Die Entwicklung von Systemen der künstlichen Intelligenz geht in rasantem Tempo weiter, und auch die urheberrechtliche Diskussion ist keineswegs abgeflaut – im Gegenteil. Bereits seit längerem gibt es kaum eine urheberrechtliche Veranstaltung, in der nicht intensiv über KI diskutiert würde. Das ist meistens eine Diskussion von juristischen Expertinnen und Experten, bei der allerdings – und sehr zu Recht – auch immer wieder »hauptberufliche« Urheberinnen und Urheber das Wort erheben und ihr völliges Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, dass ihre Werke über viele Jahre zum Aufbau der KI-Systeme genutzt wurden, ohne dass sie um Erlaubnis gefragt oder vergütet worden wären. Dennoch stimmen auch sie meistens zu, dass KI-Systeme nicht nur Risiken, sondern auch Chancen mit sich bringen, kaum verboten werden können und nicht von selbst wieder verschwinden werden. Was also gibt es Neues bei diesem Hot Topic des Urheberrechts?
Sachstand AI Act
Die europäische KI-Verordnung (AI Act) ist verabschiedet, wird demnächst im Amtsblatt der EU veröffentlicht und 20 Tage danach in Kraft treten, auch wenn die Regelungen zumeist erst 24 Monate später Anwendung finden. Urheberrechtlich hat der AI Act bekanntlich keine neue Regelungen geschaffen, auch wenn in Erwägungsgründen und Artikeln teilweise auf das – bestehende – Urheberrecht der EU Bezug genommen wird. Der AI Act sieht aber im Bereich der KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck immerhin Transparenzpflichten der Anbieter vor. Dabei ist allerdings weiterhin unklar, wie die »hinreichend detaillierte Zusammenfassung« über die genutzten Inhalte, die die KI-Anbieter abliefern müssen, genau aussehen soll. Hier kommt es vor allem auf die »Vorlage« an, die das zuständige neue KI-Büro (AI-Office) der EU-Kommission erarbeiten soll. Der AI Act enthält auch Kennzeichnungspflichten für die Produkte von KI-Systemen, die allerdings für die Verwender (Betreiber) von KI nicht sehr weitgehend sind und deshalb nicht dazu führen werden, dass in Zukunft stets klar ist, ob man ein Werk oder eine KI-Produktion vor sich hat. Interessant und Gegenstand von Diskussionen ist schließlich die Frage, inwieweit durch den AI Act vorgegeben werden kann, dass das europäische Urheberrecht auch für die Nutzung von geschützten Werken für KI-Trainingszwecke in Drittländern Anwendung findet, wenn die trainierten KI-Modelle mit allgemeinem Verwendungszweck anschließend in der EU in Verkehr gebracht werden.
Urheberrechtlicher Reformbedarf
Wie immer, wenn es um technische Neuentwicklungen geht, die die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken betreffen, stellt sich die Frage, ob das geltende Urheberrecht angepasst werden muss. Das gilt in besonderer Weise, wenn es um Innovationen geht, die – wie KI – sehr viel zerstörerisches Potenzial haben. Was genau soll aber ein (europäischer) Gesetzgeber tun? Wie kann sichergestellt werden, dass Urheberinnen und Urheber oder andere Rechtsinhaber (wieder) über die Nutzung ihrer Werke im Zusammenhang mit KI frei entscheiden können? Wie kann ein rechtssicherer und maschinenlesbarer Vorbehalt gegen die Nutzung von Werken für Text und Data Mining eingelegt werden? Wie kann eine angemessene Vergütung sichergestellt werden? Brauchen wir ein neues Schutzrecht für KI-Produktionen? Wo lassen sich Haftungsfragen am besten klären? Und, vielleicht am wichtigsten, wie kann rechtlich dafür gesorgt werden, dass es auch in Zukunft hinreichend Anreize für Menschen gibt, »echte« Werke zu schaffen, damit wir nicht in einigen Jahren nur noch KI-Produkte vorgesetzt bekommen?
