Man kann es sich einfach machen und die Rückgabe der Benin-Bronzen nur als Vergangenheitsbewältigung betrachten. Als Anerkennung von vergangenem Unrecht. Als Rekonstruktion von Gerechtigkeit. Aber das greift zu kurz: Die Rückgabe von Benin-Bronzen ist mehr, als Relikte der Vergangenheit von einer Museumsvitrine in eine andere, weiter entfernte Museumsvitrine zu tragen, um zu erzählen, was war. Es geht vor allem darum, eine gemeinsame Zukunft zu schaffen. Nirgendwo wird das deutlicher als in Benin City.

Benin City war einst eine der stolzesten und schönsten Städte der Welt – ihre Stadtmauer war die weltweit größte von Menschen geschaffene Struktur, viermal so lang wie die Chinesische Mauer, ihre Straßenbeleuchtung europäischen Städten weit voraus, ihre Handwerkskunst – allen voran die Bronzegießerei – bis heute spektakulär.

Im Februar 1897 zerstörten und verbrannten britische Streitkräfte große Teile der Stadt in einer sogenannten Strafexpedition und ermordeten Tausende ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Tausende Kunstobjekte – das, was wir heute Benin-Bronzen nennen – wurden geplündert und kamen über Verkäufe und Versteigerungen auf den europäischen Kunstmarkt.

Dieser Raub war und ist Unrecht und ein großer Schatten liegt auf Europa, das dieses Unrecht begangen und gegen die universalen Werte verstoßen hat. Dieser Schatten trägt den Namen Kolonialismus.

Umso notwendiger ist ein Neuanfang auch unserer kulturellen Beziehungen zu den Ländern des afrikanischen Kontinents. Daher bin ich gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock nach Nigeria gereist.

Es ist das eine, am Schreibtisch in Berlin darüber zu lesen und darüber nachzudenken, was der Raub der Kunstschätze für das ehemalige Königreich Benin bedeutet hat und für die Bundesrepublik Nigeria heute bedeutet.

Etwas anderes ist es, hier zu Gast zu sein und diese Kunst des Bronzegießens zu erleben, wie wir es bei unserem Besuch in Benin City durften, die Vielfalt Nigerias kennenzulernen, seiner Ethnien, seiner Kulturen, seiner Kunst. Ja, ich kann auch in Berlin das Unrecht erkennen, das der Raub dieser Bronzen bedeutet. Doch welchen Verlust er für die Kultur dieses Landes und seiner Menschen bedeutet hat, kann man erst wirklich ermessen, wenn man ihnen begegnet.

Ein Kulturerbe ist etwas, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Man kann es befragen, es weist uns einen Weg durch die Geschichte. Auch in Berlin war das möglich. Aber die Kunstobjekte sagen uns in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien nicht dasselbe wie in Nigeria.

Uns weisen sie auf uns selbst zurück, auf unsere Geschichte, unsere koloniale Vergangenheit. Deutschland hat die Benin-Bronzen nicht selbst gestohlen, aber es hat sich an der Hehlerei dieser Objekte wissentlich beteiligt. Es war bekannt, wo sie herkamen und warum sie nicht mehr dort waren.

In Nigeria, im neu entstehenden Museumsdistrikt in Benin City können sie ihre eigene Geschichte erzählen, ihren eigenen neuen Kontext bekommen, als Teil einer – so sagt es der Architekt des Museums David Adjaye – Renaissance afrikanischer Kultur.

Kolonialismus bedeutet auch die Zerstörung von Kultur. Und diese Zerstörung zielt auf eine Entmenschlichung des Opfers. Mit seiner Kultur soll es verlieren, was seine Identität ausmacht. Auch deshalb war und ist Kolonialismus ein Verbrechen.

Am 1. Juli 2022 hatten Deutschland und Nigeria in Berlin eine Gemeinsame Erklärung zur Rückgabe von Benin-Bronzen und bilateraler Museumskooperation unterzeichnet, die die Grundlage für Eigentumsübertragungen bildet. In Abuja haben wir nun 20 Benin-Bronzen zurückgegeben. Sie sind der Auftakt für die jetzt beginnenden Rückgaben und stehen stellvertretend für alle weiteren beteiligten deutschen Museen. Schon bald werden noch mehr dieser wunderbaren Bronzen wieder in ihre Heimat zurückkehren.

Auch künftig werden Benin-Bronzen als Leihgaben in deutschen Museen gezeigt werden können. Wir werden uns der daraus entstehenden Verantwortung würdig erweisen und gemeinsam Hüterinnen und Hüter für diese Kulturgüter von universeller Geltung sein.

Was damit begonnen hat, ist kein Schlussstrich, es ist ein Beginn. Der Beginn künftiger Kooperationen und eines stärkeren Kulturaustauschs. Es beginnt eine neue, eine gemeinsame Zukunft. Dazu wollen wir die deutsche und nigerianische Zusammenarbeit bei Museen, Ausstellungen, Gegenwartskunst und Archäologie vertiefen, den Aufbau des Kulturdistrikts in Edo State unterstützen und das gemeinsame Lernen stärken, für das exemplarisch das MuseumsLab steht. Wenn es uns gelingt, diesen Weg weiterzugehen, dann bin ich überzeugt, er wird uns in eine gemeinsame Zukunft führen, eine gemeinsame Zukunft Deutschlands und Nigerias und unserer beiden Kontinente – Europa und Afrika.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.