Das Projekt »Let’s Remember!« hat sich in den Jahren 2023 und 2024 mit der Frage beschäftigt, welche Rolle Games zur Vermittlung der NS-Vergangenheit an Lern- und Gedenkorten spielen können. Mit vier Lehren aus der Projektpraxis zieht es jetzt Resümee.

Computer- und Videospiele sind digitale Räume, in denen Millionen von Menschen mit Inszenierungen von Vergangenheit interagieren – unabhängig davon, ob ein Spiel nun der reinen Unterhaltung dient oder auch bildend wirken will. Aufbauend darauf stellte sich die Stiftung Digitale Spielekultur gemeinsam mit dem Deutschen Kulturrat die Frage, ob und wie sich diese digitalen Räume mit physischen Erinnerungsorten verbinden lassen und letztere vielleicht sogar in der Gedenkarbeit unterstützen können. Um Antworten zu finden, haben beide Partner das Projekt »Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort« ins Leben gerufen. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Lern- und Gedenkorten für digitale Spielekultur zu sensibilisieren, Möglichkeiten des Einsatzes von Games in der erinnerungskulturellen Arbeit zu diskutieren und Veranstaltungsformate zur Vermittlung von NS-Unrecht mit Games zu erproben. Gefördert wurde das Projekt durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) sowie das Bundesministerium der Finanzen im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht.

Zentraler Bestandteil von »Let’s Remember!« waren Fortbildungen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Max Mannheimer Studienzentrum Dachau, dem Anne Frank Zentrum Berlin, der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, der Akademie für politische Bildung Tutzing, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Gedenkstätte Roter Ochse in Halle (Saale), dem Gedenkort Vogelsang Internationaler Platz im Nationalpark Eifel und der Gedenkstätte Hadamar. Darüber hinaus fanden an mehreren der genannten Orte auch Vermittlungsformate wie Workshops mit Schülerinnen und Schülern oder Spielungen statt. Bei einer Spielung handelt es sich in Analogie zur Lesung um das Spielen ausgewählter Computerspiele vor Publikum, inhaltlich begleitet von einer Runde aus Gaming-Experten und weiteren Fachleuten. Weitere Projektformate waren Livestreams auf der Online-Plattform Twitch, die die erinnerungskulturelle Relevanz von Games im direkten Austausch mit verschiedenen Online-Communitys beleuchteten. In den Streams mit den Content-Kreatorinnen FiNessi, Maurice Weber und Nils Bomhoff wurden unterschiedliche Games sowie Erinnerungsorte in Berlin und Hamburg vorgestellt und besprochen.

Spiele haben schon immer eine kulturelle Praxis zum Verständnis von Gegenwart und Geschichte gebildet – selbst in extremen Lebensrealitäten wie der Shoah. So lebte etwa der jüdische Künstler Oswald Poeck zum Entstehungszeitpunkt seines Brettspiels »Ghetto« (1943) selbst im Ghetto Theresienstadt. Das Spiel basiert auf dem Brettspiel-Klassiker »Monopoly« (1935) bzw. »The Landlord’s Game« (1904), diente allerdings nicht zur Zerstreuung und Ausblendung der unmenschlichen Lebensbedingungen im Ghetto, sondern wurde von Poeck bewusst als Vermittlungsinstrument entwickelt, um Kindern vor Ort spielerisch die geltenden Lebensumstände und »Spielregeln« zu vermitteln. Im Kontext heutiger Video- und Computerspiele würde man vielleicht von einem »Serious Game« sprechen. Der Sprung in die Gegenwart zeigt, dass Lern- und Gedenkorte zunehmend auch digitale Spiele als solche Vermittlungsinstrumente nutzen und sogar eigene Produktionen in Auftrag geben. Darunter z. B. die Gedenkstätte Wehnen (»Spuren auf Papier«, Playing History, 2023), das NS-Dokumentationszentrum München (»Forced Abroad – Tage eines Zwangsarbeiters«, Paintbucket Games, 2022) oder die Gedenkstätte Bullenhuser Damm (»Erinnern – Die Kinder vom Bullenhuser Damm«, Paintbucket Games, tba). Über 80 Prozent der teilnehmenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den vom »Let’s Remember!«-Team besuchten Lern- und Gedenkorten können sich zudem grundsätzlich vorstellen, Games in ihrer Arbeit einzusetzen, wie die Evaluation der Fortbildungen ergeben hat. Die eingangs erwähnten Twitch-Streams wurden live von insgesamt über 36.000 Zuschauern verfolgt, Zehntausende weitere riefen die Videos im Nachhinein ab. Das Feedback aus den jeweiligen Communitys fiel dabei überwiegend sehr positiv aus: In den Live-Chats kam es zu angeregten und konstruktiven Diskussionen. Der Wunsch nach weiteren Streams dieser Art wurde in allen Chats betont. »Let’s Remember!«-Learning Nummer Eins lautet deshalb: (Digitale) Spielekultur und Erinnerungskultur gehören zusammen, sowohl historisch betrachtet als auch in Bezug auf die heutige Gameskultur.