Das Urheberrecht kennt verschiedene Regelungsmodelle, mit der einige der aufgeworfenen Fragen – vielleicht – beantwortet werden können. Ausgangspunkt sollte dabei stets das ausschließliche Verwertungsrecht der Urheber sowie ihr Urheberpersönlichkeitsrecht sein. Natürlich gibt es aber auch Schranken des Urheberrechts, bei denen bestimmte Nutzungen gesetzlich erlaubt werden. Im Zuge einer Reformdiskussion sollte es deshalb unter anderem darum gehen, zu klären, ob es KI-Entwicklern gesetzlich erlaubt ist, urheberrechtlich geschützte Werke zu Trainingszwecken zu nutzen. Diese Frage wurde zwar nach Auffassung einiger Urheberechtlerinnen und Urheberrechtler bereits durch die Text- und Data-Mining-Schranke in der europäischen DSM-Richtlinie und im deutschen Urheberrechtsgesetz zu Gunsten der KI-Entwickler entschieden. Ob dies richtig ist, ist aber keineswegs unumstritten und könnte im Übrigen durch den europäischen Gesetzgeber neu geregelt werden. Soweit es um eine Vergütung geht, ließe sich diese jedenfalls dadurch verwirklichen, dass seitens der KI-Entwickler die erforderlichen Nutzungsrechte vertraglich erworben werden und eine angemessene Lizenzgebühr an Urheber und Rechtsinhaber gezahlt wird. Hält man dagegen eine gesetzliche Erlaubnis für den richtigen Weg, müsste sie – anders als bei der TDM-Schranke – zwingend mit einem gesetzlichen Vergütungsanspruch versehen werden, wie ihn das deutsche Urheberrecht vielfach kennt. Es gibt aber auch Kombinationsmodelle, bei denen eine gesetzliche Erlaubnis mit Vergütungsanspruch nur dann zur Anwendung käme, wenn keine vertraglichen Lizenzangebote bestehen.
Mit diesen rechtspolitischen Fragen, die hier keineswegs abschließend referiert werden können, befasst sich derzeit auch der Fachausschuss Urheberrecht des Deutschen Kulturrats.
Kollektive Rechtewahrnehmung
KI stellt auch die Verwertungsgesellschaften vor erhebliche Herausforderungen. Das gilt beispielsweise im Zusammenhang mit Werkmeldung und Verteilung (»Wie erkenne ich ein reines KI-Produkt?). Daneben geht es aber auch darum zu klären, ob und inwieweit Rechte für KI-Nutzungen kollektiv wahrgenommen werden könnten. Verwertungsgesellschaften nehmen Nutzungsrechte wahr oder ziehen gesetzliche Vergütungsansprüche ein. Beides ist – wie oben ausgeführt – im Zusammenhang mit KI denkbar. Die Wahrnehmung von Vergütungsansprüchen kommt allerdings erst dann in Betracht, wenn der Gesetzgeber tätig geworden ist. Die treuhänderische Einräumung von Nutzungsrechten an Verwertungsgesellschaften, die anschließend Grundlage für Lizenzmodelle sein können, erlaubt dagegen auch das geltende Recht. Ob eine solche kollektive Rechtewahrnehmung gewollt ist, obliegt der Entscheidung der Rechtsinhaber in den Gremien der Verwertungsgesellschaften. Bei der VG WORT stand diese Frage kürzlich auf der Tagesordnung. Ihre Mitgliederversammlung hat Anfang Juni 2024 beschlossen, dass die VG WORT in Zukunft Lizenzen für unternehmensinterne KI-Nutzungen vergeben kann. Es geht hier allerdings nicht um Rechte für die großen Anbieter von KI-Systemen wie ChatGPT und Co. Potenzielle Erwerber dieser Lizenz sind vielmehr in Deutschland ansässige Unternehmen, die urheberrechtlich geschützte Werke, beispielsweise Fachpublikationen, nutzen, um unternehmensspezifische KI-Systeme selbst zu entwickeln.
Die neue KI-Lizenz der VG WORT kann dabei verschiedene Zwecke erfüllen: Für die Unternehmen wird eine rechtssichere Basis für rein interne KI-Nutzungen angeboten. Für Urheber und Verlage werden Einnahmemöglichkeiten eröffnet, die es bisher nicht gab. Und – rechtspolitisch – kann unterstrichen werden, dass auch bei KI-Nutzungen nicht einfach »alles geht«, sondern eine vertragliche Erlaubnis der Rechtsinhaber erforderlich und auf dem Markt erhältlich ist. Die VG WORT betritt hier – gemeinsam mit ihrer US-Schwestergesellschaft Copyright Clearance Center (CCC) – Neuland und hofft, dass das neue Lizenzangebot von den betroffenen Rechtsinhabern unterstützt und von den potenziellen Lizenznehmern erfolgreich angenommen wird.