Hermann Parzinger zählt zu den bedeutendsten deutschen Archäologen der Gegenwart, der mit aufsehenerregenden Ausgrabungen die Frühgeschichte Eurasiens neu geschrieben und als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)seit fast zwei Jahrzehnten die Museumslandschaft Deutschlands mitgeprägt hat. Zum 31. Mai 2025 geht Parzinger in den Ruhestand, und seine Nachfolgerin Marion Ackermann bezieht seinen bisherigen Amtssitz in der Villa von der Heydt. Mit Politik & Kultur sprach Hermann Parzinger über seine Pläne für den dritten Lebensabschnitt und gab auch Einblicke in das, was den Wissenschaftler, Ausgräber, Entdecker, Kulturpolitiker und immer noch aktiven Judoka, Träger des 2. Dan, antreibt.

„In der kommenden Zeit  werde ich mehr Freiheit haben, meine Zeit selbst zu gestalten. Ich habe einige Buchprojekte in Planung. Ich bin ehrenamtlich Präsident von Europa Nostra, dem europaweiten Kulturerbe-Netzwerk. Dort reibt man sich schon die Hände, dass ich endlich ein bisschen mehr Zeit für sie habe.“

Im bildungsbürgerlichen Buchregal steht Parzingers Schrift „Abenteuer Archäologie“, nur eine seiner zahlreichen Publikationen, gerne mal neben C.W. Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“. „Das ist ein guter Platz“, sagt Parzinger, „denn ich möchte die Menschen für die Vielfältigkeit der Archäologie interessieren. ‚Abenteuer Archäologie‘ macht auch deutlich, dass seit Ceram doch eine ganze Menge Neues dazugekommen ist und dass das Fach nach heutigem Verständnis bis in unsere Gegenwart reicht.“

Geboren wurde Hermann Parzinger am 12. März 1959 im oberbayerischen Münchberg. Als Jugendlicher betrieb er Judo als Leistungssport, doch mit 20 wurde das Studium sein „Leistungssport“. Auch wenn sein Interesse schon früh dem Fach Geschichte galt, war er sich lange nicht sicher: Sollte er Geschichte studieren oder doch lieber Jura? Lehramt sollte es auf keinen Fall werden. An Archäologie dachte er nicht, bis ihm eine Broschüre in die Hand fiel, in der der Beruf des Prähistorikers erläutert wurde.

„Als mir die ganze zeitliche Tiefe dieser Disziplin bewusst wurde, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Der klassische Archäologe konzentriert sich auf die griechisch-römische Epoche, aber der Prähistoriker macht alles, vom Homo heidelbergensis – womit in Mitteleuropa alles beginnt – bis in die Gegenwart. Bereits im ersten Semester war mir klar, das ist mein Fach.“

Neigung, Fleiß, Leidenschaft und Glücksfälle gingen jetzt Hand in Hand: Bereits nach dem ersten Hauptseminar durfte Parzinger an einer Ausgrabung des Deutschen Archäologischen Instituts in Tiryns /Griechenland mitwirken – am Fundort der mykenischen Burg von Tiryns, an dem deutsche Archäologen heute noch graben.

In der archäologischen Forschungsgemeinschaft stieg Parzinger rasch auf. Nach neun Semestern machte er seinen Magister, nach elf Semestern, im Alter von 25 Jahren, promovierte er. Mit 31 war er an der Universität München habilitiert und übernahm 1995 die Leitung der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI).

„Ich hatte tatsächlich das Fach gefunden, das meinen Interessen am meisten entsprach. Da ist es einem völlig egal, ob man 16 oder 20 Stunden am Tag arbeitet. Das war für mich Lebensinhalt. Ich hatte wirklich das Glück, gute akademische Lehrer zu haben und bin Menschen begegnet, die mich forderten und förderten. Ich war mit meiner Habil noch gar nicht ganz fertig und dachte an eine Professur an einer deutschen Universität. Aber dann kam das Deutsche Archäologische Institut (DAI), das mich von Grabungsarbeiten her schon kannte, und hat mich dort weggeholt. Erst wurde ich stellvertretender Direktor bei der Römisch-Germanischen Kommission des DAI in Frankfurt und anschließend Leitender Direktor der Eurasien-Abteilung des DAI in Berlin, später dann Präsident des ganzen Instituts mit seinen vielen Zweigstellen im In- und Ausland von Madrid bis Peking. Das war natürlich traumhaft.“

Der junge Wissenschaftler wurde aber beileibe kein akademischer Stubenhocker. Sein Entdeckerleben sollte erst beginnen, und im Rückblick hält der Archäologe vier seiner Grabungsprojekte für besonders bemerkenswert.

„In Türkisch-Thrakien, an der Landbrücke von Anatolien und dem Vorderen Orient nach Europa, haben wir zusammen mit der Universität Istanbul eine der frühesten neolithischen, also jungsteinzeitlichen, frühbäuerlichen Siedlungen auf dem europäischen Kontinent entdeckt, mit Stampflehmhäusern, deren Wände noch 50 bis 80 Zentimeter hoch erhalten waren – siebtes Jahrtausend vor Christus, da beginnt das Ganze. Das war ungemein faszinierend.

