Kennen Sie den Matilda-Effekt? Er beschreibt ein Phänomen in der Wissenschaftsgeschichte, bei dem Erkenntnisse und Beiträge von Autorinnen systematisch entwertet, vergessen oder ihren Kollegen (oftmals ihren Ehemännern) zugeschrieben wurden. Nicht, dass Frauen weniger erfolgreich waren, lässt sie in der Geschichte unsichtbar werden, ihre Beiträge wurden vielfach abgewertet oder geleugnet.
Hierin kann man eines der patriarchalen Denk- und Handlungsmuster erkennen, wie sie im 2022 erschienen Band »Unlearn Patriarchy« diskutiert werden. Obwohl diese Muster für viele, die mit ihnen sozialisiert wurden, selbstverständlich erscheinen, sind sie mit Privilegien für bestimmte Normen verbunden – männlich, weiß, heterosexuell, nicht behindert. Für andere, die diesen Normen nicht entsprechen, sind die Selbstverständlichkeiten jedoch weniger selbstverständlich, vielmehr bilden sie die Grundlage für Abwertungen und Ausgrenzungen. In den 15 Beiträgen des Bandes werden zahlreiche Beispiele für jene Denk- und Handlungsmuster präsentiert, in denen das Patriachat spürbar wird. Dabei liefert die stilistisch und thematisch vielseitige Textsammlung eine Fülle an Fakten aus unterschiedlichen Diskursen, wie unter anderem Literatur, Politik oder Alltäglichem. Es geht um strukturelle Themen wie gerechte Organisationsformen und Konzepte neuer Arbeit, technologische Entwicklungen und KI oder genderspezifisches Marketing. Die Beiträge werfen Fragen auf, die interessierte Lesende unweigerlich mitnehmen – warum wird die Diskussion über gendersensible Sprache so erbittert geführt? Warum gibt es Literatur speziell für Frauen oder Duschgel für Männer? Warum kann der Popstar Harry Styles nicht einfach einen Zopf tragen, warum muss es ein »Man Bun« sein? Die Herausgeberinnen zielen auf ein solidarisches Umdenken und regen ein Nachdenken über internalisierte Strukturen, Habitus und Privilegien an. Mit der divers besetzten Gruppe, die ihre Expertise und persönlichen Erfahrungen einbringt, liefert der Band einen inspirierenden Ansatz, das Patriarchat zu verlernen.
Lisa Jaspers, Naomi Ryland, Silvie Horch (Hg.). Unlearn Patriarchy. Berlin 2022