Finden Sie Politik- und Gesellschaftstalks wie »maybritt illner« oder »Maischberger« oft recht unterhaltsam und Game- und Quizshows durchaus auch mal langweilig? Gute Unterhaltung ist nicht unbedingt eine Frage der Programm-, Angebots- und Formatkategorie, sondern ist – ganz simpel – dann gegeben, wenn Menschen sich gut unterhalten fühlen. Und das kann prinzipiell bei jeglicher Kategorie von Angebot der Fall sein. Wann aber fühlen sich Menschen gut unterhalten? Abhängig von der Person, der Situation, dem aktuellen Bedürfnis und der Erwartung an die Rezeption kann Unterhaltung bei einem Angebot eintreten, das 1.) lustig ist und einen zum Lachen bringt, 2.) das eine angenehme, schöne und unangestrengte Atmosphäre schafft, 3.) das entspannt und einen auf andere Gedanken bringt, 4.) das aufregend, stimulierend, dynamisch und spannend ist, 5.) das Emotionen weckt und in der Lage ist, die eigene Stimmung zu optimieren, 6.) das physiologische und vegetative Reaktionen, z. B. erhöhten Herzschlag, Gänsehaut etc., auslöst und in der Lage ist, den eigenen Erregungslevel zu optimieren, 7.) das ermöglicht, mit anderen empathisch mitzufühlen und sich mit anderen zu identifizieren, 8.) das Interesse weckt, abwechslungsreich und überraschend ist, 9.) das einen nicht über- noch unterfordert, das Zeit und Raum vergessen lässt und einen in einen »Flow«-Zustand versetzt, 10.) das einen aktiv handeln, eingreifen und interagieren lässt und 11.) das einen herausfordert und ermöglicht, kognitive und intellektuelle Fähigkeiten unter Beweis zu stellen sowie eigene Werte und Einstellungen zu hinterfragen.

Maßgeblich für das Gefühl, sich gut zu unterhalten, ist in den meisten Fällen ein als angenehm empfundenes, mittleres Erregungsniveau, das jedoch von Person zu Person unterschiedlich ausfallen kann. Der Erregungslevel steht in engem Zusammenhang mit der Informations- und Emotionskomplexität, die auf die Rezipierenden einwirkt. Dabei müssen die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten der Mediennutzenden mit der Komplexität des Medienangebots korrespondieren. Ist das Medienangebot gemessen an den Fähigkeiten der Rezipierenden zu komplex, dann stellt sich ein Gefühl der Überforderung und Belastung ein. Ist das Medienangebot für die Nutzenden zu wenig komplex, so tritt Langeweile und ein Gefühl der Unterforderung ein. Um »gute Unterhaltung« sicherzustellen, sollte das Ziel der Medienschaffenden also sein, Angebote mit einer Komplexität zu schaffen, die auf die durchschnittliche Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeit der jeweiligen Zielgruppe ausgelegt ist.

Als eines der sogenannten Paradoxien der Unterhaltungsforschung gilt das Phänomen, dass sich Rezipierende trotz Überforderung und Belastung trotzdem gut unterhalten fühlen. Wie lässt sich z. B. das Unterhaltungserleben bei einem komplexen, fordernden und tief traurigen Film erklären, der zudem nicht gut endet, der also die Zuschauenden während des gesamten Filmes bis über das Filmende hinaus belastet? In den letzten 15 Jahren haben sich verstärkt Forschungsansätze entwickelt, die dem hedonisch-motivierten Unterhaltungserleben im Sinne von Vergnügen ein alternatives positives Rezeptionserleben entgegenhalten, das sich aus non-hedonischen Rezeptionsmotiven und -erfahrungen speist. Der Mediennutzer ist nach diesen Ansätzen nicht per se ein Hedonist, der stets maximalen Spaß haben will, um seine Stimmung zu optimieren, sondern jemand, der auch bei weniger ausgelassener Stimmung seine Erfüllung darin findet, in bedeutungsvollen, anspruchsvollen und herausfordernden Medienangeboten nach Lebenssinn, Erkenntnis und Selbsterfahrung zu suchen. Diese Motive lassen sich innerhalb der psychologischen Well-Being-Forschung im sogenannten eudaimonischen Denkansatz verorten, der auf Aristoteles zurückgeht und der an Bedürfnisse der Herausforderung, der Anstrengung und der persönlichen Weiterentwicklung geknüpft ist. Unterhaltung kann somit also auch über sinnstiftende und bedeutsam empfundene Erlebensaspekte bei der Rezeption kognitiv wie emotional anstrengender und fordernder Medieninhalte erklärt werden.

