Die heutige Diskussion über Bilder aus der KI hat verblüffende Ähnlichkeiten mit Debatten, die früher und lange Zeit über Fotografie geführt wurden. Eine der wichtigsten und nachhaltigsten Gründungslegenden der Fotografie ist diejenige, das Medium sei ein Aufzeichnungsmedium, das die Rolle des Menschen im Bildprozess minimiere, wenn nicht gar eliminiere. Henry Fox Talbot nannte 1844 sein Mappenwerk »The Pencil of Nature« und bewarb es mit der Behauptung, »the plates of the present work are impressed by the agency of light alone, without any aid whatever from the artist’s pencil«. Die natürliche Intelligenz der Sonne stellte das fotografische Bild her.

Die ästhetischen und urheberrechtliche Folgen hatten Langzeitwirkung: Fotografinnen und Fotografen erstritten sich über ein Jahrhundert lang – auch vor Gericht – die »Kunstwürde« der Fotografie. Erst Mitte der 1990er Jahre waren die fotografischen Kunstwerke denen anderer Medien urheberrechtlich in ihrer Schutzdauer gleichgestellt. Noch 2011 musste der EuGH (Rs. C-145/10) daran erinnern, dass bei der Porträtfotografie in allen Phasen kreative Spielräume bestehen, welche einen urheberrechtlichen Schutz begründen: vor der Aufnahme beim Arrangement und der Lichtregie, während der Aufnahme bei der Wahl des Standpunktes, der Perspektive und des Ausschnitts, nach der Aufnahme bei der Entwicklung und der digitalen Nachbearbeitung. Dies wussten schon die Vertreterinnen und Vertreter des Piktorialismus um 1900, die die Fotografie als Kunstform verteidigten und ihr schöpferisches Potenzial propagierten: die Retusche, die Papierauswahl, die Manipulationsmöglichkeiten in der Dunkelkammer und hinter der Kamera. Im Rückblick zeigt sich der Weg der Fotografie vom automatischen Bildmedium zum künstlerischen Werkzeug deutlich, aber auch als Labyrinth mit zahlreichen Ab- und Verzweigungen.

Gegenwärtig wird die Künstliche Intelligenz ähnlich beworben wie seinerzeit die Fotografie: als etwas, das selbstständig Bilder generiert. Wie im 19. Jahrhundert die Vorwürfe laut wurden, talentlose Schmierer könnten nun mithilfe der Fotografie als Porträtisten reüssieren und würden so den besseren (aber teureren) Malern die Aufträge wegnehmen, wird heute die Angst geschürt, KI-Bilder würden ganze Werbeagenturen und Grafikdesigner in die Arbeitslosigkeit schicken. Andere wiederum begrüßen das Einsparpotenzial. Doch so wie nach und nach die fotokritische Erhellung der dunklen Kammer der Fotografie das Verständnis für die Komplexitäten der menschlich-maschinellen Interaktion vertieft hat, gibt es erste Risse in der Blackbox der KI. Der Bias, die Fortschreibung diskriminierender Stereotype im Output der KI dürfte mittlerweile zum intellektuellen Allgemeingut gehören. Nach dem Grundsatz »Garbage in – garbage out« produziert eine KI stereotypische Bilder, wenn sie mit dem entsprechenden Bildmaterial trainiert wurde. Diese Trainingsdaten haben menschliche Gatekeeper. Und deren prekäre Arbeitsbedingungen gehören ebenfalls zum Problemkreis der KI. Es ist denkbar, dass unterschiedlich kuratierte Trainingsdaten auch mit den gleichen textlichen Vorgaben strukturell unterscheidbare und damit inhaltlich zuzuordnende Bilder auswerfen, sodass sich hier eine Art von Autorschaft abzeichnet. Solche Zusammenhänge kennen wir bereits aus der Fotogeschichte: Wer die Begriffe »Förderturm« und »Dokumentarfotografie« hört, denkt als Nächstes »Bernd und Hilla Becher«.

Die textlichen Vorgaben an die jeweilige KI spielen eine ähnlich wichtige Rolle in der Steuerung des Outputs. Erste Künstlerinnen und Künstler haben die große Ähnlichkeit KI-generierter Bilder mit ihren eigenen Produktionen bemerkt und gerichtliche Verfahren in Großbritannien und den USA angestoßen. Über die Eingabe der Begriffe, mit denen die KI operieren soll, lässt sich in Einzelfällen eine Einengung der Algorithmen erreichen, die das ausgegebene Bild dem Œuvre einer identifizierbaren Person zuordnet. Auch hier finden sich Vorläufer in der Fotografiegeschichte. Als 1859 in Dublin der Fotograf James Robinson ein Gemälde Henry Wallis’ in seinem Atelier als Tableau vivant nachstellte und eine Stereoskopie davon anfertigen ließ, urteilte das Gericht, auch wenn das Foto nicht unmittelbar das Gemälde kopiere, sondern nur im Ergebnis über Umwege, so handele es sich doch um eine Kopie. Das zurzeit vorgebrachte Argument ist das gleiche wie aus der Frühzeit der Fotografie: Das Ergebnis ist gleich, also kopiert die KI das Original. Die Abgrenzungen sind subtil: Während der Stil frei ist, sind es die formal abgrenzbaren Stilelemente nicht immer – diese werden als Versatzstücke wahrgenommen.

Die nächsten Aufklärungsschritte werden für weitere Differenzierungen und Kontrollmöglichkeiten sorgen. Damit steigt das Instrumentalisierungsniveau der KI. Die Anbieter offerieren bereits verschiedene Stillagen für den Bild-Output an (Renaissance oder Pop-Art); es dürfte relativ einfach sein, Trainingskorpora gemeinfreier und geschützter Werke zu unterscheiden. Die Programmiererinnen und Programmierer der KI werden als Kreative nach und nach Anerkennung finden, und zwar in dem Maße, in welchem die Prozesse als steuerbar beschrieben werden können und nicht mehr als Blackbox.

Die Prozesse selbst wiederum entsprechen dem technischen Anteil, der auch die Fotografie bis heute prägt. Nicht mit Kreativität zu verwechseln ist an dieser Stelle aber die digitale Aleatorik der KI. Sie ist keine echte Kreativität, sondern simuliert sie nur.

So kann angesichts des historischen Vorbilds der Fotografie dafür argumentiert werden, beim Einsatz der KI zwischen drei Aspekten zu unterscheiden: erstens kreativen Entscheidungen, zweitens aleatorischen und algorithmischen Prozessen und drittens dem Ergebnis.

Wo diese Elemente übergriffig eingesetzt werden, d. h. in fremde Schutzgüter und Prozesse eingreifen, müssen sie kontrolliert werden. Das ist grundsätzlich eine alte Geschichte, die sich fotografiegeschichtlich gut am Recht am eigenen Bild erzählen lässt. Für die KI wird die Debatte im Wesentlichen in der Dimension der Technik und der Programmierung geführt. Wir müssen uns deshalb auf diese Technik kompetent einlassen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.