Seit ChatGPT ist Künstliche Intel-ligenz in aller Munde und von den Anwendungsmöglichkeiten, die diese KI bietet, dürfte die Buchbranche in der Zukunft besonders betroffen sein. Künstliche Intelligenz wird in der Buchbranche aber auch schon länger zur Arbeitserleichterung genutzt. Im Buchhandel wird KI beispielsweise von Filialisten bei Buch-Empfehlungssystemen in Onlineshops eingesetzt. Im Verlagsbereich bieten die Softwareanbieter PONDUS sowie die Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice (hgv) eine KI-Anwendung zur Erstellung genauerer Absatzprognosen an, um eine möglichst passende Auflagenhöhe zu planen. Zu hohe Auflagen können nämlich zu hohen Lagerkosten führen, im schlimmsten Fall müssen Bücher am Ende makuliert werden. Zu niedrige Auflagen verursachen Lieferengpässe und können zu erhöhten Druckkosten führen. Die KI wird in bestehende Verlagsprozesse integriert und kann somit den Menschen bei der Planung helfen. Auch das Verzeichnis lieferbarer Bücher hat einen neuen Klassifikationsstandard erhalten, die durch eine KI gesteuert wird. Die Künstliche Intelligenz ordnet allen Titeln in der Datenbank VLB fortlaufend und automatisiert Lesemotive wie z. B. »Leichtlesen«, »Entspannen«, »Entdecken« oder »Nervenkitzeln« zu. Die Lesemotive sollen den unbewussten emotionalen Zugang zu Büchern nutzbar machen, um die Kundenansprache zu verbessern. Die KI wurde zu Anfang von Branchenexperten gefüttert und deren Ergebnisse werden regelmäßig überprüft. Das Unternehmen Qualifiction, das auch die Lesemotive entwickelt hat, bietet zudem weitere Software an, z. B. das Programm LISA, welches die Analyse von Texten, z. B. eingesandten Manuskripten, übernimmt. Analysiert werden das Thema, die Stimmung, der Stil, die Figuren und das Leserpotenzial des Textes. Ob ein Buch ein Bestseller wird, kann damit jedoch nicht herausgefunden werden, dies ist auch von Maschinen noch nicht berechenbar. All diese Beispiele zeigen, wie KI den Menschen die Arbeit erleichtern kann. Bedrohlicher ist dagegen die Vorstellung, dass KI den Menschen ersetzen könnte. Tatsächlich wurden auch bereits vollständige Bücher von einer KI geschrieben. Schon 2019 hat der Wissenschaftsverlag Springer Nature ein E-Book zum neuesten Stand der Lithium-Ionen-Batterietechnik durch einen Algorithmus erstellen lassen. Alle relevanten Inhalte im Bereich Chemie und Materialforschung wurden durchkämmt und neu zusammengefasst. Das Buch »A Machine-Generated Summary of Current Research« ist beim Verlag kostenlos herunterladbar und ermöglicht Wissenschaftlern einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschungsliteratur. Und auch in der Belletristik wurden bereits erste Schritte gemacht. 2022 erschient z. B. der Kurzkrimi »Der düstere Mann« auf Amazon, der von der KI neuro-flash erstellt wurde. Sieht man sich die Rezensionen an, so scheint bezüglich der Qualität allerdings noch Luft nach oben zu sein. Dennoch ist spätestens seit ChatGPT klar, dass der Einsatz von KI bald nicht mehr wegzudenken sein wird.

Umso wichtiger ist es, sich über die rechtlichen Rahmenbedingungen Gedanken zu machen, vor allem, wenn die KI im kreativen Bereich eingesetzt wird. Nach gegenwärtiger Rechtslage in Deutschland ist ein urheberrechtlicher Schutz von vollständig autonom durch KI erzeugten Sprachwerken nicht gegeben, es fehlt an einer persönlich geistigen Schöpfung gemäß § 2 Abs. 2 UrhG. Nur ein Mensch kann schöpferisch tätig werden. Anders sieht es aus, wenn ein Mensch die KI lediglich als Werkzeug zur Umsetzung eigener Ideen nutzt. In diesem Fall ist es möglich, dass der Mensch ein Urheberrecht erwirbt. In diesem Zusammenhang ist die Antwort von ChatGPT auf die Frage, ob die ausgegebenen Texte urheberrechtlich geschützt sind, interessant: »Als Künstliche Intelligenz bin ich nicht im Besitz von Urheberrechten an den von mir erzeugten Texten. Das geistige Eigentum an den von mir generierten Texten gehört meinen Entwicklern und dem Unternehmen OpenAI, das mich erstellt hat.« Hier ist unklar, worauf sich der behauptete Schutz bezieht. Bei aller Begeisterung über die Antworten von ChatGPT sollte also nicht vergessen werden, dass eine KI nur so gut wie ihre Trainingsdaten ist. Und diese Daten stammen regelmäßig von Menschen. Und hier stellt sich das zweite urheberrechtliche Problem. Dürfen Sprachwerke als Trainingsdaten genutzt werden? Die Antwort darauf könnte § 44b UrhG geben, wonach die automatisierte Analyse von Werken zulässig ist, um da-raus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen. Nutzungen sind allerdings nur zulässig, wenn der Rechteinhaber sich diese nicht vorbehalten hat. Bei online zugänglichen Werken muss der Nutzungsvorbehalt in maschinenlesbarer Form erfolgen. Die weitere Entwicklung wird zeigen, ob es nicht doch nötig sein wird, dass die Schrankenregelung § 44b UrhG eingeschränkt wird oder zumindest mit einer Vergütungspflicht einhergehen muss. In jedem Fall sind viele Fragen ungeklärt, die ersten Rechtsstreitigkeiten laufen dementsprechend bereits.

Aber noch weitere Fragen werden zukünftig zu klären sein. Wie kann beispielsweise verhindert werden, dass die Antworten von KI-Systemen ungeprüft übernommen werden? Wie werden Schulen mit KI umgehen? Und konkret auf die Buchbranche gemünzt: Was für Auswirkungen wird es z. B. auf dem Ratgebermarkt geben? Muss es irgendwann ein Gütesiegel geben, wenn Menschen recherchiert, Bücher geschrieben oder zumindest geprüft haben? Schon jetzt gibt es im Ratgeberbereich auf Amazon zahlreiche Me-too-Produkte, die schnell zusammengeschrieben oder sogar abgeschrieben wurden. Die Qualität ist oftmals mangelhaft, es besteht somit die Gefahr, dass Leser das Vertrauen in Bücher verlieren. Jeder erfolgreiche Verlagstitel wird mittlerweile von Dutzenden Billigimitaten flankiert. Dieser Trend könnte sich durch den Einsatz von schreibfähigen KIs noch verstärken.

Ob im positiven oder im negativen Sinn, das Thema KI wird die Buchbranche in jedem Fall noch lange beschäftigen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.