Deutschland zögert entgegen vielen Bekundungen beharrlich mit der Ratifizierung der UNESCO-Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser. Dem Kommerz aus Eventbranche oder Antikhandel ist das recht so. Außerdem beschleunigen die Industrialisierung der Meere und der Klimawandel den Zerfall von Hinterlassenschaften, die sonst im internationalen Austausch noch Erkenntnisse liefern könnten.
»Tauchreviere für Schatzsucher: Unvergesslich! Mit etwas Glück entdecken Sie ein Wrack, das niemand zuvor inspizierte.« »Per Schnellboot direkt hinaus aufs weite Meer, beim Schatztauchen können Sie bedenkenlos verrostete Wracks erkunden«. So klingen übliche Angebote. Rechtliche Bestimmungen zum »Wracktourismus« oder zur Verwertung geborgener Gegenstände änderten sich in den letzten Jahren kaum oder fehlen gar. Dafür wurden die technischen Mittel für solche Unternehmungen deutlich besser und auch für Laien finanzier- und nutzbar. Wer die Schatzsuche unter Wasser als Event anbietet oder Gewerbe mit geborgenen Kulturgütern betreibt, sollte das Mittelmeer heutzutage meiden, ebenso die Karibik oder viele Gewässer rund um Afrika. Denn die Anrainer dort unterzeichneten die UNESCO-Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser und üben ihre hoheitlichen Aufgaben, die solche Unternehmungen unterbinden, weitläufiger aus als die Landesbehörden an deutschen Küsten. Es empfiehlt sich, in unserer Nähe zu plündern, z. B. in der »Deutschen Bucht«. Auch sollte das Schiff zum Tauchsport nicht unter polnischer oder estnischer, sondern ruhig unter deutscher Flagge fahren, denn Deutschland hat das internationale Abkommen nicht unterzeichnet. Es eilt aber, weil der Klimawandel biologische Prozesse in Gang bringt, die Zerfallsprozesse an hölzernen Wracks beschleunigen. Zudem werden unsere Meere immer intensiver baulich erschlossen und industrialisiert. Küstenschutzmaßnahmen, Gas- und Ölgewinnung, Seekabel, Pipelines, der Ausbau von Windparks und anderen Energieerzeugungsanlagen beanspruchen bereits den Meeresboden, nun auch die CO2-Speicherung dort, möglicherweise bald noch der Tiefseebergbau.
Immerhin gelten an Land und innerhalb der Küstenzone von 12 Meilen die unterschiedlichen Denkmalschutzgesetze der Bundesländer. Darüber hinaus gelten ein Seerechtsübereinkommen der UN und die Konvention von Valetta zum Schutz kulturellen Erbes. Beide Normen sind teilweise überholt, jedenfalls kaum konkret hinsichtlich der Maßnahmen. Von Deutschland werden sie unzureichend umgesetzt, zumal die zuständige Behörde fehlt. Kritisch bleibt die Lage auf Hoher See und in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) bis 200 Meilen vor der Küste eines Staates. Dort, außerhalb der Hoheitszone, ist die Ausschöpfung von Ressourcen gestattet, für Kulturpolitik fehlt aber die Rechtsgrundlage. Der Schutz von Bodenmerkmalen und menschlichen Zeugnissen und damit begründete archäologische Verfahren werden praktisch nur im Zusammenhang mit baulichen Unternehmungen oder Maßnahmen zur Sicherung der Seewege betrachtet. Es drängen sich folgende Prioritäten auf:
- Schutz kulturellen Erbes möglichst in situ, statt Zerstörung durch Bergung, nicht nur in Küstenzonen, sondern auch in der AWZ und auf Hoher See
- Internationale Standards und Kooperation nicht nur in offenen Gewässern und nicht nur bei archäologischen Arbeiten am Objekt, sondern auch bei der Ausbildung und hinsichtlich einer umfassenden und vernetzten Dokumentation
- Touristik nur im Kontext einer Öffentlichkeitsarbeit, die kulturelles Erbe als wertvolles Gemeingut präsentiert
Hierzu müssen keine Initiativen mehr gestartet werden. Denn genau mit diesen Zielen wurde schon im Jahr 2001 die UNESCO-Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser verfasst. Der Schutz des Unterwasserkulturerbes soll an jene Regeln angepasst werden, die an Land gelten, außerdem soll die internationale Zusammenarbeit hierzu geregelt und erleichtert werden. Deutschland enthielt sich bei der Verabschiedung. Im Jahr 2009 trat die Konvention offiziell in Kraft, sie ist inzwischen von 77 Staaten ratifiziert worden, aber nicht von Deutschland. Das ist merkwürdig, denn alle Regierungen und alle Fraktionen im Bundestag, egal ob in Koalition oder Opposition, haben hierzu stets Zustimmung geäußert und ihren Umsetzungswillen zur Ratifizierung behauptet, im Jahr 2013 sogar im Koalitionsvertrag – ohne bekannte Einschränkungen, ohne aber tatsächlich den dazu erforderlichen Gesetzgebungsprozess abzuschließen.
Die Deutsche Gesellschaft zur Förderung der Unterwasserarchäologie e. V. (DEGUWA) hat als einzige ratifizierte NGO aus Deutschland zum Thema »Unterwasserkulturerbe« von Anfang an diese Konvention national wie international propagiert. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina gab im Jahr 2019 ein Diskussionspapier heraus, in dem die Ratifizierung dieser Konvention dringend gefordert wurde. Abgesehen von der positiven Signalwirkung, die Deutschland durch die Ratifizierung international hätte, aber durch die Nicht-Ratifizierung negativ bereits hat: Da es die Konvention nicht unterzeichnet, verzichtet Deutschland auf die dort beschriebene Rolle des »koordinierenden Staates« für den Kulturschutz innerhalb der nach internationalem Recht zugewiesenen Gebiete und verhindert dort zugleich Ersatzvornahmen anderer Staaten im Sinne dieser Konvention – z. B. durch Polen für die schmale Zone in der Ostsee, die Deutschland zugewiesen ist.
Zuletzt gefragt zum Fortschritt des Ratifizierungsprozesses listete die Bundesregierung (wie in Antworten zuvor) zahlreiche Gremien auf, die noch einzubeziehen seien. Neu war leider die ehrliche Aussage: »Es ist derzeit nicht absehbar, wann der Ratifizierungsprozess abgeschlossen werden kann.«
Mehr dazu
Die »Konvention zum Schutz des Kulturerbes unter Wasser« wird in Wikipedia gut umrissen. Strukturelle Bedingungen, die eine deutsche Ratifizierung vermutlich verhindern, schildert ein Text, der u. a. auf der Website der DEGUWA veröffentlicht ist.