Die Kuratorin Maayan Sheleff ist die neue Beauftragte für Programmarbeit am Goethe-Institut in Jerusalem. Der Standort operiert seit Ende 2024 vom Hansen House aus, einem der lebendigsten Kulturorte der Stadt.

 

Patrick Wildermann: Maayan Sheleff, wie sind die Bedingungen für Kulturarbeit in Jerusalem?

Maayan Sheleff: Jerusalem ist als Ort der Kultur in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Einer der Gründe ist, dass die Gemeinschaften dort viel heterogener sind als beispielsweise in Tel Aviv. In Jerusalem leben viele Palästinenserinnen und Palästinenser, in verschiedenen Stadtvierteln findet man auch Menschen ohne Staatsbürgerschaft, es gibt die unterschiedlichsten religiösen Gruppen. Und all diese Gruppen haben ihre spezifischen kulturellen Kontexte. Es gibt Kulturzentren – wie zum Beispiel FeelBeit, einer der Partner des Goethe-Instituts –, die von Israelis und Palästinensern gemeinsam geleitet werden. Diese Orte sind im positiven Sinne etwas rauer, weniger Mainstream.

 

Was hat Sie daran gereizt, die Leitung des Goethe-Programms dort zu übernehmen?

Ich arbeite seit über 20 Jahren als Kuratorin, sowohl freiberuflich als auch in verschiedenen Institutionen in Israel und im Ausland, oft im deutschen und österreichischen Kontext. Meine Arbeit war bereits sehr politisch und soziopolitisch geprägt. Ich habe meine Doktorarbeit über den Zusammenhang zwischen den Protestbewegungen des letzten Jahrzehnts und partizipativen Praktiken geschrieben. Die Arbeit für das Goethe-Institut schien mir eine großartige Gelegenheit zu sein, meine Verbindungen zu Deutschland auf der einen Seite und zu Jerusalem auf der anderen Seite zu stärken, weil ich ohnehin das Gefühl hatte, zwischen diesen beiden Räumen zu vermitteln: kulturell, politisch, in vielerlei Hinsicht.

 

Es gibt viele Konflikte und Debatten innerhalb Israels, über die wir in Deutschland vergleichsweise wenig wissen. Welche Rolle spielen dabei die Kulturschaffenden?

Ich denke, dass Kulturarbeit und insbesondere die Kulturarbeit einer internationalen Einrichtung mit Sitz in Israel dazu dienen sollte, weiterhin kritische, politische, diskursoffene und komplexe Kunstpraktiken zu ermöglichen. In den letzten Jahren verengen sich die Diskussionsräume, es gibt Budgetkürzungen für kulturelle Einrichtungen, sogar Gewalt gegen Kulturschaffende. Immer wieder werden Veranstaltungen in Israel von radikal rechten Gruppen gesprengt. Das kann zu einer Art Selbstzensur aufseiten der Kultureinrichtungen führen, wenn sie aus Angst bestimmte Inhalte nicht mehr zeigen. Umso dringender brauchen wir sichere Begegnungsräume, in denen auch der Konflikt oder die Sprachlosigkeit Raum haben – ohne dass man sich aufgefordert fühlt, Position zu beziehen.

 

Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist derzeit ein Residenzprogramm für internationale Künstlerinnen und Künstler. Worauf zielt es?

Dieser Schwerpunkt war eine Initiative von Carola Dürr, der scheidenden Leiterin des Goethe-Instituts Israel. Die Idee dahinter ist, den internationalen Kulturaustausch in einer Zeit zu fördern, in der dies äußerst schwierig erscheint. Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand in einer Zeit wie dieser nach Jerusalem reisen möchte, das erfordert auch Mut. Diejenigen, die kommen, fühlen sich dem Austausch umso mehr verpflichtet. Das Programm richtet sich in erster Linie an Kunstschaffende und Kulturakteurinnen und -akteure, die ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Deutschland haben, Gäste aus anderen Ländern weltweit machen einen kleineren Teil aus. Aus Berlin war vor Kurzem der Multimedia-Künstler, Komponist, Filmemacher und Programmierer Adi Gelbart als Resident beim MusraraMix Festival, im Laufe des Jahres erwarten wir weitere Gäste, darunter ein Choreograf und eine bildende Künstlerin aus Deutschland. Aktuell ist Jelili Atiku im YMCA zu Gast, einer weiteren besonderen kulturellen Einrichtung, die mit heterogenen Gemeinschaften arbeitet. Jelili Atiku ist ein nigerianischer Künstler aus Lagos, der sich mit den Heilpraktiken der Yoruba beschäftigt, der indigenen Gemeinschaft, aus der er stammt.

 

Entdeckt er dabei Verbindungen zu Jerusalem?

Interessanterweise sehr viele. Zum Beispiel ist sein ursprünglicher Familienname Apata, was »Stein« bedeutet. Deshalb fühlte er sich sehr zu den Steinen in Jerusalem hingezogen, mit denen er in seiner entstehenden Performance arbeiten wird. Außerdem faszinieren ihn die gelben Schleifen, die Menschen hier als Zeichen des Protests für die Freilassung der Geiseln tragen – in der Yoruba-Kultur hat die Farbe Gelb eine starke Bedeutung, sie steht etwa für eine mütterliche, weibliche Energie. Er wird Frauen, die sich an den Protesten für Frieden und die Freilassung der Geiseln beteiligen, einladen, auch an seiner Performance teilzunehmen.

 

Idealerweise sollen Kulturprogramme zu Vertrauen und Verständigung beitragen. Aber was sind realistische Erwartungen?

Eine berechtigte Frage, zumal das den Werten des Goethe-Instituts entspricht. Ich denke, es geht darum, ein paar Herzen zu berühren, die Hoffnung zu nähren, dass wir hier in Israel immer noch eine Beziehung zur Außenwelt haben. Ein anderer Aspekt ist, dass es in Israel eher wenig Berührung zwischen Protest und Kultur, Kunst und Aktivismus gibt. Natürlich gibt es viele Kulturschaffende, die sich sehr aktiv an den Protesten gegen die Regierung beteiligen, aber die Bereiche stehen nicht in direkter Beziehung. Hier kommt jemand wie Jelili ins Spiel, der seine künstlerische Praxis als verkörperten Friedensprotest bezeichnet. Es ist eine Performance, aber auch Protest. Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele Menschen auch von außerhalb wahrnehmen, dass solche Dinge in Israel möglich sind. Die Realität ist längst nicht so schwarz-weiß, wie es oft den Anschein hat.

 

Vielen Dank.

 

Das Interview wurde am 12. Juni 2025 in Berlin geführt, vor der militärischen Eskalation zwischen Israel und Iran.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2025.