Wie können antisemitische Objekte im Museum ausgestellt werden und welcher Kontext ist dafür notwendig? Was wird in der Praxis bereits getan? Über diese Fragen und mehr spricht die Literaturwissenschaftlerin und Kuratorin der Ausstellung »Juden. Geld. Eine Vorstellung« Liliane Weissberg mit Maike Karnebogen.

Maike Karnebogen: Erlauben Sie zu Beginn eine grundlegende Frage, wie wird Antisemitismus im Museum deutlich? Welche beispielhaften Zeugnisse des Antisemitismus im Museum gibt es?

Liliane Weissberg: Vielleicht kann ich die Frage etwas umformulieren. Es geht nicht darum, ob Antisemitismus im Museum behandelt wird, sondern wie und wo und vor allem in welchem Kontext antisemitische Objekte oder Objekte, die eine Diskussion über den Antisemitismus fördern oder veranlassen, gezeigt werden können. Dazu gibt es im Allgemeinen zwei Möglichkeiten. Die eine ist das Ausstellen von Sammlungen. Es gibt Sammler – und das sind interessanterweise vor allem jüdische Sammler – die antisemitische Objekte zusammengetragen haben, um einerseits ihre eigene Familiengeschichte und die Ereignisse der Vergangenheit zu verstehen, und andererseits der nächsten Generation verdeutlichen wollen, was geschehen war. Eine Sammlung, mit der ich näher bekannt bin, ist z. B. jene von Martin Schlaff, die dem Jüdischen Museum in Wien 1993 übergeben wurde. Es ist eine Sammlung von Alltagsobjekten, z. B. Spazierstöcken oder Spardosen, die Spottbilder von Juden zeigen. Die Wiener Kuratorin Felicitas Heimann-Jelinek hatte eine sehr interessante Lösung für das Zeigen dieser Sammlung geschaffen. Die Objekte wurden in einem Schaudepot des Museums untergebracht. Sie stehen in Vitrinen mit dem Rücken zum Betrachter, aber vor einem Spiegel, so dass der Betrachter die Objekte sozusagen indirekt sehen kann. Eine andere Möglichkeit ist natürlich, die Objekte direkt zu zeigen, aber in einen pädagogischen Kontext zu setzen. Dieser Kontext ist oft nicht durch die Sammlungen selbst gegeben, sondern durch ihre Integration in thematische Ausstellungen.

Die Sammlung Wolfgang Haney, die jüngst mithilfe öffentlicher Mittel vom Deutschen Historischen Museum angekauft wurde, ist eine extensive Sammlung, die sich auf die Judenverfolgung konzentriert. Sie enthält antisemitisches Material wie auch historische Dokumente. Der Schwerpunkt hier ist das Dritte Reich, aber die Zeitspanne reicht vom späten 19. Jahrhundert fast bis in die Gegenwart. Die antisemitischen Objekte sind vor allem nicht, wie bei der Sammlung Schlaff, dreidimensional, sondern Druckmaterial, das wir als Ephemera bezeichnen: Flugblätter, Klebezettel, Broschüren, die in sehr großer Stückzahl meist billig produziert wurden. Viele Bildpostkarten sind dabei, die oft in Deutschland gedruckt, aber auch international verschickt wurden. Es sind Dinge, die angesehen, gelesen, aber dann sehr oft auch weggeworfen wurden. Die Sammlung ist nicht nur interessant, weil sie eine recht problematische deutsche Alltagswelt zeigt, sondern auch, weil hier ein recht fragiles Material gerettet wurde. Ich bin sehr glücklich, dass die Sammlung an das Deutsche Historische Museum gegangen ist. Dort gehört sie, denke ich, allein schon wegen der Art des Materials idealerweise hin.

Müssen Sammlungen insgesamt neu befragt werden? Wie kann oder muss mit den Sammlungen gearbeitet werden?

Man muss mit den Sammlungen arbeiten. Aber die Sammlungen, die ich kenne, sind alle sehr unterschiedlich aufgearbeitet worden. Um noch mal zurückzugehen zur Sammlung Schlaff: Nachdem sie dem Jüdischen Museum Wien übergeben wurde, wurde ein Teil der Objekte in einer Ausstellung im Rathaus Wien gezeigt, es gab ein Symposium und einen Band, »Die Macht der Bilder«. Die Sammlung Haney erreicht das Deutsche Historische Museum dagegen zu einem Zeitpunkt, an dem die wissenschaftliche Aufarbeitung bereits begonnen hatte. Es gab bereits eine Ausstellung, »Abgestempelt«, welche Teile der Postkartensammlung zeigte, sowie eine weitere über Klebezettel, »Angezettelt«; beide wurden in verschiedenen Museen gezeigt. Zu diesen Ausstellungen gab es Kataloge, aber es sind auch wissenschaftliche Bücher und DVDs erhältlich, die Wolfgang Haney ganz proaktiv veranlasst hatte, um seine Objekte der Öffentlichkeit vorzustellen. Das heißt, nach der Übergabe der Sammlung ­Haney an das Museum muss mit einer Bearbeitung nicht begonnen, sondern kann mit ihr fortgefahren werden.

