Die Eingabe in ChatGPT dauert nur wenige Sekunden: »Bitte schreibe ein Liebesgedicht, in dem rote Rosen und eine Verlobung vorkommen!« Die Antwort von ChatGPT dauert ebenfalls nur wenige Sekunden: Heraus kommt ein mehrzeiliges Liebesgedicht – in Reimform und durchaus kreativ. Der nächste Rembrandt hat deutlich länger gedauert, insgesamt 18 Monate. Zuerst wurden 346 Rembrandt-Originale in ein KI-System eingepflegt, das dann aus 170.000 Gemäldefragmenten ein Bild erstellt und über einen 3-D-Drucker ausgedruckt hat. Ein Bild, das in der Tat wie ein Ölgemälde des niederländischen Meisters aussieht.

»Künstliche Intelligenz« (KI) wird als Sammelbegriff für verschiedene technische Verfahren verwendet, die sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens beschäftigen. »Künstlich intelligent« sind all diejenigen Computersysteme, die Aufgaben wahrnehmen, welche bisher vor allem mit dem Menschen in Verbindung gebracht worden sind. Vor einigen Jahren war das noch Schachspielen, mittlerweile geht es um viel komplexere Abläufe wie das Steuern von Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr.

Eine Tätigkeit, die bisher ebenfalls vor allem mit dem Menschen in Verbindung gebracht worden ist, ist das Kulturschaffen. Künstlerische Leistungen waren bis vor einigen Jahren allein mit menschlichen Fähigkeiten erbringbar; nicht nur aus einer handwerklichen, sondern auch aus einer inhaltlichen Perspektive. Computern fehlte es sowohl am Pinselstrich als auch an der Idee, weshalb eine Taube für Frieden steht oder eine giftgrüne, verzerrte Darstellung des Potsdamer Platzes in Berlin Unruhe und einen psychischen Kampf mit sich selbst symbolisieren sollte.

Diese Dinge liegen nun aber anders. KI kann jetzt ohne Weiteres Liebesgedichte generieren und hochqualitative Werke bildender Kunst wie einen neuen Rembrandt erschaffen. Textgeneratoren wie GPT-3, der dem kürzlich veröffentlichten Bot ChatGPT zugrunde liegt, oder Text-zu-Bild-Generatoren wie Stable Diffusion, DALL-E oder Midjourney haben kürzlich auch den Weg für kreative KI-Massennutzungen geebnet.

Die Anwendungsbereiche für KI auf dem Kulturmarkt sind dabei vielfältig. Zunächst sind das administrative oder technische Dienstleistungen, wie beispielsweise das Mischen und Mastern von Musikaufnahmen, die erheblich durch den Einsatz von KI unterstützt werden können. Allerdings sollen generative, also konsumierbare Inhalte schaffende KI-Systeme im Fokus dieses Beitrags stehen. In der Games-Branche werden Text-zu-Bild-Generatoren bereits jetzt eingesetzt, um komplexe grafische Darstellungen zu produzieren, die als Teil einer Spielewelt verarbeitet werden können. Zwar sind hieran immer noch Grafiker beteiligt, die die KI als Werkzeug nutzen, um Elemente der Spielewelt herzustellen, diese grafischen Elemente zu einer Gesamtkomposition zusammenzufügen und schlussendlich eine Endbearbeitung vorzunehmen. Aber es deutet sich an, dass der für den Designprozess notwendige Arbeitsaufwand auf ein Achtel des Zeitaufwands für eine herkömmliche Schaffensleistung reduziert werden kann. In diese Kategorie fällt auch der nächste Rembrandt. Am Prozess der Erstellung waren maßgeblich Menschen beteiligt, um zu entscheiden, wie der nächste Rembrandt konkret aussehen soll. Vor allem stark informationsbezogene, kurze Nachrichtenartikel, wie sie beispielsweise im Bereich der Wirtschafts- oder Sportnachrichten publiziert werden, sind nicht selten bereits heute von KI verfasst. Die Technologienachrichtenseite Cnet setzt seit November 2022 offensiv KI ein, um Beiträge automatisiert vom KI-System schreiben zu lassen.

