»So sind Künstler!«, dachte ich lachend, als ich vor Kurzem einen wunderbar verräterischen Satz las. Ich stieß auf ihn in der Biografie des früh verstorbenen Kult-Lyrikers Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975) von Michael Töteberg und Alexandra Vasa. In einem seiner letzten Briefe klagte Brinkmann seinem Freund und Kollegen Nicolas Born sein großes Leid – die geringen Buchverkäufe, das fehlende Geld, die mangelnde Anerkennung für seine Avantgarde-Gedichte –, bis diese schmerz- und zornerfüllte Frage aus ihm herausbrach: »Wieso ist die Welt nicht für mich da?« Mit ein wenig Abstand könnte man ihm antworten: »Weil die Welt gerade anderes zu tun hat.« Oder: »Weil die Welt sich nicht so wahnsinnig für schwer entzifferbare Gedichte interessiert.« Oder auch: »Warum sollte die Welt für dich da sein, wenn du dich nur um deine eigene Person und dein vermeintlich epochales Werk drehst?«
Gegenwärtig machen sich viele Menschen in der Kunstwelt Sorgen um ihre Zukunft. Was wird aus den bisherigen Förderungen? Der eine oder andere mag da heimlich seufzen: »Warum sind Politik und Gesellschaft nicht für mich da?« Aber ganz so verzweifelt-eitel wie Rolf Dieter Brinkmann werden die wenigsten sein. Viele bemühen sich um Begründungen dafür, dass sie erhebliche Mittel von der öffentlichen Hand bekommen. Kunst sei eine Säule der Demokratie, der Kitt der Gesellschaft (das hat ein junger Bratschist vor Kurzem tatsächlich in einem Interview erklärt), eine Medizin gegen Rechtsradikalismus. Offenkundig verfangen solche Aussagen immer weniger – weder bei Politik noch Öffentlichkeit. Dafür gibt es einen kaum beachteten Grund, der übrigens eine religiöse Parallele hat.
Bisher war es so: Die meisten Menschen in Deutschland hielten Kultur grundsätzlich für wichtig, nur nicht konkret für sich selbst. Der Staat sollte das Schöne mit ihren Steuergeldern unterstützen, aber ihnen selbst stand fast nie der Sinn danach. Bereitwillig überließen sie die von ihnen mitfinanzierten Sitzplätze in Oper und Theater den kunstseligen Bildungsbürgern. Sie delegierten also die Kultur an den Staat, die Kulturbranche und die überdurchschnittlich Interessierten. Ähnlich verhielt es sich bislang mit den Kirchen: Die meisten Menschen in Deutschland schätzten die christliche Religion und ihre Werte, waren auch willens, mit ihren Kirchensteuern ein vielfältiges Angebot zu finanzieren, das sie selbst aber nicht oder nur sehr selten nutzten. Sie delegierten das religiöse Leben also an die Institution Kirche und die besonders Überzeugten. Dieses Delegationsmodell, das in Deutschland bisher ein weltweit einzigartiges kulturelles und religiöses Programm ermöglicht hat, kommt offenkundig an sein Ende. In der Öffentlichkeit werden die Stimmen lauter, die fragen, warum man für etwas bezahlen soll, das man selbst nicht nutzt. Die Politik reagiert auf die veränderte Stimmung, langsam noch, aber mit eindeutiger Tendenz. Kulturpolitik hat im Wahlkampf und jetzt im Koalitionsvertrag eine sehr untergeordnete Rolle gespielt. Mit ihr lassen sich keine Wahlen gewinnen, sie hilft einem nicht einmal, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen oder Renommee zu gewinnen. Wenn nicht alles täuscht, wird sich diese Bewegung weg vom alten Delegationsmodell in Zukunft verstärken. Die Kirchen haben es längst erfahren, nun dämmert es auch der Kulturbranche.
Da wird die Frage laut: »Und was machen wir dagegen?« Das weiß ich nicht. Moralische Empörung dürfte wenig ausrichten. Es gibt keine Verpflichtung, Kultur oder Religion für lebenswichtig zu erachten. Natürlich kann man all die Bemühungen verstärken, die eigenen Angebote für neue Zielgruppen zu öffnen. Doch die Grundtendenz wird dies nicht umkehren. Vielleicht mag da der Ausspruch einer Künstlerin eine neue Inspiration geben, der allerdings zunächst ziemlich arrogant klingt. Es war Barbra Streisand, die einmal erklärte: »For me, the secret is not to reach out. That’s futile. Instead you have to reach in. And I discovered that the more I turned inward the more the audience was drawn to me.«