Die Frage hinsichtlich des Ausstellens ist nicht nur eine des »Wie«, sondern auch des »Wo«. Es sind ja auch drei sehr unterschiedlich museale Kontexte, die ich bisher erwähnt habe. Einerseits Sonderausstellungen wie »Abgestempelt«, die z. B. auch in einem Museum für Kommunikation gezeigt wurde. Dann gibt es das Jüdische Museum als möglichen Aufbewahrungsort. Die Sammlung Haney wurde von einem Historischen Museum erworben. Dabei drängt sich natürlich die Frage auf, welches Museum in welchem Kontext Fragen des Antisemitismus behandeln sollte. Viele Leiter jüdischer Museen sagen in etwa: »Das ist eigentlich nicht unsere Aufgabe. Wir sind dazu da, jüdische Geschichte und Kultur zu zeigen und zu reflektieren, keine Geschichte des Antisemitismus.« Das Deutsche Historische Museum etwa kann sicherlich einen komplexeren Kontext bieten, weil es nicht nur um die Frage jüdischer Sammler geht oder die Frage der jüdischen Reaktion auf antisemitische Schriften und Objekte, sondern auch über die Geschichte der Entstehung von Vorurteilen. Der deutsche Antisemitismus ist deutsche Geschichte und bisweilen kommt er bei seiner Produktion von Stereotypen sogar gut ohne Juden aus.

Wie kann Antisemitismus im Museum thematisiert werden, ohne dabei bestehende Stereotypen und Vorurteile weiterzutragen?

Das ist eine wissenschaftliche und vor allen Dingen auch pädagogische Frage. Man muss vor allem auch umgekehrt bedenken: Was passiert, wenn man solche Bilder und Objekte nicht zeigt? Da wird es natürlich auch gefährlich, weil Betrachter denken können, es gibt sie nicht, oder erkennen nicht ihre Tradition. Wenn man die Objekte in einem öffentlichen Raum zeigt, dann nimmt man sie ernst und fragt danach, was sie politisch aussagen wollen. Ernstnehmen bedeutet auch, ihre potenzielle Gefahr zu erkennen, die von ihnen – noch ­heute – ausgeht. Und da ist es natürlich ausgesprochen wichtig, dass die Geschichte der Objekte erzählt wird und dass sie nicht einfach in einen Glaskasten gelegt oder auf ein Regal gestellt werden.

Was wird in der Praxis bereits getan? Welche visuellen Fähigkeiten im Umgang mit Antisemitismus müssen eventuell noch geschult werden?

Es gab sehr lange eine große Berührungsangst diesen Objekten gegenüber, vielleicht auch eine gewisse Verdrängung. Sie wurden entweder gar nicht oder eher zufällig gezeigt. Aber diese Objekte existieren und dürfen nicht geleugnet werden; antisemitische Bilder zirkulieren noch heute außerhalb von Museen in Zeitungen, Zeitschriften und sozialen Medien. Ich glaube, dass es gerade für die aktuelle politische Situation und die jetzige Generation wichtig ist, die ­Geschichte dieser Bilder zu verstehen und die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Deutschland ist ein Land von Bürgerinnen und Bürgern mit vielfältigen Kulturtraditionen. Und antisemitische Objekte versuchen ja gerade, jegliche Vielfalt zu leugnen bzw. Menschen als andersartig zu erklären, um sie dann auszugrenzen und abzuwerten.

Im Jahr 2013 haben Sie die Ausstellung »Juden. Geld. Eine Vorstellung« am Jüdischen Museum Frankfurt kuratiert, die sich der oft als selbstverständlich angenommenen Verbindung von Reichtum und Judentum widmet. Wie kam es zu der Ausstellung und wie sind Sie mit Stereotypen und Vorurteilen in diesem Zusammenhang umgegangen?

Die Ausstellung als Idee existierte bereits. Raphael Gross, der damalige Direktor des Jüdischen Museums in Frankfurt und jetzige Direktor des Deutschen Historischen Museums, hatte mir dann vorgeschlagen, die Ausstellung zu kuratieren. Die Deutsche Bank, die ihre Zentrale in Frankfurt hat, war an ihn herangetreten. Viele große deutsche Banken waren aus Privatbanken entstanden, die im jüdischen Besitz waren, und die Deutsche Bank war daran interessiert, über ihre Geschichte nachzudenken. Gleichzeitig gab es aktuell eine
Finanzkrise und die Occupy-Bewegung. Da waren nun wieder Karikaturen und Redewendungen aufgetaucht, die eine antisemitische Tradition hatten; es gab daher auch eine aktuelle politische Situation, auf die man reagieren musste. Ich möchte aber gleich sagen: »Juden. Geld. Eine Vorstellung« sollte keine Ausstellung über den Antisemitismus sein. Es sollte eine Ausstellung sein, die versuchte, von der europäisch-jüdischen Geschichte seit dem Mittelalter her über das Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zur Geldwirtschaft nachzudenken und damit auch die Auslöser für Reaktionen, die zu antisemitischen Bildern geführt haben, zu begreifen. Als Leitfiguren für die Ausstellung hatte ich auch zwei fiktive Gestalten gewählt. Die eine war ­Shylock aus dem »Kaufmann von Venedig«. Die andere war Nathan aus »Nathan der Weise«. Im üblichen Denken war der eine Geldverleiher der böse Jude und der andere der gute Jude. Es ist auch so, dass im Dritten Reich natürlich besonders Shylock populär war und in der Nachkriegszeit wurde dann sofort Nathan auf die Bühne gesetzt. Wenn man sich beide Figuren aber genauer anschaut, so verbindet sie eine verblüffende Ähnlichkeit. Ein Museum und eine Ausstellung muss nicht nur Neues zeigen, sondern auch Manches, was wir zu kennen glauben, infrage stellen und weniger selbstverständlich machen.

Vielen Dank.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2022.