Direkt daran knüpft das zweites Learning an: Entscheidend ist weniger, welches Spiel am besten für die Vermittlung von Erinnerungskultur geeignet ist, sondern in welchem Kontext ein Spiel eingesetzt wird. Gerade in der Schule können Serious Games wertvolle Lehrmittel sein, die den Unterricht ergänzen und auflockern können. Auch Ausschnitte aus Unterhaltungsspielen lassen sich dazu einsetzen, man spricht dann von der Methode des »Serious Gaming«. Denn ein Spiel wie »Assassin’s Creed III: Liberation« (Ubisoft, 2012) wird zwar in erster Linie als unterhaltsames Action-Abenteuer vor historisch anmutender Kulisse entwickelt. Anhand der fiktiven Hauptfigur Aveline de Grandpré lassen sich aber auch eine ganze Reihe gesellschaftspolitischer Themen diskutieren – von den historisch-politischen Rollen von Frauen bis hin zu Avelines spezifischer Darstellung als »Free Woman of Colour« im kolonialen Amerika. Ausschlaggebend für den Lernprozess ist hier vor allem eine passende pädagogische Rahmung. Aus diesem Potenzial schöpft auch die »Assassin’s Creed Discovery Tour«, mit der Spieleanbieter Ubisoft nachfolgenden Ablegern der Reihe ein eigenes Bildungsangebot beifügte. Nicht zu unterschätzen sind zudem spielinterne Gestaltungsmöglichkeiten als Basis aktiver inhaltlicher Auseinandersetzung. Viel Medienaufmerksamkeit erhielt z. B. das »Voices of the Forgotten Holocaust Museum«, das der jüdische Spieleentwickler Luc Bernard als virtuellen Ort im populären Online-Spiel »Fortnite« (Epic, 2017) erschaffen hat.

Learning Nummer Drei: Insbesondere beim Entwickeln eigener Spielideen entfalten Games ihr volles Vermittlungspotenzial. Bei den Game-Design-Workshops von »Let’s Remember!« haben Schulklassen während des Besuchs von Gedenkorten in Kleingruppen eigene Spielideen und -prototypen erarbeitet. Dafür mussten sie sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Interaktivität auseinandersetzen, historische Inhalte (z. B. Biografien von Opfern und Tätern) diskutieren sowie involvierende und gleichzeitig sensible Probleme definieren, die im Rahmen eines Spiels gelöst werden müssen. Pädagogisch begleitet bietet dieser Prozess viele Gesprächsanlässe in Bezug auf historische Handlungsspielräume, Verantwortung, Geschichtlichkeit sowie eine Ethik des Erinnerns.

Gerne wird auf das Standardwerk »Homo Ludens« des niederländischen Kulturanthropologen Johan Huizinga (1872-1945) verwiesen, wenn es zu beweisen gilt, dass das Spiel von allen »ernsten« Aspekten unseres Alltags (Politik, Recht etc.) grundsätzlich getrennt sei. Das ist jedoch ein Missverständnis. Alles – unsere gesamte Kultur – ist Produkt des Spielens. Nicht der »Ernst« des Spielthemas ist entscheidend, sondern die Abwesenheit »ernster« Konsequenzen. Spiele sind ein geschützter Raum, in dem sich Gemeinschaften finden können und ohne zwingende Folgen für ihren Alltag alle möglichen Positionen, Handlungen und Ideen spielerisch erproben können. Aus diesem Grund sind auch Gaming-Communitys Orte der Erinnerungskultur und sollten in dieser Funktion gestärkt werden, was Learning Nummer Vier darstellt. Unterhaltung und ernste Auseinandersetzung sind nicht immer ohne Reibung, aber auch kein Widerspruch. Das haben die eingangs erwähnten Twitch-Streams veranschaulicht, die im Idealfall als Blaupause für mehr bildungspolitisches und zivilgesellschaftliches Engagement im Bereich der Gaming-Communitys dienen. Denn auch diese Räume sind durch Einflussnahme geschichtsrevisionistischer »Falschspieler« bedroht, denen eine freie Gesellschaft entgegentreten muss. Als Startpunkt dafür können bereits Diskussionen über erinnerungskulturelle Lücken in populären Computerspielen dienen, die verhindern, dass eben diese Lücken von Demokratiefeinden instrumentalisiert werden.

Erinnerung gilt es lebendig zu halten – auch mit Unterstützung der Gameskultur. »Let’s Remember! Erinnerungskultur mit Games vor Ort« trägt dazu nachhaltig mit einem Online-Themenportal bei, das sämtliche Angebote und Workshop-Materialien des Projekts versammelt und kostenfrei nutzbar macht. Für das Erinnern mit Games heißt es an dieser Stelle deshalb »Let’s Continue Remembering«!

Weitere Informationen online unter:

stiftung-digitale-spielekultur.de/themenportal

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2024-1/2025