Die Berichterstattung der meisten aktuellen Medien über das Medienhaus Axel Springer konzentriert sich dieser Tage vor allem auf den Skandal um E-Mails des Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner und die Entlassung des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt. Dabei gerät ein wenig aus dem Blickfeld, dass es anscheinend auch um die wirtschaftliche Entwicklung des Konzerns nicht gut bestellt ist. Die verkauften Auflagen von Bild und BZ haben sich innerhalb von zehn Jahren halbiert und lagen 2022 nur noch bei rund 1,1 Millionen Exemplaren. Die verkaufte Auflage der Tageszeitung Die Welt erreichte im 4. Quartal 2022 nur noch rund 88.800 Exemplare. Verglichen mit dem vierten Quartal 2014 ist das ein Rückgang der Auflage um rund 111.000 Exemplare. Deshalb hatte Döpfner im Februar angekündigt, dass es bei den beiden Kernmarken Bild und Welt »in den Bereichen Produktion, Layout, Korrektur und Administration deutliche Reduzierungen von Arbeitsplätzen geben wird«. »Um auch künftig wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben, muss sich unser Ergebnis im deutschen Mediengeschäft in den nächsten drei Jahren um rund 100 Millionen Euro verbessern. Durch Umsatzsteigerungen, aber auch durch Kostenreduzierungen«, schrieb der Springer-Chef an die Mitarbeiter. Wenige Tage später tauschte Springer die komplette Chefredaktion von Bild aus.

Die wirtschaftliche Situation bei Springer unterscheidet sich nicht wesentlich von der Lage der Mehrzahl regionaler Tageszeitungen. Deutschland ist ein Land der Zeitungs- und Zeitschriftenleser. Täglich erscheinen 316 Tageszeitungen mit weit über eintausend lokalen Ausgaben in einer gedruckten Gesamtauflage von über 12 Millionen Exemplaren. Daneben kommen 16 Wochenzeitungen mit 1,63 Millionen Exemplaren und sechs Sonntagszeitungen mit einer Auflage von 1,53 Millionen heraus. Die Internetangebote der Zeitungen besuchen mittlerweile 46,8 Millionen Menschen über 14 Jahren (67,9 %). Mehr als 9,6 Millionen mobile Nutzer informieren sich via Smartphone oder Tablet-App mithilfe mobiler Verlags-Webseiten. Insgesamt lesen fast 60 Millionen Deutsche ab 14 Jahren regelmäßig die gedruckte Zeitung oder nutzen mindestens einmal wöchentlich ein digitales Zeitungsangebot.

Aber der deutsche Zeitungsmarkt befindet sich in einem Strukturwandel. Die Auflagen und Umsätze sind lang anhaltend konstant rückläufig. Betrug die Gesamtauflage der Tageszeitungen in Deutschland im Jahr 1991 noch 27,3 Millionen Exemplare, waren es im Jahr 2021 nur noch rund 12,3 Millionen Exemplare. Auch die Umsätze bewegen sich seit Jahren abwärts. Wurden im Jahr 2008 noch rund 9,22 Milliarden Euro umgesetzt, prognostiziert PwC bis zum Jahr 2023 einen weiteren Rückgang auf rund 7,21 Milliarden Euro. Die digitale Transformation läuft, wird aber erst mittelfristig zu Kompensation führen, weil es weiterhin schwierig ist, digitale Inhalte zu verkaufen.

In Thüringen wird die Zustellung einer gedruckten Zeitung eingestellt

Ab 1. Mai wird es im thüringischen Landkreis Greiz für 300 Abonnenten der Ostthüringer Zeitung keine Zustellung ihrer gedruckten Tageszeitung mehr geben. Dieser Schritt der Funke Medien Thüringen ist bisher einmalig in Deutschland. »Die Zustellkosten haben sich inzwischen so erhöht, dass wir mit den Abos in den Städten diejenigen in den ländlichen Gebieten subventionieren«, erläutert Michael Tallai, Geschäftsführer der Funke Medien Thüringen, diesen außergewöhnlichen Schritt. Er wisse, dass auch andere Verlage mit größeren ländlich strukturierten Verbreitungsgebieten ähnliche Überlegungen hätten. Bereits im Mai 2020 hat das Beratungsunternehmen Schickler davor gewarnt, dass bis zum Jahr 2025 die Anzahl der zustellgefährdeten Gemeinden in Deutschland ungefähr 40 Prozent aller Gemeinden betragen könnte. In diesen 4.396 Orten leben in Deutschland derzeit über 4,3 Millionen Einwohner, die von einer Zustellung mit der gedruckten Tageszeitung ausgeschlossen werden könnten. In Greiz beginnt sich die Prognose jetzt zu bewahrheiten.

