Ob es Schuberts Bächlein ist, das neben dem verliebten Müllergesellen erst munter plätschert und zuletzt zum nassen Grab des Verzweifelten wird, oder Wagners abgründig-mythisch wogender Rhein, in dessen Wellenspiel anfangs die neckischen Rheintöchter das Nibelungengold behüten, das sich der Fluss am Ende von »Der Ring des Nibelungen« zurückholt, indem er über die Ufer tritt: Wasser spielt in der Musik schon immer eine prominente Rolle. Entsprechend dem enormen Symbolgehalt des Wassers sind auch die musikalischen Werke, die sich dieses Elements annehmen, von einer kaum übersehbaren Vielgestaltigkeit, die alles zwischen dekorativer Illustration und spiritueller Offenbarung umfasst.
Während der Titel von Händels »Wassermusik« auf nicht mehr als einen spezifischen Aufführungsumstand hinweist – nämlich eine musikalisch untermalte Lustfahrt des englischen Königs Georg I. auf der Themse im Sommer 1717 –, ohne dass diese Orchestersuiten irgendwie auf den Fluss Bezug nehmen würden, führte gut ein halbes Jahrhundert später die französische Nachahmungsästhetik dazu, dass in der Musik zunehmend auch äußere Erscheinungen wiedergegeben wurden. In dieser Tradition steht beispielsweise die Szene am Bach aus Beethovens 6. Symphonie, der »Pastorale«. In den folgenden Jahrzehnten versuchten immer neue kompositorische Strategien, das letztlich unfassbare Fluidum hörend erfahrbar zu machen.
Mendelssohns insgesamt drei »Venezianische Gondellieder« (1829–1845) abstrahieren die Idee des Wellenschlags in einer gleichförmig wogenden Begleitung, die eine visuelle und körperliche Erfahrung mit dem Wasser umsetzt; Liszts späte »Trauergondeln« (1882) steigern diese Melancholie zur Morbidität. Dass der venezianische Topos aber nicht immer düster ausfallen muss, zeigt 1845 Chopins lebensbejahende »Barcarolle« mit ihrem betörenden, Belcanto-artigen Oberstimmen-Duett, ebenso wie später Offenbachs heiter beschwingtes Beispiel aus »Orpheus in der Unterwelt«.
Den eigentlichen akustischen Phänomenen des Wassers hatten sich diese Stücke nicht angenähert, denn Wasser macht keine Musik, sondern Geräusch. Genau dieses verstand Liszt auf dem Klavier einzufangen: Permanente Sekundklänge – kleine Tontrauben – insbesondere in hohen Lagen imitieren Spritzer, rasch perlende Läufe und Arpeggien verdeutlichen sprudelnde, aufspringende oder reißende Wasserströme, murmelnde Tiefbässe geben eine Ahnung von dem, was unter der blinkenden Oberfläche liegt. Dass es nicht nur um pittoreske Illusionen, sondern um metaphysische Naturerfahrung geht, macht Liszt durch Epigramme deutlich: In »Au bord d’une source« (1835/36) findet sich ein schillersches Zitat von der »säuselnden Kühle« der beginnenden »Spiele der jungen Natur«, in den späten »Jeux d’eaux à la Villa d’Este« (1877) gar ein Vers aus dem Johannesevangelium, der die spirituelle Dimension des Wassers betont.
Ravel knüpft 1901 in seinen eigenen »Jeux d’eau« direkt an Liszts Muster an, hebt den Klaviersatz auf noch höhere virtuose Ebenen, adelt das Über-die-Tasten-Gleiten als strukturellen Kunstgriff, distanziert sich aber zugleich von aller Bedeutungsschwere mit einem Motto, in dem der heidnische Flussgott vom Wasser gekitzelt wird. Mit über die ganze Klaviatur auf- und abwogenden Tonkaskaden gestaltet Ravel pianistisch nochmals anspruchsvoller die Vision einer unermesslich weiten Wellenfläche in »Une barque sur l’océan« aus den »Miroirs« (1905). Seine von vibrierenden Klangflächen eingebettete »Ondine« aus dem spukhaften »Gaspard de la nuit« von 1908 kann schließlich, genau wie die aparte gleichnamige Nixe in Debussys »Préludes« (1912/13), als Beispiel par excellence für spätimpressionistische Wasser-Gestaltung in der Nachfolge Liszts gelten. Debussy hatte sich zuvor bereits mit »Reflexen im Wasser«, »Goldfischen« und der Legende einer »versunkenen Kathedrale« beschäftigt: Klavierstücke, in denen statische Flächen und Tiefenebenen mit quirligem oder ekstatischem Fließen kontrastieren. Die Suche nach geräuschartigen Qualitäten und fließenden Bewegungsmustern hat sich hier längst verselbständigt; die aquatischen Titel sind letztlich zum Sprungbrett oder Vorwand für die Erkundung innovativer Klänge, Farben und Strukturen geworden.
