Turkmenistan ist ein abgeschottetes Land in Zentralasien. Es gilt ein Visaregime, das mit Nordkorea verglichen werden kann: Reisen in das Land sind grundsätzlich möglich, bedürfen jedoch eines langwierigen Antragsverfahrens. Viele Touristen lassen sich auch von den obligatorisch zu buchenden und damit teureren Gruppenreisen abschrecken, die einen individuellen Besuch fast unmöglich machen. Das trägt dazu bei, dass sich die allgemeine Berichterstattung über Turkmenistan auf Reiseerinnerungen reduziert und damit nur ein unvollständiges Bild entsteht. Im Themenfeld Architektur steht dabei das UNESCO-Weltkulturerbe im Fokus: Orte wie Merv und Köne Ürgench zeugen von einer urbanen Hochkultur in Zentralasien, zu einer Zeit, als die Völker in Mitteleuropa noch in den Wäldern hausten. Da die antiken Regionen ab dem 16. Jahrhundert über 400 Jahre zu den Khanaten Chiwa und Buchara gehörten – beides Destinationen, die touristisch erfolgreich von Usbekistan vermarktet werden –, bemüht sich Turkmenistan um eine eigene Geschichtsdeutung des Mittelalters. Zu groß erscheint die Angst, dass die sowjetische Grenzziehung von vor 100 Jahren von Separatisten in Frage gestellt werden könnte. 

 

Ein Ferienresort am Kaspischen Meer 

Öffentliche Diskussionen mit unterschiedlichen Meinungen sind in Turkmenistan ein Tabu. Die Präsidentenfamilie Berdimuhamedow hat die volle Kontrolle über das politische Leben und die Wirtschaft des Landes. Eine regierungskritische Opposition existiert nicht. Der ehemalige Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow (geb. 1957) machte zwar den Posten 2022 für seinen Sohn Serdar Berdimuhamedow (geb. 1981) frei, ist als Vorsitzender des Volksrates aber immer noch der ranghöchste Amtsträger der ehemaligen Sowjetrepublik. Sohn Serdar machte eine steile Karriere, als er 2020 zum Chef eines neu geschaffenen Ministeriums für Industrie und Bau ernannt wurde. Schon damals deuteten internationale Beobachter dieses Amt als Zwischenschritt zur Präsidentschaft. Der Industrie- und Bausektor dient wie im rohstoffreichen Kasachstan als Durchlauferhitzer der gesamten Wirtschaft. Er dient auch der politischen Profilierung. Während der nordwestliche Nachbar seit Ende der 1990er Jahre seine Hauptstadt Astana mitten in der Steppe baute, stieg Gurbanguly Berdimuhamedow 2006 in die Fußstapfen des ersten Präsidenten Saparmyrat Nyýazow und machte die Hauptstadt Aschgabat zur Stadt mit der weltweit höchsten Dichte an Marmorgebäuden. Saparmyrat Nyýazow, Patronatsname Turkmenbaschi (zu Deutsch: Vater der Turkmenen), hatte begonnen, Aschgabat radikal umbauen zu lassen. Wenn die Bauten aus der Sowjetära nicht von Baggern abgerissen wurden, erhielten sie einen Mantel aus weißem Marmor. Da dieser Naturstein in Turkmenistan nicht zu den natürlichen Ressourcen zählt, muss er aus der Türkei, für Sonderbauten sogar aus dem italienischen Carrara importiert werden. Der ohnehin aufwändige Transport erlaubt jedoch nur Plattengrößen im Format von Badezimmerkacheln.  

Der Neubau oder Umbau der Hauptstadt ist seit dem 20. Jahrhundert zum deutlich sichtbaren Element einer nationalen Identität avanciert. Für autoritäre Systeme, in denen die Zivilgesellschaft sich nicht als Bändiger einer radikalen Planungswut des Staates beweisen kann, gilt dies umso mehr. Voraussetzung dafür ist jedoch eine potente Bauindustrie, die in der Lage ist, utopische Pläne der Herrschaftselite umzusetzen. Im Fall von Turkmenistan garantierten diese Kompetenz ausländische Mischkonzerne, allen voran die französische Bouygues-Gruppe. Im Zuge seiner Machtfestigung erkannte auch Berdimuhamedow das Potenzial der Bauindustrie als populäres Politikfeld. Im Mai 2007 kündigte der zuvor im Amt bestätigte Nyýazow-Nachfolger den Bau eines Erholungsorts am Kaspischen Meer an. Die Idee war nicht neu, nach dem Vorbild der Golfstaaten die Einnahmen aus dem Verkauf fossiler Ressourcen durch prestigeträchtige Neubauten in die Volkswirtschaft einzuspeisen. Während Nyýazow noch 2006 versprochen hatte, ein turkmenisches Kuwait zu schaffen, strebte Berdimuhamedow nun ein turkmenisches Dubai an und taufte sein Geistesprodukt Awaza. Das touristische Großprojekt mit einem Dutzend Großhotels ist als nie ausgebuchter, aber Milliarden US Dollar teurer Ferienort ein Sinnbild für Verschwendungssucht geworden. Ein acht Kilometer langer Kanal trennt eine exklusive Hotelzone vom Hinterland. Aus der Vogelschauperspektive zeigt sich, wie Architektur und Städtebau in Turkmenistan interpretiert werden. Dicht nebeneinander liegen aufwändig gestaltete Gärten mit ondulierenden Wegen und symbolischen Ornamenten: Herz, Lotusblüte oder Kreis als Urform der antiken Städte zwischen Persien und China. Die Szene wirkt, als hätten Kinder ihre Spielteppiche am Strand ausgelegt und bauten nun mit weißen Klötzen ihre Fantasiehäuser. Die städtebauliche Anlage wirkt für das westliche Auge irritierend und erinnert an die wahnwitzigen künstlichen Inseln vor Dubai. Doch während sich auf The Palm oder The World die internationale Geldelite feiert, wirkt Awaza wie ein staatliches Sanatorium mit strenger Etikette. Dennoch: Für das turkmenische Selbstverständnis ist Awaza ein Sehnsuchtsort, auch wenn die wenigsten Bürger ihn jemals werden besuchen können.  