Funke versucht die bisherigen Printabonnenten mit großem Aufwand davon zu überzeugen, zur Digitalausgabe zu wechseln. Aus der Fläche will sich das Medienhaus auf keinen Fall zurückziehen, man wolle auch keine Kreisredaktionen schließen oder Arbeitsplätze abbauen. Das sei definitiv der falsche Weg, »weil wir dadurch unser Produkt beschädigen«, erläutert Tallai. Das Modellprojekt in Greiz sei gerade deshalb gestartet worden, um auch bei ungünstigen wirtschaftlichen Voraussetzungen die Menschen auf dem Land mit lokalen und regionalen Informationen zu versorgen. Die Zustellung von periodischen Presserzeugnissen wird zuerst in ländlichen Gebieten, in Flächenländern wie Thüringen, Sachsen oder Niedersachsen, problematischer. Sinkende Auflagen, höhere Papierpreise, steigende Energie- und Spritausgaben sowie die Erhöhung des Mindestlohns führen bei der Belieferung der Abo-Kunden zu immer höherem finanziellen Aufwand. Dadurch werden zunehmend mehr Zustellgebiete unwirtschaftlich.

Länder fordern vom Bund die Förderung der Zustellung

Um die Verlage wirtschaftlich zu entlasten, appellieren die Länder seit Monaten an den Bund, »schnellstmöglich« Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen auch tatsächlich weiterhin zu gewährleisten. So bat der Bundesrat im September vergangenen Jahres die Bundesregierung, zeitnah ein Förderkonzept vorzulegen, das eine unabhängige journalistische Tätigkeit der Medienhäuser auch zukünftig gewährleistet.

Eine Reaktion aus Berlin blieb jedoch aus. Die Medienminister aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Nathanael Liminski und Oliver Schenk, haben erst jüngst gemeinsam die Ampelregierung aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um die flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen auch weiterhin zu gewährleisten. Liminski betonte: »Starker Lokaljournalismus ist in diesen Zeiten wichtiger denn je. Es ist in unser aller Interesse, dass die gedruckte Zeitung auch zukünftig in der Fläche gelesen werden kann. Die Mediennutzung wird immer digitaler. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es nach wie vor sehr viele Menschen gibt, die auf die gedruckte lokale Presse nicht verzichten wollen oder können. Es ist höchste Zeit, dass der Bund seine Pläne konkretisiert und klar kommuniziert, damit die Branche in einem schwierigen Marktumfeld schnellstmöglich Planungssicherheit bekommt.«

In ihrem am 12. April in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichten Beitrag »Presseförderung dient dem Gemeinwohl« zeigen die SPD-Politiker Heike Raab, Verena Hubertz und Dirk Wiese mit konkreten Vorschlägen auf, wie die im Koalitionsvertrag vereinbarte flächendeckende Versorgung mit periodischen Presseerzeugnissen gewährleistet und umgesetzt werden kann – und sollte. Priorität habe die finanzielle Unterstützung bei der »letzten Meile« der Zustellung von Abonnement-Zeitungen, ohne in deren redaktionelle Unabhängigkeit einzugreifen. Die Zustellförderung solle sich auf Tages- und Wochenzeitungen beziehen, die bestimmte Kriterien erfüllen – regelmäßige, inhaltlich vielfältige Berichterstattung, die jedem zugänglich ist – und die den Pressekodex achten. Die Abo-Auflage und das Verbreitungsgebiet – ländliche Regionen bedürfen besonderer Förderung – nennt das Grundsatzpapier als Kriterien für die Höhe der Förderung, die auf zehn Jahre begrenzt und degressiv gestaltet sein soll. Schließlich gehe es »nicht um die bloße Förderung von Printerzeugnissen, sondern um demokratische Daseinsvorsorge«. Hier stehe die Politik »in der Verantwortung, die Gewährleistung der Informationsinfrastruktur unserer Gesellschaft sicherzustellen«. Daher sei jetzt schnelles Handeln nötig, so der Appell von Raab, Hubertz und Wiese: »Demokratie lebt von Teilhabe und Partizipation informierter Bürgerinnen und Bürger. Wir brauchen schnell eine Presseförderung, auch für unser Gemeinwohl.«

Die Notwendigkeit und verfassungsrechtliche Möglichkeit einer Zustellförderung für die Presse bestätigte auch ein aktuelles Gutachten, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK) veröffentlicht wurde und bereits von der vorherigen Behörde in Auftrag gegeben worden war. Zusammen mit den Ergebnissen der Studie teilte das Bundesministerium allerdings mit, dass es für eine Bundesförderung der Presse »keine Zuständigkeit« besitze. Auch mache sich das BMWK »die Schlussfolgerungen der Studie nicht zu eigen«. Damit liegt der Ball anscheinend bei Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien. Doch auch aus ihrem Haus gibt es bisher keine Aktivitäten, die Presse zu unterstützen. Allerdings wurde hier inzwischen wenigstens ein weiteres Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse noch ausstehen.

