Um die Erfahrung der kolonialen Vergangenheit angemessen zu erinnern, muss sie zuallererst erzählt werden. Ausgehend von dieser Prämisse will der von Henning Melber, Forschungsdirektor des Nordic Africa Institute, und Kristin Platt, Leiterin des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung der Ruhr-Universität Bochum, herausgegebene Sammelband »Koloniale Vergangenheit – postkoloniale Zukunft?« die Beziehungen zwischen Deutschland und Namibia neu denken.

Dafür verbinden die Herausgebenden die Auseinandersetzung mit kolonialer Geschichte und die zugehörigen Herausforderungen mit dem Bemühen, weitgehend ignorierten namibischen Stimmen Gehör zu verschaffen. Melber und Platt machen dabei auch deutlich, dass die Aufarbeitung ein Prozess ist, der nur dann wirklich beginnen kann, wenn man sich der Vielschichtigkeit von Erfahrungen, Erinnerungen und Einschätzungen stellt sowie den Konflikt der Begegnung zulässt. Dies schließe, so Melber und Platt in der Einleitung, auch Missverständnisse und das Missverstehen ein. Ziel ist auch, eigene Erzählungen neu zu hinterfragen.

Dafür teilt sich der Sammelband in drei Teile. Der erste einführende Teil führt unter anderem in thematische Aspekte zum Umgang mit Völkermorden als Herausforderung einer Gedenk- und Erinnerungskultur ein. Der zweite Teil mit der Überschrift »Die Last kolonialer Hypotheken: Perspektiven nicht nur zu Namibia« zeigt Ideen zur europäischen sowie deutschen Bearbeitung des kolonialen Verhältnisses auf. Im dritten und letzten Teil »Deutschland und Namibia in Geschichte und Gegenwart: Namibische Wirklichkeiten« bietet Raum für die Sichtweisen von Menschen aus Namibia.

Den 26 Autorinnen und Autoren gelingt auf rund 250 Seiten ein sogenannter »Deep Dive« in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des deutsch-namibischen Verhältnisses. Ein dringend notwendiger Beitrag zur überfälligen Aufarbeitung von Deutschlands kolonialer Vergangenheit!

Henning Melber/Kristin Platt (Hg.). Koloniale Vergangenheit – postkoloniale Zukunft?: Die deutsch-namibischen Beziehungen neu denken. Frankfurt am Main 2022

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2022.