Das Jüdische Museum in Rendsburg, eines der ersten Jüdischen Museen der Bundesrepublik, wurde 1988 gegründet und hat sich seither zu einem unverzichtbaren Bildungs- und Begegnungsort entwickelt. Als fester Bestandteil der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf übernimmt es in einer Region, in der jüdische Themen sowie die Verfolgung von Jüdinnen und Juden während der NS-Zeit nur rudimentär museal verhandelt werden, einen doppelten Auftrag: Es vermittelt grundlegende Kenntnisse der schleswig-holsteinischen Landesgeschichte und berichtet aus jüdischer Perspektive darüber, wie sich Jüdinnen und Juden in einer überwiegend christlich geprägten Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg positioniert und gelebt haben. Gleichzeitig zeigt es heutiges jüdisches Selbstverständnis in Deutschland.

Das Museum befindet sich im ehemaligen Gemeindezentrum der jüdischen Gemeinde Rendsburg, das aus der Talmud-Tora-Schule von 1830 und der einzigen ursprünglich erhaltenen Synagoge Schleswig-Holsteins besteht, erbaut in den Jahren 1844/1845. Beide Gebäude stellen ein einzigartiges jüdisches Kulturerbe dar.

Die Dauerausstellung »400 Jahre Gegenwart. Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein« wurde in einem mehrjährigen partizipativen Prozess mit Jugendlichen, Mitgliedern der jüdischen Gemeinschaften, Menschen mit Behinderung u. a. erarbeitet und 2023 eröffnet. Das Hauptexponat, das Kunstwerk »A MENTSH IS A MENTSH« von Naneci Yurdagül, steht für Respekt, Wertschätzung und gelebte Menschlichkeit. Historische und zeitgemäße Themen sowie interaktive Elemente machen den Besuch zu einer Erfahrung, die die Besucher emotional fordert und zum kritischen Nachdenken sowie zur Selbstreflexion anregt. Dabei richtet sich das Angebot gezielt an Jugendliche, die im schulischen Kontext meist nur mit einseitigen Opfererzählungen konfrontiert werden, und bietet interaktive, partizipative Zugänge, die historische Fakten mit der Realität von heute verknüpfen. Ergänzt wird das Konzept durch Sonderausstellungen und Veranstaltungen, die aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen und ein breites Publikum ansprechen.

Ein Beispiel ist die Fotoausstellung »This is me. Queer und religiös?«, die Personen aus verschiedenen religiösen Gemeinschaften porträtiert. Sie teilen, was es bedeutet, queer und religiös zu sein. Ziel ist es, queere Menschen zu stärken, Vorurteile abzubauen und Sichtbarkeit zu schaffen. Seit 2021 tourt die Ausstellung durch Deutschland und ist ausleihbar. Ab Juli 2025 zeigt das Museum »Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion«, eine Übernahme vom Jüdischen Museum Wien. In Rendsburg sollen mit Unterstützung von Werder Bremen und Holstein Kiel Fußballfans für einen Museumsbesuch begeistert werden.

Die Weiterentwicklung innovativer Vermittlungskonzepte ist in einer Zeit, in der sich Sehgewohnheiten und Aufmerksamkeitsspannen ständig verändern, unabdingbar. In einer digital vernetzten Welt, in der interaktive und partizipative Formate – etwa über Social Media – den Zugang zu emotionalen und kognitiven Dimensionen eröffnen, setzt das Museum auf experimentelle Ansätze, die historische Erkenntnisse mit den drängenden Herausforderungen der Gegenwart verbinden. In den Vermittlungsangeboten wird ein Diskursraum geschaffen, in dem vielfältige Perspektiven integriert und Vorurteile diskutiert sowie hinterfragt werden.

Das Ziel besteht darin, Menschen nachhaltig zu erreichen und ihnen ein gemeinschaftliches Erlebnis zu bieten. Ein solches Erlebnis wird als vielschichtige Erfahrung verstanden, die nicht mit Unterhaltung gleichzusetzen ist, sondern dazu dient, essenzielle Themen der Zeit aufzugreifen, historische Fakten zu vermitteln und Emotionen anzusprechen. Das gilt beispielsweise für den Bereich der Erinnerungskultur. Ihre traditionellen und ritualisierten Formen stoßen zunehmend an ihre Grenzen, wenn es darum geht, ein breites Publikum emotional und kognitiv zu erreichen. Daher ist es unerlässlich, »out of the box« zu denken und innovative, interaktive Formate zu entwickeln, die den Zugang zu Geschichte und Gegenwart nachhaltig gestalten. Solche Ansätze ermöglichen es, den Diskurs lebendig zu halten und ein breites Publikum dort abzuholen, wo es steht. Sie schaffen einen Raum des Lernens und des Dialogs, in dem unterschiedliche Perspektiven auf Augenhöhe zusammengeführt, Gedenken gelebt, Vorurteile abgebaut und Veränderungen für die Zukunft gestaltet werden können.

Das Jüdische Museum in Rendsburg lädt dazu ein, Geschichte nicht nur als passives Erbe zu begreifen, sondern als Aufforderung zur Gestaltung, die alle dazu anregt, Verantwortung zu übernehmen und aktiv für ein respektvolles Miteinander einzutreten. In einem politischen Klima, in dem Rassismus und Antisemitismus wieder verstärkt in Erscheinung treten, bietet das Museum einen Diskursraum, der nicht nur aufklärt, sondern auch provoziert und zum Handeln auffordert. Angesichts politischer Fehlentwicklungen und zunehmender gesellschaftlicher Spaltung ist es höchste Zeit, dass Museen nicht passiv bleiben. Die Arbeit eines Museums sollte als unverzichtbarer Beitrag zu einem offenen Diskurs verstanden werden, der zu einer inklusiven und pluralen Gesellschaft beitragen kann.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2025.