»Es gibt eine besondere Verbindung von Wasser und Geruch«, schrieb John von Düffel auf der ersten Seite seines Romans »Vom Wasser«. Der Satz erinnerte mich sofort beim Lesen wieder an den unglaublichen Gestank, dem mein Leipziger Heimatfluss Pleiße in DDR-Zeiten den Spitznamen »Rio Phenole« zu verdanken hatte – den weitaus gehässigeren verschweige ich hier. Bis in die 1970er Jahre wohnte ich nahe am Pleiße-Wehr, an dem sich zu dieser Zeit braunrote Schaumberge stauten, durchzogen von einer tiefschwarzen, nach Phenolen stinkenden Brühe. Die Pleiße existierte faktisch nur noch als Abwassergraben. Allein die Phenol-Konzentration – ausgelöst durch das Chemie-Kombinat Espenhain – lag in der Pleiße tausendfach über dem Grenzwert, der in der DDR für Trinkwasser galt. Deshalb wurde bereits ab 1953 ein Großteil des Pleißemühlgrabens mit einer Wölbleitung überdeckt. Die Kritik an der zunehmenden Umweltverschmutzung durch Wirtschaft und Politik der SED wuchs. Es entstand eine Bewegung, die auf die Zerstörung der Umwelt aufmerksam machte und ihren besonderen Schutz verlangte. Der Staat packte diese Forderung in den Schubkasten: politische Opposition. Schriftsteller, die sich des Themas annahmen, hatten zwar einen großen Leserkreis, aber kleine Auflagen oder gar keine.

Der promovierte Chemiker Ernst P. Dörfler verließ 1983 seine feste Stelle an einem Institut, um sich als freier Schriftsteller dringenden Umweltthemen zu widmen. Hatte er bereits zuvor an mehreren Studien zur ökologischen Situation in der DDR mitgearbeitet, die vor 1989 unveröffentlicht bleiben mussten, schrieb der auf einem Bauernhof aufgewachsene Dörfler den 1986 erschienenen Bestseller »Zurück zur Natur?« über die Zusammenhänge zwischen Natur und menschlichen Aktivitäten in Wald, Acker und Wasser. Dieses Buch – von den öffentlichen DDR-Medien totgeschwiegen – wurde zu einem Kultbuch der ostdeutschen Umweltbewegung. Als einer der ersten ostdeutschen Natur- und Umweltschützer hielt Dörfler zahlreiche Vorträge über Umweltprobleme. Die Folge: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR überwachte mit Abhöranlagen auch sein Privatleben.

Der Gothaer Autor Hanns Cibulka verbarg seine Umweltkritik in Tagebuchaufzeichnungen, die 1988 der Mitteldeutsche Verlag druckte. Kritische Textstellen im Buch »Swantow« beispielsweise über den Breeger Bodden, die in einem Halbsatz von »verrottetem Wasser, mürbem Fallholz und weißem Schaum« berichteten, sind vielleicht im »Außenlektorat« überlesen worden. Und wieder ist es der Mitteldeutsche Verlag, der im gleichen Jahr Thomas Rosenlöchers zweiten Gedichtband »Schneebier« verlegte, in dem der Dresdner Schriftsteller »Die Elbe« ins Bild setzte: »(…) An schwarzer Mauer schwarze Industrie/ entleert sich schweigend in das schwarze Wasser/ (…) Es geht, es geht doch alles./ Selbst noch der tote Fluss fließt fort.«

Resignation und dann wieder Hoffnung. Nach Stilllegung der verursachenden Industrie in den 1990er Jahren hatte sich die Wasserqualität wesentlich verbessert. Allein die Farbe der Gewässer und zahlreiche Fischarten waren ein deutliches Zeichen. Und auch die Pleiße floss wieder oberirdisch durch die Stadt.

2009 wurde die Initiative Blue Community durch den Council of Canadians gegründet. Begeistert verfolgte ich diese internationale Bewegung, deren Mitglieder Wasser in besonderer Weise als öffentliches Gut ansehen. Inzwischen gibt es in vielen Städten zusätzlich Initiativen, die diese Verpflichtung und auch viele unterschiedliche Aktivitäten rund um Wasser unterstützen. Nur acht Jahre später haben in Deutschland die Stadtparlamente von Augsburg, Berlin, Biedenkopf, Büdingen, Freiburg im Breisgau, Hamburg, Kempten (Allgäu), Marburg, München und Neustrelitz beschlossen, sich den Selbstverpflichtungen der Blue Communities anzuschließen. Seit 2021 sind die Philipps-Universität Marburg die erste Universität in Deutschland und seit letztem Jahr das Wolfgang-Ernst Gymnasium in Büdingen die erste Schule weltweit in der Blue Community.

Noch einmal John von Düffel, der auf dieser ersten Romanseite fortfuhr: »Ich erinnere mich, wie es nach fließendem, strömendem, lebendigem Wasser riecht. (…) Wir nehmen alles stärker, kräftiger wahr, nicht nur weil die Farben satter, die Kontraste schärfer sind, sondern auch, weil wir die Dinge wieder riechen. Das Wasser hat uns von unserer Geruchsblindheit befreit.«

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2023.