Als ich in den 1980er Jahren die Programmiersprache »Turbo Pascal« lernte, war eine der ersten Aufgaben, die wir erfüllen sollten, ein kleines Programm zu schreiben, das Gedichte generieren kann. Zuerst galt es, eine Datenbank anzulegen, die eine Reihe von Begriffen enthielt, die von dem Programm zufällig ausgewählt wurden, um im Rahmen einer von uns vorgegebenen Syntax zu einem Gedicht zusammengesetzt zu werden. Ich weiß heute noch, dass ich sehr erstaunt war, wie wir mit wenigen Hundert Zeilen Programmcode diesen Generator bauen konnten, der mehr oder weniger spaßige Gedichte generierte. Das ist nun fast 40 Jahre her, und in dieser Zeit haben sich die Möglichkeiten der Programmierung revolutionär weiterentwickelt.

Die Computersprachen sind heute einfacher anwendbar, und trotzdem können sie viel komplexere Aufgaben mit weniger Programmcode erfüllen. Besonders die Rechnerkapazitäten der Computer haben sich in den letzten Jahrzehnten potenzial gesteigert. Mein erster Rechner hatte einen Intel-8086-Prozessor und rechnete mit 29.000 Transistoren, mein heutiger PC hat einen AMD-Ryzen-7-Prozessor und rechnet mit 4,8 Milliarden Transistoren. Gigantische Datenmengen können schon von meinem kleinen Homecomputer bearbeitet werden, aber das ist nichts im Vergleich mit dem Supercomputer Frontier des Oak Ridge National Laboratory in den USA, der mehr als 1.000.000.000.000.000.000 Gleitkommaoperationen pro Sekunde ausführen kann.

Aber etwas hat sich in den Jahrzehnten nicht geändert, nämlich das Grundprinzip des Gedichtsgenerators ist auch heute noch gültig, nur nennen wir es jetzt Künstliche Intelligenz (KI), und das Ergebnis kann durch Befehle, wie z. B. Anfragen, von außen viel besser gesteuert werden. Aber die sicherlich fundamentalste Veränderung liegt daran, dass es sich nicht mehr wie bei unseren Programmierübungen um lustige Spielereien handelt, sondern dass mit der Künstlichen Intelligenz heute ein neuer gigantischer Markt aufgebaut wird. Künstliche Intelligenz ist das Geschäftsmodell der Zukunft.

Amazon, Apple, Banjo, DJI, Facebook, Google, HiSilicon, IBM, Intel, Microsoft, Nvidia, OpenAI, Qualcomm, SenseTime, Twitter heißen die zurzeit größten KI-Unternehmen. Viele von ihnen nutzen zum Auffüllen ihrer Datenbanken Daten aus vorhandenen Datensammlungen, wie z. B. aus dem Internet. Frei zugängliche Texte, Töne und Bilder werden systematisch durchsucht, als Trainingsdaten benutzt und eingeordnet. Was Text- und Data-Mining bedeutet, dass nämlich die erdachten Texte, Töne und Bilder als Rohstoffe genutzt und wie im Bergbau durch Maschinen abgebaut werden, wird jetzt deutlich. Erst diese durch Menschen geschaffenen »Rohstoffe« ermöglichen den Maschinen eigene »Kreationen«. Besonders OpenAI hat in den letzten Monaten durch sein textbasiertes Dialogsystem ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) eine Türe für breite Nutzergruppe in die KI-Welt aufgestoßen. Sie bieten eine Art Super-Gedichtgenerator an.

Doch kann trotz der beeindruckenden Rechenleistungen, die die von genannten Unternehmen angebotenen Dialogsysteme bieten, schon von Künstlicher »Intelligenz« gesprochen werden, oder handelt es sich nicht eher weiterhin um Leistungen von »Maschinenlernen«? Fehlt den Maschinen nicht noch jenes Quäntchen menschlichen Denkens und insbesondere Schöpfens, das den Menschen und seine spezifische Intelligenz auszeichnet? Ich denke dabei an Empathie, soziales Gewissen oder einen moralischen Kompass.

