Das Wort »Pirat« geht auf das griechische »πειρατής« (peirātes) zurück und bedeutet »Seeräuber«. Die Piraterie ist fast so alt wie die Seefahrt selbst. Schon der griechische Historiker Thukydides berichtete im 5. Jahrhundert v. Chr. von Völkern, die für ihren Lebensunterhalt fremde Schiffe überfielen, und im 1. Jahrhundert n. Chr. stellte der römische Historiker Cassius Dio fest: »Es gab nie eine Zeit, zu der die Piraterie nicht ausgeübt wurde.« Die Existenz von Piraten war dabei nicht auf europäische Gewässer begrenzt, auch in Asien und Afrika litt die Handelsschifffahrt schon vor Jahrhunderten unter Seeräubern.
Bereits das römische Recht unterschied zwischen der Aufbringung von Schiffen im staatlichen Auftrag und Seeräubern, die als Verbrecher und »hostes humani generis«, Feinde der gesamten Menschheit, galten. 1688 definierte der englische Seerechtler Charles Molloy einen Piraten als »Seedieb (…), der, um sich zu bereichern, (…) Kaufleuten und anderem Handel über See nachsetzt und ihre Ladung erbeutet«. An dieser rechtlichen Bewertung hat sich bis heute nichts geändert. Laut Artikel 101 des UN-Seerechtsübereinkommens ist Piraterie eine »rechtswidrige Gewalttat oder Freiheitsberaubung oder jede Plünderung, welche die Besatzung oder die Fahrgäste eines privaten Schiffes (…) zu privaten Zwecken begehen«. Piraten sind also grundsätzlich Kriminelle; staatliche Maßnahmen gelten, auch wenn sie unrechtmäßig sind, nicht als Seeräuberei.
Allerdings waren die Grenzen zwischen legaler und illegaler Aufbringung von Schiffen häufig fließend. Seeraub war der Seekrieg des armen Mannes. Herrscher, die sich keine Flotte leisten konnten, erlaubten ihren Untertanen, als Kaperfahrer feindliche Handelsschiffe zu plündern. Piraten waren auch als maritime Hilfstruppen beliebt. Solange es opportun war, wurden sie toleriert oder sogar heimlich unterstützt. Im 16. und 17. Jahrhundert betrachteten viele europäische Staaten Seeraub als effektives Mittel, um ihren Handel und Kolonialbesitz auszuweiten. Häufig war der Unterschied zwischen erlaubter Kaperei und verbotenem Seeraub nur eine Frage des Standpunktes. Nicht zu Unrecht hat man diese Epoche als eine Zeit des piratischen Imperialismus bezeichnet.
Um 1700 wurden die europäischen Piraten zu einem globalen Problem. In der Karibik, vor Westafrika und im Indischen Ozean machten sie Jagd auf Handelsschiffe. Dieses sogenannte »Goldene Zeitalter der Piraterie« dauerte rund 30 Jahre. Durch systematische Piratenjagd bekamen Großbritannien und die übrigen europäischen Seemächte das Problem allmählich in den Griff. Den Piraten wurde ihre Gier nach schneller Beute meist zum Verhängnis. Statt Reichtum fanden sie den Tod – im Kampf, durch Krankheit oder am Galgen. Nur selten gelang die Rückkehr in ein bürgerliches Leben. Die weltweite Seeherrschaft der Royal Navy und die Erfindung des Dampfschiffs bedeuteten im 19. Jahrhundert das vorläufige Ende der Piraterie.
Geblieben ist die romantische Verklärung. Bis heute umweht Piraten ein Mythos von Freiheit und Abenteuer, auch wenn dies mit der historischen Realität nicht viel zu tun hat. Romane und Spielfilme prägen das populäre Bild des Seeräubers. Viele denken beim Begriff »Piraten« an säbelschwingende Draufgänger, Schiffe mit der schwarzen Totenkopfflagge und Abenteuer unter tropischer Sonne. Auch manche Historiker neigen zur Idealisierung. Sie sehen in den Piraten des 17. und 18. Jahrhunderts eine demokratische Gegengesellschaft von Außenseitern, die für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit kämpften. Doch gibt es kaum historische Quellen, die diese sozialromantische Interpretation stützen. Auch diese Piraten waren keine »Robin Hoods« zur See, sondern brutale Verbrecher. Sie plünderten aus Habgier, nicht aus wohltätigen oder sozialrevolutionären Motiven. Die wahre Geschichte der Piraterie ist eine endlose Abfolge von Mord, Totschlag und Vergewaltigung. Nicht selten bestand die Beute neben Schiff und Ladung auch aus Menschen, die als Sklaven verkauft wurden. Keinesfalls war die Piraterie früherer Zeiten eine maritime Version sozialistischer Revolutionen, sondern vielmehr ein rein kapitalistisches Unternehmen: Die Piraten waren die Teilhaber, das Schiff das Betriebskapital, und die Beute bildete den Gewinn. Fast könnte man sagen, sie haben das Prinzip des Shareholder- Value auf die Spitze getrieben. Moralische Bedenken gab es nicht, das Ziel war skrupellose Gewinnmaximierung. Dies erinnert an die ungehemmte Gier moderner Manager. Der US-Journalist Andrew Sorkin bemerkte 2010 gegenüber dem Magazin »Der Spiegel«: »Was die Wall Street ausmacht, ist die Annahme, dass Gier immer gut ist, dass derjenige, der andere in die Pfanne haut oder austrickst, bewundert werden muss.« Diese Gier charakterisiert auch die Piraten aller Regionen und Epochen. Seeraub ist ein Geschäft. Solange wertvolle Waren auf unverteidigten Schiffen transportiert werden und der Gewinn das Risiko weit übersteigt, wird es Piraterie geben. Erst wenn die Gefahr, die Freiheit oder gar das Leben zu verlieren, zu groß wird, büßt diese an Attraktivität ein.
Auch heute ist die Handelsschifffahrt mit Piraterie konfrontiert – von Raubüberfällen auf ankernde Schiffe bis hin zu Schiffsentführungen. Kaum jemand macht sich Gedanken über die Gefahren, mit denen der Transport der Güter verbunden ist, die wir täglich konsumieren. In den letzten 40 Jahren wurden weltweit Tausende von Piratenangriffen gezählt. Moderne Seeräuber sind schwer bewaffnet und bereit zur Anwendung brutaler Gewalt.
Die Geschichte zeigt: Entschlossenes Vorgehen ist das beste Mittel gegen Piraterie. Dennoch ist die Bekämpfung der modernen Seeräuberei schwierig. Zwar ist laut Völkerrecht jedes Kriegsschiff berechtigt, auf hoher See Piratenschiffe aufzubringen, doch finden die Überfälle meist in den Territorialgewässern von Staaten der sogenannten Dritten Welt statt. Diese sind häufig mit der Bekämpfung der Seeräuberei überfordert. Es fehlt an Geld, an Personal, an Ausrüstung – und manchmal wohl auch an dem Willen der Machthaber. Zugleich ist es notwendig, den Piraten eine wirtschaftliche Alternative zum Seeraub zu bieten. Solange dies nicht geschieht, gilt der alte Satz: Die schlimmsten Feinde des Seefahrers sind schlechtes Wetter und Piraten.