 

Eine Smart City an der Grenze zum Iran 

Die Abschottung von der restlichen Welt und die ungleiche Verteilung des Reichtums im Land sind – gepaart mit der despotischen Herrschaft einer kleinen Elite – die größten Hindernisse beim »Aufbau eines Landes mit einer der weltweit höchsten Entwicklungsstufen«, wie sich der Präsident bei der Formulierung seiner Staatsziele gerne zitieren lässt. Dennoch will sich Turkmenistan auch in Sachen Stadtplanung international profilieren, und zwar mit einer intelligenten Stadt der Zukunft. Wie eine solche Smart City nach zentralasiatischer Vorstellung aussehen kann – darauf gibt das Land seit dem vergangenen Herbst bereits einen Vorgeschmack. Binnen vier Jahren ist 30 Kilometer westlich von Aschgabat das Großprojekt Arkadag City entstanden. Der Name bedeutet in der turkmenischen Sprache Beschützer und ist zugleich der Patronatsname des ehemaligen Präsidenten (Arkadag) und seines Nachfolgers (Arkadag Serdar). Um die weiß strahlenden Neubauten mit Bewohnern zu füllen, enteignet der Staat Bewohner umliegender Dörfer und siedelt sie in Neubauquartiere um.  

Die Stadt Arkadag ist als große rechteckige Fläche auf der Nordseite des mythischen Köpetdag-Gebirges angelegt, über das die ersten Turkmenen nach Befreiung von der persischen Gefangenschaft ins heutige Stammland gelangten. Wer durch diese Retortenstadt fährt, hat unweigerlich das Gefühl, durch ein Potemkinsches Dorf zu fahren. Die meisten der neungeschossigen monotonen Wohngebäude sind noch nicht bewohnt. Jedes Viertel gleicht dem anderen, und nur die pathetischen Namen, die in Schreibschrift auf den Dächern angebracht sind, lassen eine gewisse Unterscheidbarkeit zu. Das strenge Verkehrsraster wird durch runde Straßen durchbrochen, an denen öffentliche Gebäude liegen. Dazu zählt ein überdimensional wirkendes Rathaus, das als Kulisse für ein Denkmal am Hauptplatz dient. Auf dem säulenartigen Monument thront eine vergoldete Reiterfigur: der Präsident als Beschützer des gesamten Volkes. 

An Arkadag lässt sich exemplarisch ablesen, wie eine turkmenische Idealstadt auszusehen hat. Einer Tradition der nomadischen Vergangenheit folgend, am neuen Rastplatz die Jurte aufzubauen und den Vorplatz mit Teppichen auszulegen, liegt auch Arkadag wie ein Teppich in der Landschaft. Die Symmetrie der Straßen sowie Plätze, die grafische Anlage der Freiflächen und die sich wiederholenden Muster der Wohnquartiere könnten genauso das Muster eines Teppichs nachzeichnen. Die markantesten Gebäude liegen im südlichen Teil der zukünftig 70.000 Bewohner zählenden Siedlung. Dort sind entlang der umlaufenden Straße eine Akademie für Pferdezucht, ein Wissenschaftszentrum für Pferdesport und ein Pferdezirkus entstanden. Eingangsportale in Form vergrößerter Hufeisen lassen schon von Weitem erkennen, dass es hier um Funktionen nationaler Bedeutung geht. Denn Turkmenistan ist weltweit das einzige Land, das sich eine Pferdebehörde mit den Kompetenzen eines Ministeriums leistet. Neben dem Pferdekult preisen die turkmenischen Medien die zehn Spezialkrankenhäuser an, die Arkadag zu einem Gesundheitszentrum qualifizieren sollen. Doch die Frage bleibt offen, welche Ärzte hier arbeiten sollen, wenn junge Medizinstudierende nur Aussicht auf einen schlecht bezahlten Arbeitsplatz haben. Währenddessen lässt die Nomenklatura ausländische Ärzte mit Privatflugzeugen einfliegen oder begibt sich für medizinische Behandlungen ins Ausland. Anspruch und Realität klaffen auch hier weit auseinander. 

