Wie ist es aktuell um den Schutz von materiellem und immateriellem Kulturgut im Fall von Naturkatastrophen, Krisenfällen und bewaffneten Konflikten in Deutschland bestellt? Welche Rolle kommt bei der Vorsorge dem Bundesministerium für Inneres und Heimat zu? Politik & Kultur fragt bei dem zuständigen Parlamentarischen Staats sekretär Johann Saathoff nach.

Wo steht der Krisen- und Katastrophenschutz für Kulturgut, Kulturorte sowie Kulturerbe in Deutschland aktuell?

Wir sollten zunächst einmal grundsätzlich unterscheiden. Zwischen dem generellen Schutz von Kulturgut vor einer Vielzahl von Gefahren – beispielsweise Extremwetterereignisse, Havarien, Vandalismus, Raub bzw. illegaler Handel oder Abwanderung national wichtiger Kulturgüter. Und dem Schutz von Kulturgut im besonderen Fall eines bewaffneten Konfliktes gemäß der Haager Konvention vom 14. Mai 1954.

Der »allgemeine« Kulturgutschutz ist Teil der Kulturhoheit der Länder, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Dementsprechend sind die einzelnen Bundesländer mit ihren jeweiligen Landesverwaltungen für diese Aufgabe zuständig. Der Schutz von Kulturgütern im Spannungs- und Verteidigungsfall ist hingegen Teil des Zivilschutzes. An dieser Stelle ist – so sieht es das Gesetz über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) vor – die Bundes verwaltung, namentlich das Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI) und das ihm nachgeordnete Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) als zentrale Zivilschutzbehörde des Bundes verantwortlich.

Im Licht des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der damit verbundenen unwiederbringlichen Zerstörung von Kulturgütern auf ukrainischem Gebiet ist der Kulturgutschutz als Teil des Zivilschutzes natürlich auch bei uns wieder verstärkt in das öffentliche Bewusstsein gerückt. Doch auch schon vor der Zäsur, die der 24. Februar 2022 für unser Risikobewusstsein dargestellt hat, mussten wir immer wieder die Beschädigung, Zerstörung und den Raub von wertvollen, identitätsstiftenden Kultur- und Kunstschätzen im Zusammenhang mit militärischen Konflikten in verschiedenen Regionen unserer Erde erleben. Die Zerstörung der Ruinenstadt Palmyra durch die Terrormiliz Islamischer Staat oder die Sprengung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch Taliban-Milizen in Afghanistan sind nur zwei von zahlreichen Verlusten, die das weltweite kulturelle Erbe in jüngster Vergangenheit zu beklagen hat.

Das Engagement der Bundesverwaltung beschränkt sich aber natürlich keineswegs rein reaktiv auf die spezifischen Herausforderungen des Kulturgutschutzes in bewaffneten Konflikten. Vielmehr findet ein enger Austausch mit den für Kulturgutschutz zuständigen Landesbehörden statt, um den Schutz von Kulturgütern auch bei Katastrophen wie Brandereignissen oder Hochwasser zu gewährleisten. Ein Blick auf die aktuelle Häufung von Extremwetterereignissen führt uns ja fast täglich vor Augen, wie wichtig es ist, verschiedene Akteure auf Bundes- und Länderebene sowie in den kulturbesitzenden Institutionen zusammenzubringen, damit sie sich miteinander den wachsenden Herausforderungen stellen und den damit verbundenen Anforderungen gerecht werden können.

Ein besonders zukunftsfähiges Konzept wurde beispielsweise auf der Ebene der Kulturgut bewahrenden Einrichtungen – also Museen, Archiven und Bibliotheken – ins Leben gerufen. Die Einrichtungen schließen sich regional zu sogenannten Notfallverbünden zusammen und erarbeiten gemeinsam mit verschiedenen Vereinen und NGOs Konzepte für unterschiedliche Notfallszenarien sowie Pläne zur Rettung von Kulturgütern. Auch das BBK unterstützt die Arbeit der mittlerweile über 60 Notfallverbünde proaktiv, um auf diese Weise die Resilienz der Kulturgut bewahrenden Einrichtungen zu stärken und einen funktionierenden Kulturgutschutz vor Ort und in der Fläche zu gewährleisten.

Welche Rolle spielt der Schutz von Kulturgut in der Innenpolitik aktuell?

