaftsförderungen sind. Und Preisgelder sind natürlich auch essenziell. Wünschen würden wir uns noch eine Kulturförderung für kulturell wertvolle Games und insgesamt, dass die ganze Branche ernster genommen wird. Ich finde, da hätte Deutschland eine Möglichkeit, etwas Besonderes zu machen.«