Ein Glück, dass sich in Shanghai derzeit fast keine deutschen Studierenden aufhalten: Die von der Stadtverwaltung wegen des Omikron-Ausbruchs verhängten Maßnahmen sind für Betroffene kaum zu ertragen. Von den Universitätsleitungen wurde oft frühzeitig ein sogenanntes Closed-Campus-Management und strikte Hausquarantäne eingeführt. Alle Hochschulangehörigen werden durch Massentest geschleust und sind auch nach mehrfachen negativen Tests weiterhin in den Wohnungen, manche sogar in ihren Büros festgesetzt. Seit der Coronapandemie verlassen immer mehr Ausländerinnen und Ausländer China, auch das bisher als relativ frei und attraktiver Studien- und Arbeitsstandort bekannte Shanghai. 

Und doch ist es ein Unglück: Internationale Studierende hatten seit Monaten darauf gehofft, dass die seit März 2020 geltende Einreisesperre aufgehoben wird. Denn der akademische Austausch mit China ist in der Pandemie in eine Schieflage geraten: Während Chinesinnen und Chinesen ihre Studienvorhaben in Deutschland verfolgen konnten, blieb die Tür nach China für internationale Studierende geschlossen – egal ob geimpft, getestet oder genesen. Chinesische Studierende durften an die deutschen Partnerhochschulen oder zumindest an den Gastort reisen; die deutschen mussten sich mit Online-Unterricht zufriedengeben und auf ein persönliches Chinaerlebnis verzichten.  

Dabei spielen in China Ausländerinnen und Ausländer für die Weiterentwicklung des Bildungs- und Wissenschaftssystems nach wie vor eine wichtige Rolle. China will bis 2049 die wichtigste Wissenschaftsnation der Welt werden. Neben dem Ausbau der wissenschaftlichen Infrastruktur und inländischer Bildungsreformen braucht es dafür akademischen Austausch mit dem Ausland und dies war in den vergangenen Jahrzehnten ein sehr erfolgreiches Modell. Internationale Kooperationen mit Ko-Publikationen sind gefragt, chinesische Talente werden im Ausland an den besten Universitäten ausgebildet und anschließend ins Land zurückgeholt. Und vergleichbar mit den Internationalisierungsbestrebungen anderer Länder, ist für China das Rekrutieren ausländischer Lehrender und Forschender essenziell. Entsprechend wurden viele ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vergangenen zwei Jahren dann auch zu den »dringend benötigten Experten« gezählt, die unter Mühen teilweise wieder einreisen durften. 

Chinas Aufstieg als Wissenschaftsnation ist, getragen von einem langanhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung, gut vorangekommen – auch qualitativ. Doch im Handelskonflikt mit den USA und den wachsenden geopolitischen Spannungen hat sich die Technologierivalität massiv verstärkt. China ist vom strategischen Partner zum größten Wettbewerber vieler westlicher Staaten geworden. Auch deutsche Wissenschaftsorganisationen sehen sich mit diesem Paradigmenwechsel konfrontiert, der die bisherige intensive Zusammenarbeit auf den Prüfstand stellt. Auf der einen Seite bieten deutsch-chinesische Kooperationen Studierenden und Forschenden Anschluss an die kommende Weltspitze, sichern oftmals den wissenschaftlichen Nachwuchs für Arbeitsgruppen in Deutschland und gewähren Zugang zu teilweise hervorragenden Forschungsbedingungen und -lokalitäten in China. Auf der anderen Seite breitet sich bei deutschen Wissenschaftsorganisationen und Behörden die Sorge um fehlende Offenheit und um ungewollten Abfluss von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus. 

Letzteres gilt inzwischen auch in Richtung China-Deutschland: Ein langjähriger Dozent an einer chinesischen Spitzenuniversität bestätigt, es gehe heutzutage bei der internationalen Zusammenarbeit in Ingenieurs- und Naturwissenschaften für chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem um den Reputationsgewinn durch die Zusammenarbeit mit Deutschland. Der technische Wissensstand, die Methodik und Fertigkeiten seien im Wesentlichen gleich gut entwickelt, wenn nicht sogar besser. Zugleich bräuchte der chinesische Wissenschaftsnachwuchs aktuell noch ausländische Partner für die Anerkennung in der weltweiten wissenschaftlichen Community. Mit zunehmender Selbstreferentialität Chinas im Wissenschaftsbetrieb könnten ausländische Forschende und Lehrende im Land weniger gefragt sein. Auch in China wächst die Sorge um Wissenstransfer ins Ausland. 