Auch das romantische Orchester lieh dem Wasser seine Stimme, so bei Wagner im »Fliegenden Holländer« (1843), bei Smetana in der »Moldau« von der Quelle bis zur Mündung (1875) oder bei Rimski-Korsakow in den üppigen Meeresfluten seiner »Schéhérazade« (1888). Solcher Deskriptivismus erreichte wohl seinen Höhepunkt in den »Fontane di Roma« (1916) von Respighi, der symphonischen Darstellung von vier römischen Brunnen, genauer: ihrer durch Brunnenarchitektur und Fließmuster gegebenen, vom sanftesten Tröpfeln bis zum orgiastischen Katarakt reichenden Wassermassen vor mythologischem Hintergrund. Dagegen hatte es Debussy 1905 in seinen »symphonischen Skizzen« namens »La Mer« vorgezogen, drei tageszeitlich präzisierte Zustände des Ozeans weniger akustisch zu imitieren als vielmehr die zunehmende emotionale Überwältigung zu evozieren, die das Individuum im Erleben der erhabenen Natur befällt – in der Coda schwellen mit geradezu sakraler Feierlichkeit die Hörner an.
Ganz andere Wege beschritten Komponistinnen und Komponisten nach dem Zweiten Weltkrieg. John Cage präsentierte mit seinem »Water Walk« (1959) eine Performance, die die verschiedenen Aggregatzustände des Wassers thematisiert und mit banalsten Alltagsgegenständen auch Dampf und Eis klingen lässt, was unweigerlich die Heiterkeit des Publikums erregt. So direkt war das Wasser noch nie zur Klangerzeugung eingesetzt worden, weder in der antiken Wasserorgel »hydraulis«, wo es nur den Luftdruck für die Pfeifen stabilisieren muss, noch in den wasserbetriebenen Glockenspielen im Lustgarten von Peter II. in Russland. Erst in der Klangkunst jüngeren Datums avanciert das Wasser selbst zum künstlerischen Protagonisten.
So hat Christina Kubisch 1999 mit der »KlangFlussLichtQuelle« einer Berliner Parkgarage magisches Leben eingehaucht: Im Schwarzlicht leuchtende Riesenspulen übermitteln im dunklen Säulenwald unsichtbare Wassergeräusche. »Sprudelnde, strömende, rieselnde, tropfende, fließende Klänge ergeben eine unterirdische Wasserwelt, die hörbar wird mithilfe von elektromagnetischen, kabellosen Induktionskopfhörern«, so Kubisch. Nicht weniger fantasievoll ist die von Shiro Takatani 2014 entwickelte »3D Water Matrix«, in der 900 computergesteuerte Ventile auf einem quadratischen Netz angeordnete Wasserströme regulieren, die wie lebendige Pixel herabfallen und dabei ein visuell und akustisch erfahrbares Ballett im Raum tanzen.
So technizistisch die Grundlagen dieser jüngeren Installationen auch anmuten mögen, die von ihnen gestaltete multimediale (Klang-)Kunst ruft in erster Linie nicht Ehrfurcht vor Technik hervor, sondern poetische Verzauberung. Ganz so wie die zum Klingen gebrachten Wassergläser im Bauch von Federico Fellinis »Schiff der Träume« (1983), die uns mit Schubert in einen ätherischen Raum entführen, wo die Elemente sich ohnehin ganz auflösen.