M itten in der Südsee, 50 Flugstunden von Deutschland entfernt, sitzt Claire Anterea am weißen Korallenstrand einer türkisblauen Lagune. Der Wind weht sanft durch die Palmblätter, und er bringt einen Duft mit sich, der gar nicht hierher passt: Fäkalien. Claire deutet auf ein Kackehäufchen am Spülsaum, nicht weit davon entfernt liegt noch eines: »Wir finden es völlig natürlich, an den Strand zu gehen, um uns zu entleeren.« Auf den 32 Atollen des winzig kleinen Pazifikstaats Kiribati leben 100.000 Menschen, mehr als die Hälfte davon auf der Hauptinsel, Süd-Tarawa. Ein langer schmaler Streifen, Lagune, Strand, Straße, Strand, Ozean – oft ist die Insel nicht breiter als 300 Meter. Und es gibt viele flache Bereiche im Spülsaum, die sehr … einladend sind als Klo-Ersatz. Aber, sagt Claire Anterea: »Vielleicht ist das auf den abgelegeneren, weniger besiedelten Inseln noch in Ordnung, weil es da so viel Platz gibt und das Wasser alles wegspült. Aber hier auf Süd-Tarawa ist es ein Problem, weil hier so viele Menschen leben. Unser Brunnenwasser ist unrein geworden. Und die Kinder werden krank.«
Im Auftrag der Regierung kämpft Claire Anterea für sauberes Wasser und Toiletten für alle in Kiribati, einem bitterarmen Land, in dem sanitäre Einrichtungen Mangelware sind. Einer ihrer wichtigsten Feiertage ist, laut Claire, der Welttag der Toilette. Jeden 19. November feiern sie ihn groß, »es sieht aus wie am Unabhängigkeitstag, alle tragen Uniform, viele Gruppen und Gemeinden nehmen teil«, erzählt sie, »und das ganze Jahr über gibt es Wettbewerbe in den Dorfgemeinschaften, wer die sauberste Toilette hat«. Gemeinschaftstoiletten, zumeist, wenn überhaupt.
Je nach Definition haben zwei Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu einer Toilette oder einer Latrine. Weitere anderthalb Milliarden müssen sich einen Abort mit anderen Haushalten teilen, und die Entsorgung der Fäkalien ist nicht gesichert. Sprich: Sie können jederzeit das Trinkwasser verunreinigen. Heißt: Knapp die Hälfte der Weltbevölkerung hat kein eigenes und vor allem kein hygienisches Klo.
Das heißt, je nach Weltgegend: Mädchen und Frauen riskieren ihr Leben, wenn sie im Dunkeln auf Felder gehen, wo ihnen womöglich Gewalt droht. Mädchen ohne Toilette in der Schule brechen ihren Schulbesuch oft ab, sobald sie in die Pubertät kommen.
Wenn sanitäre Anlagen fehlen, verbreiten sich Durchfallerkrankungen – und die töten mehr Kinder als Aids, Malaria und Masern zusammen – täglich sterben deshalb 700 Kinder jünger als fünf Jahre. Auch auf Kiribati sind diese Krankheiten sehr verbreitet – und viele Mütter sind um die Gesundheit ihrer Kinder besorgt. Sie tragen die Toilettenkampagnen von Claire Anterea von Dorf zu Dorf, sie wollen nicht mehr das Meer als Toilette nutzen und verstehen Claires Botschaft: »Gesunde Familie durch sauberes Klo.«
Szenenwechsel. Von der bitterarmen Südseenation Kiribati in die Hightech-Nation Japan. Ein Badezimmerbesuch in Tokio, es ist Winter. Das Klo öffnet automatisch den Deckel, sobald der Gast den Raum betritt. Das Zimmer ist kalt, doch die Klobrille beheizt – das freut den Hintern. Und weil dies ein sogenanntes Washlet ist, sind Bidet und Toilette hier quasi kombiniert. Sprich: Hinterher wird direkt gewaschen, mit einstellbarem, weichem Strahl aus warmem Wasser. Man kann wählen, ob in den vorderen oder hinteren Bereich gezielt werden soll. Und weil auch trockengeföhnt wird, braucht es kein Klopapier. Groß, klein oder eco – die Wassermenge, die beim Spülen verbraucht wird, ist einstellbar. Bei besonders umweltfreundlichen Modellen sitzt auf dem Spülkasten ein Wasserhahn: Aus ihm läuft das Wasser in eine Öffnung auf dem Spülkasten und füllt ihn wieder auf – kann aber vorher eben noch zum Händewaschen benutzt werden. Japanische Toilettentechnologie ist führend in einem Segment, das viel zu vielen Menschen immer noch zu peinlich ist, um groß (oder klein) darüber zu reden. Apropos: Das Modell »Geräuschprinzessin« ist mit künstlichem Spülgeräusch ausgestattet – eine Konzession an das Schamgefühl der Japanerinnen und Japaner. Der Plätscher-Sound überdeckt alles, was womöglich vermuten ließe, dass da jemand eine Toilette benutzt.
