Wenn ich auf dieses Jahr zurückblicke und mich frage, welcher Moment mir vor allem in Erinnerung bleiben wird, fällt mir sofort Hoheneck ein. Im Sommer war ich dort, stand im düsteren Hof des Schlosses, in dem kurz darauf vom Bundespräsidenten eine im Aufbau befindliche Gedenkstätte eingeweiht wurde. Lieber spät als nie. Hoheneck im Erzgebirge war von 1945 bis 1990 ein Schreckensort für Frauen. Politisch unangepasste, widerständige, ausreisewillige Frauen oder schlicht Zufallsopfer wurden hier unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert.

Eine von ihnen war Edeltraut Eckert. 1950 hatte die Zwanzigjährige mit Freunden regimekritische Flugblätter transportiert. Sie war katholisch geprägt und von einem großen Freiheitswunsch erfüllt. Wegen ihrer Flugblattaktion wurde sie zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt. Bevor sie 1958 hätte vorzeitig entlassen werden können, fiel sie 1955 einem Arbeitsunfall zum Opfer und damit dem System: Der Arbeitsdruck war zu hoch, die Arbeitssicherheit zu niedrig, die medizinische Behandlung wurde verzögert und blieb mangelhaft. Sie starb einen überaus schmerzerfüllten und einsamen Tod. Ihr Leichnam wurde eingeäschert und heimlich beigesetzt, die Familie nachträglich und mit größtmöglicher Kälte informiert.

Immer schon hatte Edeltraut Eckert geschrieben, gedichtet und komponiert. Damit behauptete sie sich selbst, die eigene Stimme, ihre Seele. Ihre Gedichte sind liedhaft und romantisch, widmen sich traditionellen Motiven wie den Jahreszeiten, der Nacht, Träumen, Liebe und der Suche nach Glück, dem Sinn des Lebens und dem Tod. Man spürt beim Lesen einen feinen Sinn für Rhythmus und Reim, Melodie und Metapher, auch wenn vieles wenig originell oder modern erscheinen mag. Man fragt sich, was für eine Autorin aus Eckert hätte werden können, wenn sie in Freiheit gelebt, die Literatur ihrer Zeit gelesen und sich mit anderen Autorinnen ausgetauscht hätte. Doch wichtiger als ein literaturgeschichtliches Urteil ist die Menschlichkeit, die sich in diesen Versen ausspricht und gegen das unmenschliche System behauptet. Deshalb waren ihre Gedichte nicht nur für sie selbst überlebenswichtig, sondern auch für ihre Mitgefangenen, die einige von ihnen aufschrieben, auswendig lernten, gemeinsam aufsagten oder sangen. Auffällig ist, dass in Eckerts Versen die unmittelbare Gegenwart nicht vorkommt: »Der harschen, puren Knast-Existenz, der sie täglich real ausgesetzt ist, verwehrt sie den Eingang ins Gedicht«, schreibt Ines Geipel im Nachwort eines Auswahlbandes. Denn dieses soll – ähnlich einem Gebet – höchstpersönlicher Schutz- und Imaginationsraum sein, in dem das Böse keinen Platz und keine Macht hat. Doch lässt sich nicht übersehen, wie die Verse mit der Zeit dunkler werden.

Jetzt, mit Blick auf Weihnachten, habe ich mir den schmalen Band mit ihren Gedichten wieder vorgenommen. Denn von 1950 bis 1953 hat Eckert jeweils ein Gedicht für Heiligabend geschrieben. Dunkle Verse sind dies, denen man Einsamkeit, Schmerz und Angst abspürt, aber auch die Liebe zu ihren Nächsten leuchtet aus ihnen und manchmal auch eine ganz leise Hoffnung. Ein unbedingter Ernst begegnet mir hier. Eckerts intensive Weihnachtssehnsucht macht mir die Bedeutung des höchsten Festes der Christenheit wieder neu bewusst.

Ein paar Verse für den 24. Dezember 1950: »Ihr zündet daheim jetzt die Kerzen an, / ein flackernder Tanz kleiner Sonnen, / ein leises Duften von Raureif und Tann / hält euch so innig umsponnen // Mit heißen Augen schau ich ins Licht, / eh ich zum Gehen mich rüste, / denn mit euch singen kann ich jetzt nicht, / weil ich sonst weinen müsste.« Oder für Heiligabend 1953: »Da alles Leid und alle Klagen / sich stillen und zur Ruhe gehen, / wenn Weihnachtsglocken Frieden sagen / und deine Augen Frieden sehen. // Du sollst nicht zweifeln, dass es werde, / siehst du zur Nacht auch keinen Schein, / denn neues Licht kommt auf die Erde / und du musst stark und gläubig sein.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2024-1/2025