Wie schon eingangs skizziert, müssen wir uns grundsätzlich einer wachsenden Zahl potenzieller Gefahren unterschiedlichen Ursprungs bewusst sein. Sie gefährden Menschenleben, die Versorgungssicherheit oder destabilisieren Ökosysteme. Der Ausfall von Kritischen Infrastrukturen, Ernteausfälle, Waldschäden, aber nicht zuletzt eben auch der Verlust von kulturellem Erbe sind einige Beispiele für mögliche Schäden. Kulturgut zu schützen und für künftige Generationen zu bewahren, ist und bleibt daher eine wichtige gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Hierauf reagierend hat die Bun-desregierung am 13. Juli 2022 die Deutsche Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen, kurz: Resilienzstrategie, beschlossen. Diese Strategie hat das Ziel, Menschen und ihre Existenzgrundlagen besser zu schützen sowie die Widerstands- und Anpassungsfähigkeit des Gemeinwesens gegenüber Katastrophen zu stärken. Auch der Kulturgutschutz findet in der Strategie explizit Erwähnung. Sie empfiehlt für den Kulturgutschutz einen integrierten und akteursübergreifenden Ansatz und sie schlägt konkrete Maßnahmen vor. Dazu gehören etwa die Ausweitung und Vertiefung der Zusammenarbeit von Kulturgut bewahrenden Einrichtungen und das regelmäßige Üben von Rettungsmaßnahmen. Aber auch die schon genannte Identifizierung und Kennzeichnung von unbeweglichem Kulturgut nach der Haager Konvention zum Schutz vor bewaffneten Konflikten sowie die Bundessicherungsverfilmung sollen fortgeführt, ausgebaut und sinnvoll dem Stand der aktuellen Technik angepasst werden.

Welche Vorsorgemaßnahmen, insbesondere für Kulturgut, Kulturorte sowie Kulturerbe, trifft der Bund als Teil der innenpolitischen Strategie bereits? Inwieweit arbeiten Sie diesbezüglich auch mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth zusammen?

Eine Vorsorgemaßnahme des Bundes, um schriftliches Kulturgut zu bewahren, ist die Langzeitsicherung von historisch bedeutsamen Dokumenten auf Mikrofilm – die Bundessicherungsverfilmung. Unter Federführung des BBK lässt der Bund Mikrofilmkopien von den wertvollsten Archivalien der Landesarchive sowie des Bundesarchivs anfertigen und in ein stillgelegtes Bergwerk – den Zentralen Bergungsort der Bundesrepublik (ZBO) – bringen. Durch Verwendung von spezifisch dafür vorgesehenen Filmmaterialien, eine spezielle Einlagerungstechnik und eigens für die Bundessicherungsverfilmung konzipierten Behältnissen können die Mikrofilmkopien im ZBO bis zu 500 Jahre lagern. Mittlerweile wurden auf diese Weise über eine Milliarde Mikrofilmaufnahmen im ZBO eingelagert. Die Anfertigung und Verwahrung dieser Kopien bedeuten nicht nur, Informationen zu sichern, sondern das kulturelle Gedächtnis unserer Gesellschaft zu bewahren und für nachfolgende Generationen zu sichern.

Ein weiterer zentraler Baustein, um den Schutz von Kulturgut in Deutschland vor Krisenereignissen zu stärken, ist die Aus- und Fortbildung der dafür verantwortlichen Personen. Der Bund engagiert sich hier an der Schnittstelle zwischen Kulturgutschutz und den Instanzen des Brand-, Zivil- und Katastrophenschutzes, indem die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten aus Bund, Ländern und Kommunen das Seminar »Fachberatung Kulturgutschutz« konzipiert hat. Ziel dieses seit September 2022 angebotenen Seminars ist nicht nur die fachliche Schulung, sondern auch die Vernetzung der für Kulturgutschutz, Sicherheitsaufgaben und Notfallplanung Verantwortlichen mit Einsatzkräften der Gefahrenabwehr. Aus diesem Grund koordiniert das BBK auch eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Notfallvorsorge und fördert zudem die genannten Notfallverbünde durch regelmäßige Netzwerktreffen.

Außerdem hat der auf Bundesebene unter Leitung des BMI eingerichtete ressortübergreifende Gemeinsame Koordinierungsstab Kritische Infrastruktur (GEKKIS) vereinbart, eine systematische Betrachtung möglicher Risiken für kritische Einrichtungen und Dienstleistungen vorzunehmen, auch im Bereich der Kultur. In diesem Rahmen erfolgt auch eine Abstimmung mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die erforderlichen Risikobewertungen werden dann anhand von Gefahrenszenarien vorgenommen, die in einer Gesamtbewertung durch das BBK analysiert werden, um möglichen erkannten Schwachstellen noch gezielter entgegentreten zu können.

Wie gestaltet sich das Zusammenspiel der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern für den Krisen- und Katastrophenschutz für Kulturgut, Kulturorte und Kulturerbe?

