Nur wenigen Literaturexperten wird der Name des Verlegers Erich Reiss heute noch etwas sagen. Und doch war er im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik einer der großen Verlegerpersönlichkeiten Berlins. Im Alter von 21 Jahren, von Haus aus begütert, gründete Reiss 1908 seinen Verlag und veröffentlichte Autoren wie Klabund, Egon Erwin Kisch, Peter Altenberg, Ernst Toller, Hugo Ball, Kasimir Edschmid, André Gide und Gottfried Benn. Mit dem bekannteren Kurt Wolff Verlag stand er in mancher Hinsicht in Konkurrenz, aber er übertraf ihn in der Ausstattung seiner Bücher durch namhafte Künstler wie George Grosz. Erich Reiss ist Gottfried Benn wohl erstmals 1919 begegnet und brachte schon 1922 seine »Gesammelten Schriften« heraus, obwohl der 36-jährige Dichter noch gar kein umfangreiches Oeuvre vorweisen konnte. Diese Verbindung mündete in eine lebenslange Freundschaft. Die Briefe Benns aus der Zeit zwischen 1946 und 1951 werden im vorliegenden Buch zusammen mit den Gegenbriefen von Erich Reiss veröffentlicht und werfen ein Schlaglicht auf die schwer geprüfte Freundschaft. Denn Benn hatte den Nationalsozialismus begrüßt (»Mein Bedarf an Juden ist gedeckt«), während Reiss ihm zum Opfer fiel. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er zunächst im KZ Sachsenhausen interniert und konnte im letzten Moment über Schweden (mit Hilfe Selma Lagerlöfs) in die USA emigrieren. Dort heiratete er die Fotografin Lotte Jacobi, der wir so viele ausdrucksstarke Porträts von amerikanischen und emigrierten europäischen Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern verdanken. Der mittellos gewordene Reiss verzichtete in New York auf den Versuch, seinen Verlag neu aufzubauen, und begnügte sich mit der Rolle eines Sekretärs seiner Frau. Der Freundschaft zu Benn tat dies alles keinen Abbruch. »Er hat Sie, von allen Freunden, allein geliebt«, schrieb Lotte Jacobi an Benn, als Reiss 1951 gestorben war.
Peter W. H. Kröger. Erich Reiss – ein jüdischer Verleger in Berlin und sein Briefwechsel mit Gottfried Benn 1946-1951. Berlin 2024