Eine Klarstellung zu Beginn: Ich bin kein Missionar und habe in 30 Jahren kirchlichen Dienstes meines Wissens niemanden »bekehrt«, was immer das bedeuten mag. Aber ich interessiere mich für die Geschichte der Mission. Was mich daran fasziniert, ist diese Paradoxie des Guten: Menschen widmen ihr Leben einem ideellen Zweck, bringen das, was sie für das Heil halten, unter großen Opfern in ferne Länder, doch die Wirkungen ihres Tuns widersprechen nicht selten ihren wohlmeinenden Absichten. Oft sind sie erfolglos, oder sie richten Schaden an, oder die Empfänger ihrer Botschaft machen etwas ganz Eigenes daraus. Die Geschichte der Mission ist also zwiespältig, uneindeutig und oft genug die Summe unbeabsichtigter Nebenwirkungen oder unbewusster Selbstwidersprüche. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die historische Mission mit dem europäischen Kolonialismus zwar nicht identisch, wohl aber untrennbar verflochten war. In alldem ist sie ein ferner Spiegel unserer heutigen Bemühungen um Entwicklungshilfe oder auswärtige Kulturarbeit (oder was davon übrigbleiben wird).

Ich sehe in den evangelischen Missionsgesellschaften und katholischen Missionsorden des 18. und 19. Jahrhunderts deshalb die Vorläufer der heutigen NGOs und des aktuellen Aktivismus. Denn die historische Mission wurde weniger von Staat und Staatskirche betrieben als von Aktivisten und Aktivistinnen, die sich in Netzwerken organisierten, sich über innovative Formen des Fundraisings finanzierten, häufig ein kritisches Gegenüber zu den politischen und wirtschaftlichen Machthabern sein wollten und zu den Begründern globaler Menschenrechtsarbeit wurden. Die historische Mission wurde von »Erweckten« betrieben, den »Woken« ihrer Zeit. Doch so sehr sie sich auf der Seite des allein Guten sahen, waren sie eben in Systeme asymmetrischer Machtverteilung und deshalb des Machtmissbrauchs verflochten – und sind deshalb immer auch schuldig geworden. Deshalb ist es sinnvoll, dass ihre Nachfolgeorganisationen, die kirchlichen Missionswerke, diese Ambivalenzen seit einigen Jahrzehnten reflektieren und daraus Konsequenzen ziehen.

Mit erheblicher Verspätung, aber immerhin, beginnen nun staatliche Kultureinrichtungen mit einer »Aufarbeitung« ihrer kolonialen Verflechtungsgeschichten. Zum Beispiel das Berliner Stadtmuseum. Neugierig habe ich die Ausstellung »Koloniale Gespenster – widerständige Geister« in der Nikolai-Kirche betreten. Sie besteht zum einen aus recht interessanten künstlerischen Interventionen. Zum anderen stellt sie – das ist besonders lehrreich – bisher nicht erzählte Geschichten von widerständigen Menschen vor, die sich gegen die koloniale Unterwerfung ihrer Heimat gewehrt haben. Drittens wird in Texttafeln und Video-Interviews eine kritische Reflexion versucht. Bei Letzterem ist mir ein durchgehender Wille zur Eindeutigkeit aufgefallen: Die historische Mission sei nicht zwiespältig, sondern unbedingt böse gewesen, ausschließlich als religiöse Speerspitze von Imperialismus und Rassismus anzusehen. Jetzt könnte ich erklären, dass ein Geschichtsmuseum nicht so undifferenziert argumentieren sollte. Aber das wäre langweilig.

Aufschlussreicher finde ich es, die dekoloniale Sichtweise, die hier vorgestellt wird, in die Folgegeschichte der historischen Mission einzuzeichnen. Denn zu deren Paradoxien gehört, dass sie eine Reihe von Gegen-Missionen ausgelöst hat: Indigene Religionen entwickelten im Widerstand gegen sie neue Lebendigkeit oder begannen, in Europa Menschen für sich zu gewinnen. So kann man die heutige Yoga-Bewegung als ungewollte Folge der christlichen Mission in Indien verstehen.

Lässt sich der heutige Dekolonialismus ebenfalls als späte Gegen-Mission verstehen? Ähnlichkeiten gäbe es: das Arbeiten in Netzwerken, der moralpolitische Aktivismus, die Unbedingtheit der eigenen Überzeugung, aber auch die eigene Verflochtenheit mit staatlicher Förderung. Ich muss diese Frage nicht beantworten. Ich bin ja, wie gesagt, kein Missionar. Ich interessiere mich nur für die Geschichte und Gegenwart verschiedenster Missionen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 4/2025.