Im deutschen Kulturgutschutz besteht eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Wie schon dargelegt, sind die Länder im Rahmen ihrer Kulturhoheit eigenständig für die praktische Umsetzung einzelner Maßnahmen zum Kulturgutschutz verantwortlich. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Sicherung unbeweglicher Kulturgüter gemäß der Haager Konvention, die es als völkerrechtliche Vereinbarung erlaubt, Kulturgüter mit besonderem Wert – also beispielsweise Bau-, Kunst- und geschichtliche Denkmäler sowie Museen, Bibliotheken, Archive und Bergungsorte – durch eine entsprechende Kennzeichnung unter den Schutz der Konvention zu stellen. Die Beschädigung bzw. Zerstörung solch geschützter Kulturgüter kann in einem bewaffneten Konflikt ein Kriegsverbrechen darstellen. In Deutschland obliegen die Identifizierung, Kennzeichnung und Sicherung solch schützenswerter Objekte den Bundesländern im Rahmen ihrer Kulturhoheit. Die obersten Denkmalbehörden der Länder prüfen in eigener Verantwortung, welche Kulturgüter im jeweiligen Bundesland im Kriegsfall besonders zu schützen sind, und führen auch deren Kennzeichnung mit dem Emblem der Haager Konvention durch.

Aber auch bei dieser Aufgabe in eindeutiger Zuständigkeit der jeweiligen Landesverwaltungen wird eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern praktiziert. Das BBK übernimmt hier eine beratende Funktion bei generellen Fragen zur Kennzeichnung schützenswerter Kulturgüter. Erwähnt sei an dieser Stelle nochmals das erfolgreiche Zusammenspiel von Bund und Ländern bei der Bundessicherungsverfilmung, die vom BBK als Bundesbehörde beaufsichtigt, aber von den einzelnen Landesarchiven im Rahmen der Auftragsverwaltung durchgeführt wird. Hier wurde in jahrzehntelanger erfolgreicher Zusammenarbeit bewiesen, dass trotz unterschiedlichster gesetzlicher Zuständigkeiten eine konstruktive und zielgerichtete Zusammenarbeit von Bundes- und Landesbehörden zum Schutz der Kulturgüter unseres Landes gelingen kann. Grundlagen hierfür sind die Einrichtung entsprechender Gremien – z. B. der Fototechnische Ausschuss (FTA) –, vor allem aber eine gemeinsame Leidenschaft aller beteiligten Akteure zum Schutz unseres kulturellen Erbes.

Was muss noch geschehen?

Insbesondere die letzten Jahre mit den verheerenden Hochwassern, zahlreichen Flächenbränden und der veränderten sicherheitspolitischen Lage seit Februar 2022 haben deutlich vor Augen geführt, dass nicht nur der Schutz unserer Bevölkerung, sondern auch der Schutz unserer Kulturgüter vor großen, neuen Herausforderungen steht. Daher wird es in Zukunft noch wichtiger werden, mit den Akteuren auf Bund-, Länder- und Einrichtungsebene ein resilientes Netzwerk zu weben, das dynamisch auf unterschiedliche Gefahren für unsere Kulturschätze reagieren kann. Die kontinuierliche Stärkung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern sowie der fortschreitende Ausbau und die dauerhafte Förderung von Notfallverbünden im gesamten Bundesgebiet sind sicherlich zwei der großen Themen, die im Kulturgutschutz unsere Aufmerksamkeit verlangen.

Neben der Förderung einer möglichst engen Zusammenarbeit zwischen Organisationen der Gefahrenabwehr sowie Kulturgut bewahrenden Einrichtungen ist auch die fortlaufende Weiterentwicklung spezifischer Prozesse auf Bundesebene wichtig. Beispielsweise denkt man im BBK schon heute über die Zukunft der Bundessicherungsverfilmung nach. Themen wie Digitalisierung und der Schutz von immateriellen Kulturgütern werden hier in der Grundsatzarbeit oder in Projekten erörtert und umgesetzt. So unternimmt das BBK aktuell erstmalig einen exemplarischen Versuch, auch immaterielles Kulturgut zu sichern und dadurch einen wichtigen Teil des kulturellen Gedächtnisses unserer Gesellschaft dauerhaft zu erhalten. Derzeit werden essenzielle Archivalien zu Themen der Brauchtumsforschung im Rahmen der Bundessicherungsverfilmung dokumentiert und verfilmt. Auf diese Weise sollen Traditionen und Bräuche für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben. Die Durchführung des aktuellen Pilotprojektes wird Erkenntnisse darüber liefern, wie weitere immaterielle Kulturgüter geschützt werden können.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2023.