Nur viereinhalb Stunden dauerte es, bis die 85.000 Tickets für das Heavy-Metal-Festival Wacken 2024 ausverkauft waren – nachdem das diesjährige Festival bei Dauerregen und knöchelhohem Schlamm zu Ende gegangen war. Wegen anhaltender Überflutungen hatte man 23.000 Fans nicht mehr auf das Festivalgelände gelassen. Die zumeist aus dem Inland schon angereisten 63.000 Fans aber waren geblieben, hatten unverdrossen getanzt und gefeiert. Der Festival-Tourismus boomt – jedenfalls in der Intensität des Erlebens. Etliche, vor allem kleinere Festivals leiden unter Besucherschwund, doch selbst zum »Rock am Ring« kamen statt der erwarteten 90.000 nur 70.000 Gäste. Die stromhungrige Open-Air-Branche leidet besonders unter den hohen Energiekosten und hat entsprechend die Preise angehoben. Das Wochenende »Rock am Ring« etwa kostete in diesem Sommer gut 40 Euro mehr als 2022: rund 300 Euro, Camping-Ticket inklusive. Andere Großfestivals wie »Hurricane« im niedersächsischen Scheeßel wiederum waren ausverkauft. Doch die Gemeinden haben oft nicht viel mehr davon als ein enormes Verkehrsaufkommen – und wo das Publikum größtenteils gleich auf dem Festivalgelände zeltet und lebt, haben auch die örtliche Gastronomie und Hotellerie das Nachsehen.

Auch die Klassik-Festivals leiden unter Inflation und hohen Energiekosten – doch trotz entsprechender Preiserhöhungen strömte das Publikum. Bei den diesjährigen Bregenzer Festspielen etwa hob man die Sitzplatzpreise der Seeproduktion um drei Prozent auf zwischen 30 und knapp 200 Euro an – und doch wurde eine Gesamtauslastung von über 85 Prozent erreicht. Auch in Wien, Salzburg, Luzern oder Bayreuth zeigte man sich zufrieden. Dass es in Bayreuth zu Beginn der Festspiele noch Karten gab, wurde mit größter Verwunderung zur Kenntnis genommen – doch am Ende waren die 30 Aufführungen dann auch ausverkauft. Mit seinen rund 60.000 Zuschauern sorgt das Festival auf dem Grünen Hügel einmal im Jahr für einen Tourismusboom in Bayreuth: Vor der Coronapandemie wurden regelmäßig über 50.000 Übernachtungen gezählt, gut 10.000 mehr als im Jahresdurchschnitt. Zu großen Anteilen kommen die Gäste aus dem Ausland.

Wie gezielt Musik- und Opernfestspiele in den Dienst der Tourismusförderung eingesetzt werden, mögen zwei Beispiele aus dem Ausland illustrieren.

Im italienischen Pesaro, der Geburtsstadt des Opernkomponisten Gioachino Rossini, wurde 1980 das »Rossini Opera Festival« gegründet. Zunächst wollte die Stadt damit vor allem die musikwissenschaftliche Arbeit der ortsansässigen Fondazione Rossini unterstützen. Seit 1969 arbeitete die Stiftung an einer historisch-kritischen Edition auch der unbekannten Rossini-Opern – und sollte nun Möglichkeiten bekommen, Neueditionen auch auf die Bühne zu bringen: eine einzigartige Verbindung von Wissenschaft und Opernpraxis. Etliche der auf diese Weise wiederbelebten Stücke haben es ins Repertoire großer Opernhäuser weltweit geschafft. Und die Aufführungen zogen ein immer größeres Publikum an. Heute ist das Festival neben dem Badetourismus von zentraler Bedeutung für die Stadt. Vor, auf und hinter der Bühne beschäftigt es an drei Spielstätten rund 600 Menschen – und strahlt weit über die Landesgrenzen hinaus. Rund 70 Prozent der rund 30.000 Festivalgäste kommen aus dem europäischen Ausland, aus den USA und Japan – für das nächste Jahr plant das Festival gezielte Werbeauftritte in Dubai und Shanghai. Dass Pesaro im kommenden Jahr die »Kulturhauptstadt Italiens« sein wird, sei einzig dem Festival zu verdanken, erklärt dessen Intendant, Ernesto Palacio, nicht ohne Stolz.

Auf ein internationales Publikum zielt auch das alljährliche Wagner-Festival von Sofia. Bulgarien ist ein Land ohne jede Wagner-Tradition – da stellt ein solches Festival eine immense Leistung dar. Gleich sieben Wagner-Opern wurden in diesem Sommer gegeben, und von wenigen Ausnahmen abgesehen waren alle Partien mit bulgarischen Sängerinnen und Sängern besetzt. Ihnen will Intendant Plamen Kartaloff ein Schaufenster bieten, er will mit dem Festival die Musikkultur Bulgariens erweitern – und nebenbei sein Land als Opernreiseland etablieren. Was auch zu gelingen scheint. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch traf man im sommerlichen Parkett des Opernhauses von Sofia ein ums andere Mal nicht wenige Deutsche, Briten, Franzosen, Amerikaner, Japaner. Viele kamen erklärtermaßen auch, um sich nicht dem modernen Regietheater der Wagner-Festspiele von Bayreuth aussetzen zu müssen, sondern um traditionelle, gewissermaßen »originale« Wagner-Aufführungen zu erleben – etwa den kompletten »Ring des Nibelungen«, inszeniert von Plamen Kartaloff, geleitet vom deutschen Dirigenten Constantin Trinks. Der ist seit 2015 beim Wagner-Festival von Sofia regelmäßig dabei und spricht von »harter Arbeit«, aber auch von einer »tollen Wegstrecke«, die insbesondere das Orchester in den letzten acht Jahren stilistisch zurückgelegt hätte – in der Arbeit an den Opern Richard Wagners.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2023.