Unterhaltungsangebote bedienen diese eudaimonischen Bedürfnisse zunehmend. Das »ZDF Magazin Royal« mit Jan Böhmermann beispielsweise mag wie »Die Harald Schmidt Show« vor 20 Jahren zunächst als ein Late-Night-Format erscheinen, das aktuelle Ereignisse satirisch kommentiert. Es geht dabei aber wesentlich anspruchsvoller und komplexer vor: Pro Sendung wird in der Regel nur ein einziges, meist moralisch-aufgeladenes Thema aufgearbeitet, zu dem zuvor hintergründig recherchiert und neue Aspekte zusammengetragen wurden. Böhmermann setzt das Ganze dann wie ein journalistisches Puzzle argumentativ zusammen und bricht vermeintlich plausible Argumentationsketten durch das Einbinden von Widersprüchen und satirischen Kommentaren – das Ganze in einer Dichte und Geschwindigkeit, die den Rezipierenden höchste Konzentration abverlangen. Während Schmidt also im Stile der amerikanischen Late-Night-Talker mit schnellen Gags für Entspannung, Spaß und Abwechslung am Abend sorgte und damit primär die hedonische Unterhaltung bediente, fordert Böhmermann seine Zuschauerinnen und Zuschauer im Sinne eudaimonischer Unterhaltung geradezu heraus, mutet ihnen was zu, ermöglicht ihnen, Wertvorstellungen zu hinterfragen, sich weiterzuentwickeln und an ihrer persönlichen Haltung zu einem gesellschaftlich-relevanten Thema zu »arbeiten«. Eine ganz ähnliche Funktion erfüllen hier seit Jahren erfolgreiche Podcasts wie »Gemischtes Hack« und »Fest & Flauschig«, in denen aktuelle Themen humorvoll, aber – wenn angezeigt – auch mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Hintergründigkeit vermittelt werden: Die Moderatoren beziehen häufig Stellung zu wichtigen Themen, z. B. Fleischkonsum, Naturschutz, politischer Extremismus, Pandemien, zeigen damit Haltung und ermöglichen den Zuhörerinnen und Zuhörern, das eigene Wertekorsett zu hinterfragen sowie Fragen zum Sinn des Lebens und des eigenen Handelns zu beantworten.

Als ein weiteres prominentes Beispiel sind Filme und Serien zu nennen, in denen komplexe und gebrochene Charaktere gezeigt werden und in denen die Handlung häufig nicht den Verlauf nimmt, den sich die Rezipierenden wünschen z. B. »Game of Thrones« oder »Breaking Bad«. Eine Identifikation mit solchen Anti-Helden ist schwieriger und herausfordernder für die Rezipierenden, ermöglicht aber wertvolle Einsichten in menschliche Abgründe, grenzwertige zwischenmenschliche Konflikte und Schattenseiten des Lebens, die einem im realen Leben oftmals verschlossen bleiben. Insofern tragen auch solche Filme und Serien im eudaimonischen Sinne dazu bei, die eigene Persönlichkeit zu festigen und zu formen, Werte und Lebenssinn zu hinterfragen sowie sich des hohen Wertes enger sozialer Verbindungen bewusst zu werden.

Ein letztes Beispiel ist der seit Jahren anhaltende Boom von komplexen Strategiespielen sowie von Escape Rooms bzw. Exit Games. Letztere ermöglichen es Menschen, im Team Rätsel zu entschlüsseln und Aufgaben zu erfüllen, um ein bestimmtes Ziel in begrenzter Zeit zu erreichen. Im Beruf wäre solch eine Konstellation in der Regel mit Stress verbunden, weil man dort funktionieren muss, da es nicht folgenlos bleibt, wenn das Ziel nicht erreicht wird. In der Freizeit und im Spielkontext hingegen kann diese Konstellation im eudaimonischen Sinne höchst unterhaltsam sein, insbesondere wenn dabei soziale Verbundenheit mit anderen Menschen, Selbstbestimmtheit und Kompetenz, die Umwelt bzw. Anforderungen zu bewältigen, erfahrbar werden.

Warum aber geht der Trend hin zu diesen eudaimonischen Unterhaltungsangeboten? Hierüber kann freilich nur spekuliert werden. Eine Ursache liegt sicher in der Natur von Medienschaffenden und Kreativen, Unterhaltungsangebote stets weiterzuentwickeln und zu profilieren, um neue Anreize und Alleinstellungsmerkmale zu generieren. Dies geht in der Regel mit höheren Anforderungen und höherer Komplexität einher, weil es viel schwieriger ist, etwas Neues zu kreieren, was von der Konstruktion einfach ist, bisher aber noch nicht erschaffen wurde. Die Entwicklung zu immer komplexeren und anspruchsvolleren Unterhaltungsformen wäre somit eine Art natürliche Evolution der Unterhaltungsbranche. Vielmehr dürfte die Ursache dieser Entwicklung aber in den veränderten Bedürfnissen der Menschen liegen. Laut der sogenannten Maslowschen Bedürfnispyramide entwickeln Menschen in dem Moment, wo Grundbedürfnisse, z. B. Essen und Schlafen, Sicherheitsbedürfnisse wie Wohnen oder Arbeit, soziale Bedürfnisse, z. B. Partner und Freunde, und wichtige individuelle Bedürfnisse wie Anerkennung bereits befriedigt sind, die Motivation, sich darüber hinaus auch noch selbst zu verwirklichen. In diese »Luxus«-Situation scheinen in den westindustrialisierten Staaten immer mehr Menschen in den letzten 20 bis 30 Jahren gekommen zu sein. Oder anders gesagt: Wenn zunehmend mehr Menschen bereits in ihrem Job etwas suchen und finden, was ihnen Spaß macht und ihnen Anerkennung bringt, müssen diese Bedürfnisse in der Freizeit nicht mehr eingelöst werden – die Freizeit kann dann zur Selbstverwirklichung genutzt werden, und dazu eignen sich eudaimonische Unterhaltungsangebote hervorragend. Die Coronapandemie, aber auch die Folgen des Ukraine-Kriegs – Stichwort: Energiekrise – zeigen jedoch, wie schnell Grund- und Sicherheitsbedürfnisse in den Vordergrund und Selbstverwirklichungsbedürfnisse wieder in den Hintergrund geraten können. Dies erklärt, warum viele derzeit einfach mal wieder nur gerne lachen und entspannen würden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2023.