Diesen November bin ich seit zwei Jahren im Amt als Präsidentin des Goethe-Instituts. Globale Krisen – angefangen von der Coronapandemie über zunehmende Einschränkungen von Freiheitsrechten in Ländern wie Afghanistan, Myanmar, Belarus und Iran bis hin zum brutalen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine – haben diese zwei Jahre in kaum vorhersehbarer Weise geprägt. Sie fordern den internationalen Kulturaustausch und die Arbeit des Goethe-Instituts radikal heraus. Zugleich sieht sich das Institut mit massiven Budgetkürzungen und enormen Kostensteigerungen durch die weltweite Inflation, steigende Energiepreise und den Euro-Währungsverfall konfrontiert. Vor solchen Herausforderungen sowohl inhaltlich-strategischer als auch finanzieller Art hat der größte deutsche Kulturmittlerseit 20 Jahren nicht mehr gestanden! Meinem Buch über die Institutsgeschichte, zum 70-jährigen Jubiläum des Goethe-Instituts geschrieben, müsste ein neues Kapitel angefügt werden.
Wir sind mitten in einem Umbruch. Allerdings: Während in Deutschland und Westeuropa oft von einer Zeitenwende die Rede ist, wird diese Diagnose keineswegs global geteilt, wie ich in Gesprächen auf meinen Reisen in die USA, nach Süd- und Osteuropa und nach Afrika erfahren konnte. Dort herrscht eher die Sorge, dass andere tiefgreifende Herausforderungen – wie etwa andere Kriege, Terrorismus und Drogenkriminalität, unterfinanzierte Bildungssektoren und Jugendarbeitslosigkeit oder Klimakatastrophen – aus dem Blick geraten. Trotzdem ist klar: Die Folgen des Ukraine-Kriegs sind überall spürbar, nicht zuletzt durch die dadurch ausgelöste weltweite Wirtschaftskrise. Und das Goethe-Institut muss sich damit auseinandersetzen.
Die neue geostrategische Polarisierung hat das Debattenklima in Deutschland rauer werden lassen. Die Auseinandersetzungen um die documenta 15 und die Rolle von Holocaust und/oder Kolonialverbrechen in der deutschen Erinnerungskultur, aber auch Diskussionen über die Legitimität der bisherigen Ostpolitik und unsere Beziehung zu Russland: Der Ton wird schärfer, die wechselseitigen Verurteilungen schriller. Dazu trägt auch die spezifische Aufmerksamkeitsökonomie der meinungsprägenden sozialen Medien bei.
Welche Rolle kann das Goethe-Institut in diesen Krisenzeiten und in diesem lauten Debattenraum spielen? In den zwei Jahren meiner Amtszeit habe ich das Institut als flexibel, umsichtig und in hohem Maß selbstreflexiv kennengelernt. Es ist eine vielstimmige, demokratische Organisation, die von der Kreativität ihrer Mitarbeitenden lebt. Kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen im Ausland wie im Inland beobachtet und begleitet es, anstatt vorschnell (ungefragt) zu intervenieren – eine Grundhaltung, die mir als Ethnologin vertraut ist und die im Übrigen unserem Land in der Welt mehr Freunde schafft als laute Stellungnahmen um jeden Preis.
Drei Arbeitsweisen zeichnen das Goethe-Institut aus. Erstens bringt es durch sein weltweites Netzwerk die unterschiedlichsten Akteure in Begegnungsformaten wie Residenzen, Koproduktionen oder Workshops miteinander ins Gespräch, die sich sonst nicht oder kaum begegnen würden – und das sowohl innerhalb einzelner Länder als auch transnational und transkontinental. Das fördert demokratische Haltungen, ohne zu belehren. Und durch das Rückspiel internationaler Stimmen bereichert es auch die deutschen Diskussionen und Szenen. Zweitens erlaubt das Ethos des Zuhörens, eigene Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und, wo nötig, zu relativieren. Und drittens kann das Goethe-Institut durch seine engen weltweiten Kontakte in unterschiedliche lokale Szenen neue Impulse setzen, indem es Zukunftsthemen identifiziert und andernorts einbringt.
