Anders, als die meisten Menschen meinen, ist immer das am interessantesten, was nach einem Skandal passiert. Geschieht überhaupt etwas? Machen die Skandalisierten sich an die eigentliche Arbeit, wenn die Krisenkommunikation abgeschlossen ist? Viele kirchliche und kulturelle Einrichtungen, aber auch Sportvereine (die staatlichen Schulen allerdings noch nicht), versuchen, ihrer Verantwortung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt gerecht zu werden, und legen Schutzkonzepte vor – an »Aufarbeitung« versuchen sich allerdings bisher fast nur die Kirchen, schlecht und recht.

Da ich regelmäßig und gern mit Knabenchören zu tun habe, habe ich auf ihren Websites nachgeschaut und direkt nachgefragt, was sie als Schutzkonzept vorstellen und wie sie es tun. Knabenchöre haben eine besondere Verantwortung, vor allem wenn sie einen Internatsbetrieb und längere Konzertreisen haben. Auf engstem Raum kommen Kinder und Erwachsene zusammen, es bestehen erhebliche Machtgefälle, zudem kann äußerer Glanz manches Übel überdecken und vermeintliches Charisma Täter schützen. In der Vergangenheit gab es hier und dort Probleme mit schwarzer Pädagogik, Grenzüberschreitungen, sogar mit körperlicher sowie sexualisierter Gewalt.

Als Erstes war ich beim Leipziger Thomanerchor und bin gleich auf ein Musterbeispiel gestoßen. Kinderschutz ist schlicht ein integraler Bestandteil professioneller Arbeit. Das sollte man unaufgeregt und unverklemmt kundtun. So ist das Schutzkonzept der Thomaner gut auffindbar und stellt ausführlich, verständlich sowie ohne Dramatisierung vor, welche Vorkehrungen getroffen werden und wie man bei einem Vorfall agieren kann. So schafft man Sprachfähigkeit und Handlungssicherheit. Absolute Sicherheit lässt sich nicht herstellen, aber wenn Mitarbeitende, Eltern und Kinder aufgeklärt sind, können sich schlechte Machtsysteme nicht etablieren. Ebenso überzeugend fand ich die Schutzkonzepte und deren Präsentation bei den Regensburger Domspatzen sowie beim Aachener Domchor.

Andere sind nicht so weit. Bei einigen Websites fand ich entweder kein Schutzkonzept, oder ich fand eines nur nach einigem Geklicke. Ich habe dann E-Mails geschrieben. Mal bekam ich schnell, mal sehr spät eine Antwort. Einige erklärten, sie seien gerade dabei, ihre Schutzkonzepte zu überarbeiten. Das finde ich in Ordnung: Lieber ein gründlich bedachtes und sorgfältig ausgeführtes Konzept als etwas hektisch Zusammengezimmertes. Allerdings könnte man dies auf der Website transparent machen. Gut hat mir die Antwort des Knabenchors Hannover gefallen, dass das neue Konzept so neu nicht sein werde, weil man das verschriftlichen wolle, was man ohnehin schon tue. Die eigene Praxis auf einen Begriff zu bringen und der Öffentlichkeit vorzustellen, hat ja einen Wert für sich. Vorbildlich fand ich, dass in Hannover die Chorsänger gemeinsam einen Chorvertrag erarbeiteten, der beschreibe, welches Verhalten in Ordnung sei. Hier bleibt es also nicht bei einem von oben verordneten Regelwerk, sondern alle einigen sich gemeinsam auf ein gutes Zusammenwirken.

Für die Leserschaft von »Politik und Kultur« ist vielleicht von Interesse: Wie ich nicht nur vom Neuen Knabenchor Hamburg erfuhr, wird die Zusammenarbeit mit Verbänden wie der Deutschen Chorjugend oder dem Landesmusikrat geschätzt. Beim Thema »sexualisierte Gewalt« kann man sich leicht überfordert fühlen – zum Glück gibt es Möglichkeiten, sich zu vernetzen. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden, es gibt gute Vorlagen, die man übernehmen und dabei anpassen kann.

Zum Schluss: Leider gibt es immer noch Knabenchöre, die keine Schutzkonzepte vorweisen und auf Anfragen nicht antworten. Noch ärgerlicher fand ich die »Lösung«, die sich zwei Chöre ausgedacht hatten: Beide haben ihre – inhaltlich recht dürftigen – Konzepte ganz unten neben den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, den Coronaregeln und den Datenschutzbestimmungen versteckt. Wollen sie damit zum Ausdruck bringen, dass für sie Kinderschutz nur eine lästige Formalie ist, zu der man von der Obrigkeit gezwungen werde, die aber bitte niemand zur Kenntnis nehmen brauche?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.