Einen ähnlichen Mangel an Plausibilität gibt es derzeit auch noch bei der Definition von Arkadag als Smart City. Die dafür nachzuweisenden Parameter für soziale, technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen mögen in der Theorie formuliert worden sein. Bei ihrer Umsetzung zeigen sich jedoch konzeptionelle Fehlentscheidungen. Dazu zählt etwa die Ausrichtung des Verkehrsnetzes auf den Individualverkehr, auch wenn Taxis und Busse mit Elektromotoren angetrieben werden. Wuchtige Fußgängerüberführungen mit beiderseitigen Aufzugsanlagen werfen die Frage auf, für wen diese ökologische Idealstadt mit ihren fußläufig mühsam erreichbaren Funktionen errichtet wurde. Zwischen den Wohnbauten ist zwar so viel Platz, dass die gepflanzten Bäume binnen einer Generation für eine bewaldete Stadtlandschaft sorgen werden. Doch muss auch Turkmenistan mit einem Klimawandel rechnen, der die heißen Sommer von über 40 Grad noch heißer machen und die Tage mit Minustemperaturen möglicherweise erhöhen wird. Mit höchstem technischem Aufwand ließ die Präsidialverwaltung einen Animationsfilm erstellen, der eine hydrologische Regulierung des Stadtklimas darstellen soll. Das Wassermanagement sieht vor, dass Drainagewasser aus dem Boden und Tauwasser aus den Bergen die Versorgung der üppigen Grünflächen inner- und außerhalb der Stadt garantiert. Das Konzept sieht auch vor, dass der Waldgürtel in einigen Jahren so kräftig angewachsen ist, dass der künstlich zugeführte Wasserbedarf reduziert wird.  

 

Bauen für nicht existente Staatsbürger 

Trotz beeindruckender Quantitäten im Bausektor stellt sich die Frage, für wen denn überhaupt gebaut wird. Eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik basiert auf demografischen Daten sowie einer kritischen Auseinandersetzung innerhalb von Fachöffentlichkeit und Gesellschaft. Beides ist in Turkmenistan nicht existent. Das Land liegt auf dem Pressefreiheitsindex seit Jahren auf einem der letzten Plätze. Der Staat kontrolliert alle Print- und elektronischen Medien. Ausländische Medien haben praktisch keinen Zugang zum Land, und ihre wenigen freiberuflichen Korrespondenten vor Ort unterliegen strengen Beobachtungen. Immer wieder gibt es Berichte über Drangsalierungen, Reisepassentzug oder temporäre Festnahmen mit Folter. Die Behörden halten Zeitungen, Radio, Fernsehen und Internet unter strenger Kontrolle und lassen nur Nachrichten zu, die die Regierung loben. Das macht Printerzeugnisse und offizielle Pressemitteilung aus Turkmenistan als Quelle seriöser Recherche wertlos.  

Im Kontext der 2022 durchgeführten Volkszählung in Turkmenistan kam Luca Anceschi von der Universität Glasgow zu dem Schluss: »In Turkmenistan werden Daten seit 30 Jahren systematisch gefälscht. Es gibt keine Statistiken, auf die man sich verlassen könnte. Sei es das Bruttoinlandsprodukt, die finanziellen Reserven des Staatshaushalts oder die Wirtschaftsindikatoren. Und jetzt sehen wir, dass sogar die Bevölkerungszahl einfach erfunden wurde.« Laut dem Professor für Eurasische Studien lag die Diskrepanz zwischen den offiziell verkündeten und den tatsächlichen Bevölkerungszahlen bei über 50 Prozent. Während die Regierung von 6,2 Millionen Bürgern ausgeht, wollen so genannte Schattenzählungen nur 2,7 Millionen Bewohner im Land erfasst haben. Offensichtlich hat der Staat bei den Befragungen auch Familienmitglieder erfasst, die sich als Arbeitsmigranten im Ausland befinden. Solche Zahlenmanipulationen wirken sich auf eine sinnvolle Planungs- und Baupolitik aus. Sie wird bei derartigen Unterschieden unmöglich. Denn wie soll der Bedarf an städtischer und sozialer Infrastruktur ermittelt werden, wenn die Nutzer nur als geschönte Zahl in einem demografischen Bericht existieren? Für wen soll also was gebaut werden? Im Turkmenistan des 21. Jahrhunderts spielen diese Fragen keine Rolle. Doch was nützt es der Architektur als Verräumlichung gesellschaftlicher Entwicklungen, wenn sie zwar ein zentrales Element der nationalen Identität verkörpert, aber keinen wirklichen Beitrag zur Lösung einer gesellschaftlichen Erneuerung leistet. Dazu müsste der Staat sein Gestaltungsmonopol aufgeben und dem privaten Sektor zu bauen erlauben, was auf dem Immobilienmarkt wirklich nachgefragt wird. Ein exklusives Resort am Kaspischen Meer oder eine Smart City wären möglicherweise nicht auf der Wunschliste einer zunehmend verarmenden Bevölkerung. 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2024.