Das 2001 fertiggestellte Bundeskanzleramt in Berlin hatte bis vor Kurzem, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, einen großen Garten. In ihm wird gerade ein Erweiterungsbau errichtet. Man lässt verlauten, das »Band des Bundes« werde »nach Westen hin städtebaulich abgeschlossen«. 180 Bäume wurden bereits »dauerhaft entfernt«. Der Fall ist leider symptomatisch für den aktuellen Stellenwert des Gartens.
Der Blick in die Geschichte zeigt verschiedene Perioden der Aufwertung des Gartens. Voraussetzung war die Erkenntnis, dass der Garten mehr sein kann als gottgegebene Selbstverständlichkeit: In der Renaissance entdeckte man den Garten als Hort des Wissens und der Bildung. Als botanischer Garten wurde er zum Hort wissenschaftlicher Pflanzensammlungen, als Zierparterre Aushängeschild des kulturellen Anspruchs seiner Besitzer. Venedig und Florenz wetteiferten um die besten und schönsten botanischen Gärten. Henri IV. und Maria de’ Medici präsentierten ihre Herrschermonogramme in den neuen Parterres vor dem Tuilerienschloss. Gärten fungierten jenseits privater Leidenschaften als Gegenstand politischer Selbstdarstellung.
Die Barockzeit machte sich die Erkenntnisse der Renaissance zunutze und steigerte die politische Bedeutung des Gartens ins Grenzenlose. Nachdem Ludwig XIV. klargemacht hatte, dass er der gottgleiche Sonnenkönig und Versailles der großartigste Garten der Welt ist, musste jeder europäische Fürst in seinem Garten zeigen, dass er Schritt halten konnte und sein Garten womöglich auf diese oder jene Art Vorzüge aufzuweisen hatte, die Versailles fehlten. Im Fokus standen die Citrusbestände der Orangerien, die nur mit dem denkbar größten Aufwand zu unterhalten waren, daneben Obstsortensammlungen nach dem Vorbild des Potager von Versailles. Alle wichtigen Fürstengärten waren Gegenstand der öffentlichen Propaganda und dem Publikum zugänglich. Ludwig XIV. legte persönlich fest, wie sein Garten Besuchern vorzuführen war, handliche Führer, Pläne und großformatige Kupferstichfolgen verbreiteten den Ruhm der Anlagen cum privilegio suae majestatis.
Kritik blieb nicht aus. Aufklärerische Geister empfanden derlei Aufwand im Garten als unnatürlich, übertrieben und kostspielig, und überhaupt sollte dem imperialen Anspruch Frankreichs etwas entgegengesetzt werden. Es war in England nach der Glorious Revolution, dass sich erstmals Stimmen gegen den französischen Barockgarten erhoben. Ziel war nicht, Gärten zu verdammen oder ihnen ihre politische Signifikanz abzusprechen, sondern ihre Form und politische Aussage zu verwandeln. Gärten, angeblich nach dem Vorbild der Natur gestaltet, in Wirklichkeit der englischen Agrarlandschaft angenähert, eher onduliert als geradlinig und ausgestattet mit emblematischen Bauwerken und Inschriften, sollten für eine moderne, freiheitliche Weltanschauung stehen und allgemein zur Verbesserung der Sitten beitragen. Hierzu war Propaganda nötig, und nach und nach traten die Landbesitzer ganz Europas wiederum in den Wettbewerb um den fortschrittlichsten und spektakulärsten Landschaftsgarten ein, die Fürsten keineswegs ausgenommen. Dem ist unter anderem das Wörlitzer Gartenreich zu verdanken, das ein politisches Statement der Aufklärung erster Güte war und 1789/90 sogar mit einer Synagoge ein Denkmal der Toleranz setzte.
In den 1770er Jahren erklomm der Garten die höchste Stufe der Wertschätzung. Er war in aller Munde und kaum jemand mochte sich entziehen, wie Goethe etwas zu dem Thema beizusteuern. Es war auch die Geburtsstunde des öffentlichen Gartens, des Volksparks. Kurfürst Karl Theodor gründete 1789 den Englischen Garten in München, ausdrücklich und nur für die Bevölkerung. Es gab Gründe. Auswüchsen wie dem Hameau der Königin Marie Antoinette in Versailles und dem Englischen Gärtchen der Franziska von Hohenheim sollte etwas entgegengestellt werden. Auch zeichnete sich schon die Industrialisierung am Horizont ab, die zum Hauptargument für das sanitäre Grün werden sollte.
Das 19. Jahrhundert war die Zeit der öffentlichen Gärten, initiiert von Stadtverwaltungen oder Bürgerschaftsvereinen. Es entstanden die Frankfurter Wallanlagen, der Bremer Bürgerpark, die Kölner Flora, der Berliner Humboldthain. Die Gewinne aus Handel und Gewerbe wurden gemeinnützig reinvestiert, um einen Ausgleich zur Ausbeutung der industriellen Arbeitskraft zu gewährleisten. Ähnliche Bestrebungen führten zum Entstehen des Kleingartenwesens. Der Garten wurde als karitatives, aber auch politisch höchst brauchbares Mittel anerkannt, die negativen Folgen der Industrialisierung abzufedern, um sie weiterhin aufrechterhalten zu können.