Während China mit Abstand das größte Herkunftsland internationaler Studierender ist, machten bereits vor der Pandemie ausländische Studierende in China weniger als ein Prozent der Studierendenschaft aus. Wie viele Deutsche langfristig in China lehren und forschen ist nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von wenigen Hundert aus. Angesichts der wachsenden Signifikanz des chinesischen Wissenschaftssystems und der Bedeutung eines guten Zugangs dazu, wäre ein stetiges Anwachsen dieser Personengruppe im deutschen Interesse. Nicht nur in Pandemiezeiten, wo an Delegationsreisen, Konferenzbesuche, Forschungskurzaufenthalte oder Blockvorlesungen nicht zu denken ist, sind Personen vor Ort für eine gute Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis von besonderer Relevanz. Zugleich wird bei Umfragen deutlich: Die vielfältigen Herausforderungen im chinesischen Universitätsalltag und der begrenzte Reputationsgewinn durch einen Chinaaufenthalt führen auch ohne pandemischen Ausnahmezustand dazu, dass China für europäische Forschende kein sehr beliebtes Zielland für längere Aufenthalte ist.  

Zwar berichten junge Naturwissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler aus Deutschland, dass die in China gebotenen Gehälter inzwischen europäisches Niveau erreicht hätten und ihre chinesischen Gastinstitute zu den führenden ihres Fachgebietes zählten. Zudem seien forschende Arbeitsgruppen oftmals größer als in Europa und es gebe großzügige Forschungsfonds und Möglichkeiten für internationale Vernetzung durch Teilnahme an Konferenzen. Zugleich nehme durch die Coronapandemie und die Einschränkungen im Land die Attraktivität einer wissenschaftlichen Arbeit in China rapide ab.  

Der DAAD beobachtet zudem schon seit Jahren schrumpfende akademische Freiräume und eine zunehmende Ideologisierung an den chinesischen Hochschulen. Die Handlungen und Anweisungen von Staatspräsident Xi Jinping und seiner Regierung sind eindeutig: Forschung und Lehre sind in erster Linie der Parteidoktrin und nationalen Interessen untergeordnet. China öffnet sich nicht gegenüber westlichen Demokratien und Ideen, sondern hat seine eigenen Vorstellungen vom globalen Zusammenleben und beansprucht in immer mehr Bereichen die Deutungshoheit. Der chinesische Aufstieg kommt einher mit einem totalitären Überwachungsstaat der Kommunistischen Partei. 

Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften sind die Auswirkungen dieser Politik deutlich sichtbar. Dort gibt es nur noch wenige Bereiche, in denen eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit möglich und sinnvoll ist und es verwundert nicht, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wegen fehlender Freiheit frustriert das Land verlassen und meiden. Dabei sind persönliche Kontakte und informeller Austausch für den Vertrauensaufbau und die Aufrechterhaltung von Dialogkanälen unerlässlich. Berichte über die systematisch versuchte Einflussnahme der Partei auf den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland verbreiten darüber hinaus berechtigte Sorgen und steigern Verunsicherung und Zurückhaltung bei den Verantwortlichen in deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die Riege der Befürworter für ein China-Engagement ist geschrumpft oder zumindest leiser geworden. 

Der Mangel an deutschen Brückenbauerinnen und Brückenbauern in China ist dabei alarmierend: Verlust von Vertrauen und fehlende neue Ideen für zukünftige Kooperationen kommen einem Verfall der deutsch-chinesischen akademischen Zusammenarbeit gleich. Die Null-Covid-Strategie Chinas und die damit einhergehende Abschottung ist zu einer Zerreißprobe für oftmals jahrzehntelange Zusammenarbeit geworden.  

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2022.