Onlineangebote der ARD werden zu Konkurrenten für regionale Zeitungen

Es sind nicht nur ungünstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen und der Wandel in der Mediennutzung, die die Existenzgrundlage der Zeitungen gefährden, dazu trägt auch die wachsende Konkurrenz durch Onlineangebote von ARD-Anstalten bei. In dieser für die Verlage wirtschaftlichen komplizierten Situation werden die Länder ihrer verfassungsmäßigen Verantwortung für die Sicherung der Medienvielfalt in Deutschland nur ungenügend gerecht. Während einerseits die Bundesregierung aufgefordert wird, das Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, die Pressezustellung zu fördern, schnell umzusetzen, wollen sie andererseits die regionale Berichterstattung der ARD weiter stärken. So heißt es im Punkt 4 des Beschlusses der Rundfunkkommission der Länder vom 20. Januar 2023: »Ziel des Reformfelds ›Digitale Transformation gestalten und Qualität stärken‹ ist die Erhöhung der Regionalität, Pluralität und journalistisch-publizistischen Qualität«. Beim Beschluss zur Einsetzung eines Zukunftsrates haben die Länder am 8. März 2023 als eine von vier Fragestellungen formuliert: »Wie können die Inhalte öffentlich-rechtlicher Medien in Zukunft ›regionale Vielfalt‹ im Rahmen einer digitalisierten Medienwelt abbilden?« Das heißt, die ARD-Anstalten sollen die regionale Berichterstattung auch in ihren Onlineangeboten ausbauen. Doch dazu bedarf es anscheinend keiner Aufforderung aus der Politik, das findet bereits statt.

So bereitet beispielsweise David Koopmann, Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG, das regionale Angebot von Radio Bremen große Sorgen, weil bisherige Abonnenten natürlich abwägen, ob ihnen das, was dort täglich kostenlos geboten werde – da sie den Rundfunkbeitrag bereits bezahlt haben – ausreiche oder ob sie die Mehrinformation, die die Zeitungen böten, benötigten. Koopmann erläutert, dass das Regionalmagazin »buten un binnen« nicht mehr nur »eine tägliche Fernsehsendung« sei. Auf der Webseite und in der App fänden sich täglich im Durchschnitt 17 aktuelle Artikel, die zum Teil eine DIN-A4-Seite sprengen würden und die mit den Beiträgen in den Zeitungen vergleichbar seien. Damit habe Radio Bremen ein völlig neues Produkt in den Markt gebracht, das Jahr für Jahr ausgebaut werde. Sämtliche Kommentare, die früher gesprochen worden sind, stünden jetzt nur noch als Texte auf der Onlineseite. Der Sender stelle auch Tageszeitungsredakteure ein, die solche typischen Zeitungsformate produzierten.

Matthias Cornils, Direktor des Mainzer Medieninstituts, sieht es als Aufgabe der Länder an, dafür zu sorgen, dass hier eine vernünftige Balance gewahrt bleibe und die private Publizistik, die unter schwerem wirtschaftlichem Druck stehe, nicht vorschnell einem allumfassenden Konzept staatlich organisierter und öffentlich finanzierter Informations-Daseinsvorsorge geopfert werde. »Auch die privatwirtschaftlich organisierte Presse kann sich für ihre öffentliche Aufgabe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf eine grundrechtliche Funktionsgarantie von keineswegs geringerem Gewicht berufen«, sagt Cornils. Bei den Onlineangeboten müsse der gebotene Schutz der Pressewirtschaft dadurch erreicht werden, dass die Angebote der Anstalten in ihrer Gestaltung klar unterscheidbar bleiben, sich also im Wesentlichen auf audiovisuelle Gestaltungsmittel beschränken. Weder verfassungsrechtlich noch nach dem Medienstaatsvertrag bestehe eine Verpflichtung für weitere oder erweiterte Online-only-Angebote der öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2023.