Welchen Beitrag kann eine solche Politik der leisen Töne und des respektvollen Austauschs zu aktuell virulenten Themen und Herausforderungen leisten? Hierzu einige Beispiele:
Zum Thema Antisemitismus, Postkolonialismus und deutsche Erinnerungskultur bot z. B. eine Diskussionsveranstaltung in Weimar mit der südafrikanisch-israelischen Historikerin Tali Nates, einer der Preisträgerinnen der Goethe-Medaille 2022, weiterführende Anregungen. Nates setzt in ihrem »Johannesburg Genocide & Holocaust Centre«, das vor allem unter südafrikanischen Jugendlichen Bildungs- und Aufklärungsarbeit betreibt, aber auch jüdische Lebensgeschichten dokumentiert, auf das Konzept der »Verbindungen«. Das Aufspüren biografischer und gesellschaftlicher Verbindungen zwischen unterschiedlichen Gewaltgeschichten, so Nates, impliziert keine Relativierung des Holocausts, ermöglicht aber, auch etwa das Apartheidregimein Südafrika und den Genozid in Ruanda zu thematisieren. Ähnliche Argumente – aber auch Einwände – zur »multidirektionalen Erinnerung« gemäß Michael Rothberg wurden auch auf der kürzlich von Meron Mendel organisierten und vom Goethe-Institut unterstützten Tagung »Beyond: Toward a Future Practice of Remembering« in Frankfurt auf sehr konstruktive Weise diskutiert; selbst Teilnehmerin am Schlusspanel, war ich positiv überrascht, wie sachlich und respektvoll hier um die Zukunft der deutschen Erinnerungskultur gerungen wurde. Und bei einem vom Goethe-Institut organisierten Panel auf der Frankfurter Buchmesse habe ich mit der französischen Autorin Cécile Wajsbrot und dem polnischen Kulturmanager Basil Kerski zum Thema »Grundrecht Kunstfreiheit« diskutiert. Dabei wurde deutlich, wie sehr nationale Empfindlichkeiten die mediale Wahrnehmung und den öffentlichen Diskurs prägen. Und wie wichtig es daher ist, den Blick für spezifische historische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu schärfen.
Für seine Beiträge zum Thema koloniales Erbe sind die engen Kontakte des Goethe-Instituts in die lokalen Kulturszenen in Afrika, aber auch Südostasien wichtig. So hat sich das Institut schon in den 2010er Jahren in Projekten mit der deutschen Kolonialvergangenheit beschäftigt und dabei vor allem afrikanische Akteure untereinander verbunden, aber auch Impulse in die deutsche Diskussion geben können. In den vom Goethe-Institut initiierten »Museumsgesprächen« mit afrikanischen Kulturschaffenden wurden Fragen zur Restitution von Objekten aus kolonialen Kontexten erörtert, die dann von den Museumsmacherinnen und -machern selbst übernommen und in Eigenregie weiterbearbeitet wurden. Im aktuellen Projekt »MuseumFutures«, das unter afrikanischer Leitung Kuratorinnen und Kuratoren aus verschiedenen afrikanischen Ländern miteinander vernetzt, geht es um die zukünftige Gestaltung von Museen in Afrika. Auch hier agiert das Goethe-Institut nicht als Exporteur europäischer Expertise, sondern als Plattform für den Austausch zwischen Kulturmacherinnen und -machern des Globalen Südens. Und es bringt diese Perspektiven in die Diskussionen in Deutschland ein.
Auch die Frage, wie Kulturarbeit und Freiräume in illiberalen Kontexten unterstützt werden können, ist ein zentrales Thema des Goethe-Instituts. Orte des freien Austausches zur Verfügung zu stellen, wird immer schwieriger. Dies ist gepaart mit der Flucht zahlreicher Kulturschaffender. Das kürzlich eröffnete »Goethe-Institut im Exil« ist eine Antwort auf diese Entwicklungen. Zunächst auf zwei Jahre projektiert, bietet es Kulturschaffenden, die in ihren eigenen Ländern aufgrund lebensbedrohlicher Umstände nicht mehr oder nur noch schwer arbeiten können, eine Bühne sowie einen Ort für Diskussionen und Austausch – untereinander und mit deutschen und anderen europäischen Partnern. Und auch hier betreibt das Goethe-Institut eine Politik der eher leisen Töne, um Mitarbeitende und Partner zu schützen und ihre Familien nicht zu gefährden.
Globale Verbindungen stiften und Vielstimmigkeit fördern, neue Themen erkunden und für hiesige Debatten fruchtbar machen und schließlich aktuelle Polarisierungen durch ein Ethos des Zuhörens bändigen: Diese Politik lebt von der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit unseren Partnern in aller Welt. Und um dies garantieren zu können, braucht es eine ausreichende Finanzierung. Die Kürzung der institutionellen Förderung um 10,5 Prozent gegenüber 2020 und 2021 in Verbindung mit hoher Inflation und der Schwäche der europäischen Währung trifft das Goethe-Institut und seine Arbeit auf der ganzen Welt daher erheblich. Schon jetzt haben die Kürzungen für 2022 bewirkt, dass viele Institute im Ausland ihre Kulturarbeit bis Ende des Jahres massiv reduzieren müssen. Zukunftsinvestitionen in digitale Deutschangebote; die Ausbildung von Deutschlehrkräften, die Vorbereitung dringend benötigter Fachkräfte; die Unterstützung von Kulturakteuren, die weltweit für gesellschaftliche Offenheit und Pluralität stehen, oder Nachhaltigkeit: Diese und weitere Themen des Goethe-Instituts müssten mit den weiteren Kürzungen ab 2023 einschneidend reduziert werden.
Das Goethe-Institut arbeitet intensiv daran, sein breites Netzwerk so zu konsolidieren, dass es zukunftsfähig und den neuen geopolitischen Herausforderungen gewachsen ist. Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist kein »nice to have«, sondern Grundlage für eine kluge, unaufgeregte und zugleich veränderungsbereite wie kontinuierliche Positionierung Deutschlands in der Welt.