Aber auch wenn noch nicht von Künstlicher Intelligenz im Sinne von wirklicher Intelligenz gesprochen werden kann, sind die Einsatzmöglichkeiten von Maschinenlernen im Kultur- und Mediensektor beeindruckend, etwa bei der Verarbeitung großer Textmengen, um beispielsweise Konvolute aus Archiven oder Bibliotheken systematisch zu durchsuchen, sie mit Blick auf zuvor angegebene Parameter zu vergleichen und schließlich eine umfassende Ergebnisliste zu erstellen. Alle, die sich noch erinnern, in Zettelkästen von Bibliotheken nach Literatur zu recherchieren, werden ermessen können, welch immense Arbeitserleichterung in der Recherche Maschinenlernen bedeutet. Dies heißt aber nicht, dass die Einordnung und Bewertung der Rechercheergebnisse durch Menschen überflüssig werden. Im Gegenteil, der Mensch wird von repetitiven Aufgaben entlastet und kann sich der Interpretation widmen.

Maschinenlernen findet bereits im Marketing z. B. in Verlagen Anwendung. Manuskripte werden mithilfe von Maschinen danach durchgesehen, ob sie Bestseller-Potenzial haben. Diese Angaben können bei der Planung von Auflagen hilfreich sein, obwohl auch hier der Unsicherheitsfaktor Mensch bleibt. Bücher, die so gar nicht den Anforderungen eines Bestsellers entsprechen, können dennoch einen Überraschungserfolg für sich verbuchen, ebenso können solche, denen Bestseller-Potenzial attestiert wird, sich als »Flop« erweisen, weil die Leserschaft nicht immer mehr des immer gleichen präsentiert haben möchte. Ähnliches gilt für die Prüfung von Drehbüchern oder auch die Marketingmaßnahmen von Filmen. Der Mensch, sein Geschmack und sein Urteilsvermögen bleiben nach wie vor ein unberechenbarer Faktor.

Wichtige Einsatzbereiche für Maschinenlernen oder KI sind bereits jetzt und werden es zunehmend mehr beispielweise das Lektorat, die Komposition von sogenannter Gebrauchsmusik oder auch Gebrauchsgrafik. Entsprechend trainierte Maschinen beherrschen Grammatik und Rechtschreibung und ersetzen daher zumindest mit Blick auf das Korrektorat bereits heute vielfach Lektorinnen und Lektoren. Aber auch bei der Gebrauchsmusik oder -grafik, an die keine so hohen Anforderungen an die künstlerische Originalität gelegt werden, wird bereits durch Maschinen unterstützt. Und im Sportjournalismus ist der Einsatz von KI-Schreibprogrammen längst Usus.

Maschinenlernen und KI werden massive Auswirkungen auf den Kultur- und Mediensektor haben. Sie bieten große Potenziale insbesondere in der Wissenschaft. Sie haben Risiken für Menschen, die in Kulturunternehmen oder Kultureinrichtungen arbeiten, Arbeitsplätze werden wegfallen, Tätigkeiten von Maschinen statt Menschen übernommen werden. Aber auch an den Soloselbstständigen aus dem Kultur- und Mediensektor wird die Entwicklung nicht spurlos vorbeigehen. Insbesondere wenn bedacht wird, dass Werke, die durch Künstliche Intelligenz geschaffen werden, urheberrechtlich nicht geschützt sind, da der Urheberrechtsschutz die menschliche Schöpfung voraussetzt. Dies könnte zu einer neuen Konkurrenzsituation beispielsweise zwischen GEMA-freier von KI geschaffener Musik und geschützter Musik von Komponistinnen und Komponisten führen.

KI ist eine weitere, immense Herausforderung für den Kultur- und Mediensektor. Ihr Einsatz wird nicht aufzuhalten sein. Es gilt allerdings, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Menschen, Einrichtungen und Unternehmen, die in diesem Bereich arbeiten, weiterhin ihr Geld damit verdienen können.
Die KI ist ein mächtiges Instrumentarium, es kann ein Segen sein oder ein Fluch. Wir müssen sicherstellen, dass KI den Menschen nützt und nicht schadet. Wir haben es noch in der Hand, die Richtung zu bestimmen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.