Der Genozid von Srebrenica, das schwerste Kriegsverbrechen seit Ende des zweiten Weltkriegs in Europa, jährte sich 2025 zum 30. Mal. Die Armee der Republik Srpska hatte in wenigen Tagen 8.372 Bosniakinnen und Bosniaken muslimischen Glaubens ermordet. Erstmalig beging der Deutsche Bundestag in diesem Jahr den 2024 von der UN-Generalversammlung ins Leben gerufenen »Internationalen Tag der Besinnung und des Gedenkens an den Völkermord in Srebrenica 1995«. Trotz dieser weiteren Anerkennung wird der Genozid auch im deutschen Kontext verharmlost. So sprachen einige Medien von einem Massaker und wiederholten so die verleugnende Rhetorik der Regierungen in Serbien und der Republik Srpska. Bei der Aussprache zum Jahrestag wurde es Überlebenden des Genozids aufgrund des Neutralitätsgebots nicht gestattet, ihre »Blumen von Srebrenica«-Gedenkanstecker zu tragen. Zudem mussten sie erleben, wie die Gedenkstunde von AfD-Abgeordneten dazu missbraucht wurde, antimuslimischen Rassismus und Xenophobie zu schüren.
Die Junge Südosteuropa-Gesellschaft (JSOG) organisierte anlässlich der Jahrestage des Genozids und des Kriegsendes in Bosnien und Herzegowina eine Exkursion unter dem Titel »30 Jahre Dayton-Abkommen – (K)ein Modell für die Zukunft Bosnien und Herzegowinas?«, um die Auswirkungen des Friedensabkommens zu beleuchten. Die JSOG ist die Nachwuchsorganisation der Südosteuropa-Gesellschaft e. V. (SOG); institutionell gefördert durch das Auswärtige Amt, gehört die SOG seit 1952 zu den wichtigen Trägern der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik. Der Fokus der im Jahr 2023 gegründeten Nachwuchsorganisation liegt auf Vernetzung, Wissensaustausch und Weiterbildung der jungen Mitglieder, wozu sie eigene Veranstaltungen und Aktivitäten organisiert. Ziel der jährlichen Exkursionen ist die Beschäftigung mit aktuellen Themen in der Region Südosteuropas und der Austausch mit jungen Akteuren vor Ort.
Zum Einstieg erlebten die an der Exkursion teilnehmenden Studierenden sowie Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger die kulturelle Vielfalt, die sich in Europa einmalig zwischen Orient und Okzident herausgebildet hat. In Sarajevo – aufgrund des interreligiösen Zusammenlebens bisweilen Jerusalem Europas genannt – ist bereits bei einem kurzen Spaziergang Architektur aus der Zeit Österreich-Ungarns, des osmanischen Reichs und des sozialistischen Jugoslawiens erfahrbar. Unter anderem durch die Rosen von Sarajevo, die in Rot Granateneinschläge markieren, denen Menschen unter der Belagerung 1992 bis 1995 zum Opfer fielen, bleibt auch der Bosnienkrieg im Stadtbild verhaftet.
Am 21. November jährt sich die Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton, das den Bosnienkrieg beendete und aus dem ein unabhängiger Staat mit einer Verfassung hervorging. Die Umsetzung des »Allgemeinen Rahmenabkommens für den Frieden in Bosnien und Herzegowina« wird bis heute durch den Hohen Repräsentanten (HR) – bestimmt durch die internationale Gemeinschaft – und das ihm unterstellte Büro (OHR) überwacht.
Die Exkursionsteilnehmenden besuchten die Deutsche Botschaft und das OHR, in dem zweiwöchentlich die Botschaften der Mitglieder der Peace Implementation Force zusammenkommen. Ein Mitarbeiter berichtete von der Arbeit des Büros, das inzwischen nur noch 100 von früher 1.000 Mitarbeitenden hat. Diskutiert wurde über die »Bonner Vollmachten«, das negative Bild des HR in der bosnischen Gesellschaft, dem nichts entgegengesetzt wird, und über das Übergangsamt des HR und dessen ausstehende Selbstabschaffung. Die »Bonner Vollmachten« erlauben es dem HR, eigenmächtig Entscheidungen und Gesetze zu erlassen und bei Behinderung der Umsetzung des Friedensabkommens Politiker und Beamte aus ihren Ämtern zu entlassen.
Nach der Prognose des OHR könnte bereits in zehn Jahren keine bosnische Bevölkerung mehr bestehen, sollten weiterhin 45.000 Menschen pro Jahr das Land verlassen. Wirtschaftlich steht Bosnien und Herzegowina schlecht dar, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 40 Prozent, es fehlen Perspektiven. Die verschiedenen Gesprächspartnerinnen und -partner der Exkursion äußerten ambivalente Gefühle gegenüber dem Dayton-Abkommen, das sie für den Stillstand im Land und das dysfunktionale und korrupte politische System verantwortlich machen.
Im Gespräch mit der Direktorin des Historischen Museums Elma Hašimbegović wurden die Probleme deutlich. Als staatliche, aber nicht staatlich finanzierte Institution mit einem maroden Gebäude ist das Museum auf internationale Kooperationen angewiesen, konnte sich dafür allerdings unabhängig entwickeln. Nach dem Krieg stand das Haus vor erinnerungspolitischen Herausforderungen; es galt die Geschichte einer neuen Nation zu erzählen. Aktuelle Ausstellungen zeigen eine Sammlung an Artefakten, welche die Überlebenskunst und den Alltag unter der Belagerung aufzeigt, sowie die antifaschistischen Partisanenkämpfe während des Zweiten Weltkriegs – die Darstellung eines gemeinschaftlichen und positiven Vergangenheitsbildes aller Bevölkerungsgruppen.
Dies ist ein Agieren gegen die konkurrierenden Geschichtsdiskurse, die auch in den verschiedenen Schulcurricula vorliegen. Bei einem Tagesausflug nach Mostar lernten die Teilnehmenden, welche Auswirkungen für den Frieden in der Nachkriegszeit etablierte und nun festgefahrene Strukturen haben können. Bei dem bei seiner Einführung von der EU und dem OHR unterstützten und im Jahr 2014 vom Verfassungsgericht der Föderation für illegal erklärten System der »Zwei Schulen unter einem Dach« werden bosniakische und kroatische Klassen zwar im selben Schulgebäude, aber nicht gemeinsam und vom selben Lehrpersonal unterrichtet.
Die Exkursion endete zu Beginn des Sarajevo Film Festivals – im Glanz der vielen Open-Air-Kinos und Partys erwacht die Stadt zum Leben. Ebenso wie ursprünglich die Berlinale erfüllt das Festival eine friedenspolitische Aufgabe und wird von vielen engagierten Personen und Institutionen unterstützt. Die Teilnehmenden inspirierte im Besonderen das Engagement der Gesprächspartnerinnen und -partner, die sich trotz fehlender Perspektiven für eine bessere Gesellschaft einsetzen. Im März letzten Jahres wurde vom Europäischen Rat der Beginn von Beitrittsverhandlungen beschlossen, es ist noch ein weiter Weg, der hoffentlich auch Positives mit sich bringen wird.