Dem Gesundheitstourismus wird in den deutschen Medien immer wieder ein hohes Zukunftspotenzial durch wachsendes Gesundheitsbewusstsein, demografischen Wandel und medizinisch-technischen Fortschritt zugesprochen. In der Wissenschaft wird Gesundheitstourismus als die Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen verstanden, die sich aus der Ortsveränderung und dem Aufenthalt von Personen zur Förderung, Stabilisierung und ggf. Wiederherstellung des körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens unter der Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen ergeben, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher noch dauernder Wohn- oder Arbeitsort ist. Dabei werden zahlreiche Formen gesundheitstouristischer Dienstleistungen sowohl national als auch international andersartig differenziert. Im deutschsprachigen Raum hat sich eine Unterscheidung nach Intensität der medizinischen Orientierung bzw. Fremdbestimmung weitgehend durchgesetzt. Daher wird der gesundheitstouristische Markt in der Bandbreite seiner Angebotspalette im Wesentlichen in die Teilmärkte »Medizintourismus«, »Präventions-/Rehabilitationstourismus« (Kurtourismus), »Medical Wellness (Tourismus)«, »Gesundheitsorientierter Urlaub« und »Wellnesstourismus« unterteilt. Die Reihe folgt dabei einer kontinuierlichen Abnahme der medizinischen Orientierung bei gleichzeitiger Zunahme der Selbstbestimmung in Reisezeit und Zielort.
Der relativ neue Begriff »Medical Wellness Tourismus« bezieht sich z. B. auf Reisen, die sowohl medizinische Versorgung als auch Wellnessangebote kombinieren. Diese Art von Tourismus richtet sich an Menschen, die nicht nur Erholung und Entspannung suchen, sondern auch (alternativ-)medizinische Behandlungen oder Verfahren zur Verbesserung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens in Anspruch nehmen möchten. Laut der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen nennen 25 Prozent der deutschen Bevölkerung als besonders wichtiges Reisemotiv »etwas für die Gesundheit tun«. Allerdings ist dabei Gesundheit nur eine Komponente einer überwiegend anders motivierten Reise und steht in der Regel ziemlich weit unten auf der Liste der Reisemotive.
Was unterscheidet eine klassische Kur von einer Kur im Urlaub? Nach dem Deutschen Heilbäderverband besteht eine Kur aus Maßnahmen zur gesundheitlichen Vorsorge und Rehabilitation, was dem griechischen Wort Therapie entspricht. Bei wiederholter Anwendung von Behandlungsverfahren mit natürlichen Heilmitteln unter ärztlicher Anleitung, die sowohl stationär in einem Heilbad oder Kurort als auch ganztägig ambulant möglich sind, wird die Gesundheit verbessert und/oder gestärkt. Damit sich eine Kur langfristig positiv auf die Gesundheit auswirkt, sollte sie eine Länge von mindestens drei bis vier Wochen haben – gewöhnliche Wellnessangebote sind meist deutlich kürzer.
Eine populäre Form der Ernährungstherapie ist das Heilfasten nach dem deutschen Arzt Otto Buchinger. Bei anderen bekannten Methoden stehen die Darmreinigung nach Franz Xaver Mayr oder das Abwechseln von Trink- und Trockentagen, das auf Johann Schroth zurückgeht, im Vordergrund. Diese Fastenmethoden und die von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannte Kneipp-Therapie werden von ihren Anhängern gern zur traditionellen europäischen Medizin gerechnet. Ähnlich wie andere traditionelle Medizinsysteme, wie etwa die Traditionelle Chinesische Medizin oder der Ayurveda, basiert die traditionelle europäische Medizin auf einem ganzheitlichen Ansatz zur Gesundheit und dem Zusammenspiel von Körper, Geist, Seele und Umwelt.
Ob Heilfasten oder Kneippen, in der Regel wird eigenständig die Entscheidung getroffen, ob das gewählte Gesundheitsprinzip eher im Alltag integriert und/oder ein vorübergehender Ortswechsel mit Übernachtung(en) in einem alltagsfernen Umfeld als förderlich erachtet wird. Reinigungsreisen gehören daher am ehesten zum oben genannten »Medical Wellness Tourismus«, für den zweckbestimmt sowie privat finanziert arbeitsfreie oder Urlaubstage gewählt werden.
Laut Reiseanalyse, der bekanntesten und jährlich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen durchgeführten Untersuchung zum Reiseverhalten der Deutschen, stellt sich das jährliche Reiseverhalten der Deutschen seit der Coronapandemie wieder auf nahezu gewohnte Verhältnisse ein: 27 Prozent der Reisen gingen ins Inland, 73 Prozent ins Ausland. Im Ausland dominiert Spanien vor Italien, der Türkei, Österreich und Kroatien. Gut acht Prozent aller Urlaubsreisen sind außereuropäische Fernreisen: Bei diesen Reisen dominieren Ziele in Nordamerika mit 23 Prozent und Südostasien mit 18Prozent. Indien erreicht mit acht Prozent den sechsten Platz in der Liste der Fernreiseziele und hat damit im letzten Jahr etwa vier Millionen deutsche Reisende angezogen. Indien ist deshalb interessant, weil hier sowie in Sri Lanka das traditionelle Medizinsystem Ayurveda überwiegend verbreitet ist und sich eine unzählbare Anzahl an traditionellen Ayurveda-Resorts vermuten lässt. Mittlerweile genießt Ayurveda auch in Europa zunehmende Bekanntheit, sodass es auch hier nachahmende Ayurveda-Angebote gibt.
Auf Basis der langjährigen Daten der Reiseanalyse steht fest: Urlaubsformen, die im Namen eine Zielsetzung vor sich hertragen, finden abnehmende Beliebtheit. Vor allem Gesundheitsurlaub unterscheidet sich von anderen Urlaubsarten auch durch seine Funktion für eine Zeit nach dem Urlaub. Anders als andere Urlaubsformen wie z.B. Strandurlaub, Sightseeing oder Wanderurlaub, die bestimmt sind durch einen Ort oder eine Tätigkeit, wird der Gesundheitsurlaub durch seinen Zweck definiert, der lange über die Reise hinaus andauern soll.
Laut Zukunftsinstitut hat sich Gesundheit als Fundamentalwert in den letzten Jahren tief in unserem Bewusstsein verankert und ist zum Synonym für hohe Freizeit- und Lebensqualität geworden. Mittlerweile durchdringt der Megatrend Gesundheit alle Bereiche unseres Alltags und definiert eher alltägliche Lebensstile statt außergewöhnliche Reisestile. Das Rückgrat der Entwicklung ist immer noch die Funktionalmedizin, aber es gibt auch starke Tendenzen zu alternativer oder komplementärer Medizin, zu magischen und spirituellen Heilangeboten.
Das neueste Stichwort des Zukunftsinstituts lautet »Holistic Health«: Gesundheit gerät mehr und mehr in einen ganzheitlichen Zusammenhang. »Holistic Health« verbindet Umweltfragen, Lebensformen, Kulturfragen, ja selbst Architekturfragen mit einem radikal erweiterten Gesundheitsbegriff. Die Zukunft der Gesundheit sind nicht nur medizinische Glanzleistungen und medizintechnische Innovationen, sondern vor allem gesunde Städte, gesunde Arbeits- und Beziehungsformen – und gesunde Denkweisen; und damit sind wir im Alltag fit und können andere Themen und Inhalte für den Urlaub wählen.