So ein Luxus-WC muss es nicht für alle Menschen sein – aber dass sie überhaupt Zugang zu sanitären Einrichtungen haben, dafür setzt sich Jack Sim ein. Er hat die WTO in Singapur gegründet; nicht die World Trade Organisation, aber er hat mit Absicht dieselbe Abkürzung gewählt, weil seine UN-Organisation mindestens ebenso wichtig sei: die World Toilet Organisation.
Jack Sim nennt sich »The World’s Number two man« – das ließe sich übersetzen als »Der Mann fürs große Geschäft«. Kein Kalauer ist ihm zu tiefgegriffen, um seine Mission ins Gespräch zu bringen. Videos der Weltorganisation für Toiletten zeigen, wie er als lebensgroße Toilette verkleidet seine Haare mit einer – sauberen –Klobürste kämmt. Jack Sim kennt keine Berührungsängste. »Die meisten Menschen tun so, als gingen sie nie auf Toilette, als hätten sie keine Beziehung dazu!« Aber nicht mit ihm – er ist tatsächlich so etwas wie ein Kämpfer für »Sanitäre Gerechtigkeit«, auch auf höherer Ebene: »Den Regierungen wird klar, dass Hygiene und Toiletten Krankheiten verhindern und die Produktivität ihrer Bevölkerung steigern und mehr Steuereinnahmen bringen«, sagt Sim. Als früherer Unternehmer und Selfmade-Millionär im Alter von 30 weiß er, welche Argumente bei wem verfangen.
Dass fast die Hälfte der Weltbevölkerung kein eigenes und vor allem kein hygienisches Klo hat, das sollte, um es deutlich wie Jack Sim auszudrücken, niemandem am Allerwertesten vorbeigehen. Bisher landet die Hälfte der menschlichen Fäkalien unbehandelt im Boden, in Flüssen und Meeren, im Trinkwasser. Das gefährdet eines der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen: sauberes Wasser und sanitäre Anlagen für alle bis 2030. Darum betont die UNO, die Anstrengungen, dieses Ziel zu erreichen, müssten vervierfacht werden. Das ist ganz in Jack Sims Sinne. Als er in Singapur aufwuchs, »da hatten wir kein eigenes Klo, es gab nur ein Häuschen für mehrere Familien, und da war ein Eimer. Alles lag darin, Binden, Kacke, Klopapier – und immer flogen Fliegen um dich herum, das war traumatisch.« Inzwischen hat Singapur mit die schönsten, duftigsten und saubersten Toiletten der Welt. In öffentlichen Bedürfnisanstalten gibt es aber nicht nur die westlichen Sitztoiletten, sondern auch Hock-Klos über einer Öffnung im Boden. So ist es ein Großteil der chinesischstämmigen Bevölkerung gewohnt. Und um Missverständnissen vorzubeugen, warnen Piktogramme davor, sich mit den Füßen auf die Klobrille zu hocken.
Ein Extra, das viele asiatische Toiletten besitzen, ist die sogenannte »Bum Gun«. Oft besteht diese scherzhaft so bezeichnete »Po-Pistole« nur aus einem Schlauch mit einem Griffventil, der an die Wasserspülung angeschlossen ist. Und wenn man den Griff an den Schlauch heranzieht, schießt ein Wasserstrahl zur Reinigung der hinteren Körperöffnung heraus. Bidet to go, quasi. Ob in einer Hock- oder Sitztoilette, fast jedes Örtchen ist damit ausgestattet – das spart Klopapier. In vielen Ländern Südostasiens staunt man sowieso über den westlichen Wunsch nach Papier – aufwändig in der Herstellung, materialintensiv, nur um sich »den Po aufzukratzen und trotzdem nicht sauber zu sein«, wie es ein Indonesier mir gegenüber formulierte.
Ob zum Hocken oder Sitzen, mit Wasser oder Papier: Jack Sim findet, dass Toiletten zelebriert werden sollten. So wie Claire Anterea auf Kiribati es sich wünscht – sie träumt von dem romantischsten Klo, das es hier jemals gab. Vielleicht am Ende eines langen Steges, über der Lagune, so wie es ganz früher auch auf Kiribati war, nur modern und mit hygienischer Entsorgung. Ein »Sanitation Café« – es soll einladend sein, erst der Toilettengang, dann ein Kaffee, die Frauen plaudern, sitzen im Wind und das türkisfarbene Wasser plätschert gegen die Stegpfosten. Ohne Häufchen.