Die Erkenntnis, dass solcherart Korrekturgrün an den misslichen Verhältnissen im Grunde nichts änderte, führte um 1900 zu weitergehenden Reformbestrebungen. Bodenreform und Gartenstadt sollten wieder ein ganzheitliches Leben zwischen Natur und Kultur ermöglichen. Kaiser Wilhelm II. hatte nichts dagegen, verwirklicht aber wurde in seiner Zeit wenig. Es bedurfte eines verlorenen Krieges und eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs, um den Reformideen das nötige Durchsetzungspotenzial zu verleihen. Die Protagonisten waren links oder wenigstens liberal und fanden politisches Gehör. Architekten, Gartenarchitekten und Gärtner sahen ihre Stunde gekommen und entwarfen wie Bruno Taut und Leberecht Migge mehr oder weniger utopische Projekte der Integration des Gartens in das tägliche Leben der Bevölkerung. Die wirtschaftliche Notlage sollte durch Selbstversorgung aus dem Garten aufgebessert werden.
Tatsächlich entstanden neue Siedlungsformen mit kleinen Häusern und Gärten, Blockbebauungen mit Mietergärten. Für die verbleibende gartenlose Stadtbevölkerung wurden neue große Volksparks angelegt. Notstandsprogramme machten es möglich. Die 1920er Jahre waren eine neue Hochzeit des Gartens.
Die Wirtschaftskrise brachte diese Aktivitäten zum Erliegen. Die Nationalsozialisten warben zunächst mit dem Konzept der Neuen Stadt, in der jeder einen Garten hat, und passten es ideologisch ihrer Doktrin an. Praktisch geschah jedoch wenig, da andere Aufgaben wie Aufrüstung und Expansion Vorrang hatten. Ab 1937 bevorzugte man wieder den Geschosswohnungsbau. Das Eigenheim mit Garten sollte jedoch bei der Umsetzung des Generalplan Ost eine Hauptrolle spielen. Unter dieser Perspektive schrieb Gärtner Pötschke 1940 sein »Siedlerbuch« und Karl Foerster 1942 die neueste Ausgabe des »Blütengartens der Zukunft«.
Nach dem Krieg bekam der Garten wieder eine reale Chance. Trümmerberge wurden begrünt, Gartenschauen veranstaltet, Konrad Adenauer und Theodor Heuss förderten die Deutsche Gartenbau-Gesellschaft, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl ehrten Karl Foerster, der ihre Gärten anlegte. Ein neues Denken konnte sich nachhaltig nicht etablieren. Sobald wirtschaftliche Erholung einsetzte, wurde der Garten der Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen und musste folglich auf der Strecke bleiben. Größere neue Gärten wurden nur noch für die Leistungsschauen der deutschen Gartenbauwirtschaft, genannt BUGA oder LAGA, angelegt und danach schleunigst wieder heruntergefahren.
Heute sind Gärten vor allem ein Politikum, weil sie Arbeit machen, das heißt ein Kostenfaktor sind. Öffentliche Gärten, genannt Freiflächen, sind ein Problem, das so kostengünstig wie möglich bewältigt werden muss. Personal wird abgebaut, die Pflegearbeiten werden in Umfang und Häufigkeit reduziert, auf wenige ausgewählte Flächen beschränkt, man sucht per europaweiter Ausschreibung die Firma mit dem niedrigsten Angebot. Über den stetigen Niedergang der öffentlichen Grünanlagen in den letzten 50 Jahren wird hinweggesehen. Dass der Klimawandel im Gegenteil Intensivierung der Pflege erfordert, zeigt sich im Etat nicht. Bürgerinitiativen, die versuchen, die öffentlichen Leistungsdefizite durch freiwillige Arbeit zu kompensieren, sind willkommen und bestätigen die unausgesprochene Staatsdoktrin, dass Gärten marginale Angelegenheiten sind.
Ausnahmen sind öffentliche Gärten, die als Tourismusmagnete gelten. Hier ist etwas mehr Aufwand nötig. Die Kosten sollen allerdings erwirtschaftet werden, und da die öffentliche Hand knapp bei Kasse ist, wird die Eintrittsgeldschraube angesetzt. Für den Park von Sanssouci, der 250 Jahre lang kostenlos zu besichtigen war, wird Eintrittsgeld erwogen.
Glaubt man der Flut von populären Gartenbüchern und -magazinen, so gibt es in Deutschland immerhin ein starkes Interesse an privaten Gärten. Auch dies ist leider eine Illusion. Mietergärten werden zunehmend aufgegeben. Bei Privatgärten tragen Grunderwerbssteuer, Schenkungssteuer, Grundsteuer und Einkommensteuer wesentlich dazu bei, sie als Last zu empfinden. Sie werden in erster Linie als Bauerwartungsland betrachtet. Wer einen Park hat, möchte ein Wohngebiet »Wohnen im Park« daraus machen, wer einen Garten hat, verkauft ihn, damit darin Häuser in zweiter und dritter Reihe gebaut werden. Proteste gibt es meist nur, wenn Bäume gefällt werden oder Biotope in Gefahr sind. Bund, Länder und Gemeinden sehen sich gehalten, den Wohnungsbau in den großen Städten zu intensivieren. Dazu wurde das Baulandmobilisierungsgesetz erlassen. Drei Meter Garten auf jeder Seite des Hauses genügen, sagen viele Bauordnungen. Privates Grün behält, wer weit draußen in Landfluchtgebieten lebt oder sich der Gewinnerzielungsabsicht verweigert, weil er oder sie Garten eben liebt.
Natürlich spricht sich keine Partei direkt gegen Gärten aus. Es gibt aber parteiübergreifend den Konsens, dass für Gärten nichts Signifikantes getan werden muss. So können sie ungehindert zerstückelt und zerstört werden. Aktive Gartenpolitik würde bedeuten, die Landflucht zu stoppen, die Steuergesetze gartenfreundlich zu machen, Gartenbebauungen nicht nur ausnahmsweise über den Denkmalschutz zu verhindern, analog zu den Stilllegungsprämien in der Landwirtschaft Gartenhalteprämien einzuführen und die Anlage von Wasserreservoiren zu fördern. Andernfalls wird Garten ein ausschließlich historisches Thema werden.