Als Zweites möchte ich ein Projekt nennen, das wir mit dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum und der Technischen Universität Bergakademie Freiberg als Partner durchführten, in dessen Rahmen wir in den späten 1990er Jahren in Usbekistan und Tadschikistan bronzezeitliche Zinn-Bergwerke entdeckten. Wir suchten die Stecknadel im Heuhaufen und fanden sie – eine archäologische Sensation.

Am meisten bekannt geworden bin ich für die Entdeckung des Fürstengrabs von Arzan in der südsibirischen Steppe gemeinsam mit Anatoli Nagler und Konstantin Cugunov im Sommer 2001 mit seinen fast 6.000 Goldobjekten. Seither gelte ich als Spezialist für die skythische Kultur. Fünf Jahre später entdeckten mein Team und ich die Eismumie eines 2.300 Jahre alten skythischen Kriegers im Permafrostboden des mittelasiatischen Altaigebirges. Das waren zwei Entdeckungen zur Reiternomadenkultur der Skythen, die unser Bild der Zeit im ersten Jahrtausend vor Christus noch mal erheblich erweitert haben.“

2008 wurde Hermann Parzinger zum Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in Berlin berufen – eine der größten Kulturinstitutionen der Welt, zu der unter anderem die Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatsbibliothek und das Geheime Staatsarchiv gehören. In dieser Funktion übernahm er eine kulturelle Mammutaufgabe: die Umstrukturierung, Digitalisierung und internationale Öffnung der preußischen Kulturerbestätten.

Hier war nicht nur archäologische Kompetenz gefragt, sondern andere Eigenschaften: das Organisieren einer derartigen Mega- und Meta-Institution im Managementbereich; das Verhandeln mit den Haushältern, das Sprechen mit den Abgeordneten, mit den vorgesetzten Ministerien, immer in der Absicht, diese für seine und die Themen der Mitarbeiter zu begeistern.

Als Gründungsintendant sorgte er gemeinsam mit Horst Bredekamp und Neil MacGregor dafür, dass das Humboldt Forum im Berliner Schloss mit Leben gefüllt wurde. Die Präsentation außereuropäischer Sammlungen verband Parzinger mit einer kritischen Aufarbeitung kolonialer Kontexte. So setzte er sich konsequent für Provenienzforschung ein und unterstützte die Rückgabe von Kulturgütern wie etwa der Benin-Bronzen an Nigeria.

Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war auch immer Bauherr. Insgesamt 14 Bauprojekte seien in seiner Amtszeit fertig geworden, sagt er: „Keine schlechte Bilanz. Meine Gruben sind jetzt nicht mehr irgendwo in Sibirien oder in der Türkei, sondern das sind die Baugruben in Berlin. Man ist nominell oberster Bauherr, denn es geht immer darum, wie baut man, wenn man neu baut? Was müssen die Museumsgebäude eigentlich bieten, wofür müssen sie Raum schaffen, was will man erreichen? Heute spielen Nachhaltigkeit und die Klimabilanz eine Rolle, aber natürlich auch die Narrative: Was wollen wir dort zeigen und in welcher Form? Solche Überlegungen stehen immer am Anfang. Für mich waren das ganz faszinierende Herausforderungen. Das große Geschenk in meinem Berufsleben sind nicht allein die Gestaltungsmöglichkeiten in diesem Amt gewesen, sondern dass man über die Archäologie hinaus noch einmal ganz andere Bereiche kennenlernt.“

Anfang 2025 ist noch von der alten Koalition die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf eine gesetzliche Grundlage gestellt worden. Bund und Länder unterschrieben ein neues Finanzierungsabkommen. Parzinger verlässt die SPK mit dem Gefühl, der Nachfolgerin Ackermann trotz mancher Baustelle „ein gut aufgestelltes Haus, einen neu strukturierten Kosmos“ zu übergeben.

Er sei nicht mehr 40, sagt Pensionist Parzinger im Gespräch, aber er fühle sich noch nicht alt, auch wenn er es sei. Europa Nostra, Bücher schreiben, Reisen, zusammen mit seiner Frau in Kunstmuseen gehen und vielleicht das archäologische Museum mal links liegen lassen: Auf Parzinger kommen neue Zeiten zu und er scheint sich darauf zu freuen. Und dann gibt es auch noch das Judo. Den Sport seiner Jugend praktiziert Parzinger auch heute noch. Er kämpft noch immer aktiv und betont: „Der Gegner im Wettkampf ist kein Feind. Bei jedem Kampf gibt man sich hinterher die Hand, auch wenn man sich davor nichts geschenkt hat. Man lebt Respekt gegenüber dem Gegner. Judo hat daher gerade auch für Kinder und Jugendliche eine ganz wichtige erzieherische Kraft.“

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.