All diese generativen KI-Systeme haben gemein, dass sie kreative Leistungen erzeugen. Damit rückt früher als später das Urheberrecht in den Blickpunkt. Zunächst muss geklärt werden, ob KI-generierten Erzeugnissen, beispielsweise dem von ChatGPT erzeugten Liebesgedicht oder dem nächsten Rembrandt, urheberrechtlicher Schutz zukommen kann und wer von diesem Schutz profitieren soll. Außerdem stellt sich die Frage danach, ob und unter welchen Voraussetzungen urheberrechtlich geschützte Inhalte Dritter genutzt werden dürfen, um generative KI-Systeme zu entwickeln. Denn eine KI braucht stets eine große Zahl an Vorbildern, anhand derer sie lernen kann, wie ihre Erzeugnisse später aussehen sollen. In einem ähnlichen Zusammenhang müssen Fälle, in denen KI-Erzeugnisse Urheberrechte Dritter verletzten, Lösungen zugeführt werden. Was passiert beispielsweise, wenn im KI-Erzeugnis ein bereits geschütztes Werk eines Künstlers wiedererkennbar ist, welches – mit oder ohne seine Erlaubnis – zum Training der KI verwendet wurde? Das Urheberrecht nimmt für den Einsatz generativer KI im Kulturbereich daher eine Schlüsselrolle ein. Welche Antworten hält es für den Einsatz von KI schon bereit, und wo bewegt sich das Urheberrecht hin in der KI-getriebenen Transformation?

Am kontroversesten diskutiert wird die Frage, ob beispielsweise einem von ChatGPT im Kreuzreim verfassten Liebesgedicht urheberrechtlicher Schutz zukommen kann. Das hätte praktisch erhebliche Auswirkungen: Wenn Schutz besteht, könnte der Inhaber des Urheberrechts allein über die Nutzung des Gedichts bestimmen. Wollen Dritte das Gedicht nutzen, müssen sie umgekehrt die Bedingungen des Urheberrechts beachten und gegebenenfalls eine Vergütung an den Urheber des Gedichts abführen. Besteht hingegen kein Schutz, kann der Inhalt grundsätzlich frei von Dritten genutzt werden.

Für die Beantwortung dieser Frage entscheidend ist, dass dem Urheberrecht in Deutschland und der Europäischen Union ein anthropozentrisches Bild zugrunde liegt. Es setzt damit stets voraus, dass ein Teil der Persönlichkeit des menschlichen Schöpfers im geschaffenen Werk zum Ausdruck kommt. Durch das Urheberrecht geschützt ist das von ChatGPT verfasste Gedicht daher nur dann, wenn ein ausreichender menschlicher Einfluss auf das Erzeugnis ausgeübt wurde. Je mehr sich das Werkschaffen vom KI-Nutzer auf die KI verlagert, desto seltener wird das hingegen der Fall sein. Daher besteht nur in wenigen Fällen urheberrechtlicher Schutz für KI-Erzeugnisse. Das Liebesgedicht von ChatGPT ist damit nicht durch Urheberrecht geschützt, wenn kein Mensch seine Persönlichkeit dort eingebracht hat, weil es allein computergeniert ist. Der nächste Rembrandt dürfte hingegen geschützt sein, weil hier Menschen hinreichenden Einfluss auf das Endprodukt gehabt haben.

Wenn es keinen Urheberrechtsschutz gibt, kann ein Schutz von KI-Erzeugnissen daneben auch durch sogenannte Leistungsschutzrechte begründet werden. Hierbei handelt es sich um mit dem Urheberrecht wesensmäßig verwandte Rechte, die sich in ihrer Ausgestaltung am echten urheberrechtlichen Schutz orientieren. Anders als im Urheberrecht sind bloße Leistungsschutzrechte aber insbesondere darauf gerichtet, nicht menschliche, sondern unternehmerische Leistungen zu schützen. Beispiele sind das Erstellen eines Tonträgers oder das Herstellen eines Films durch KI. Für KI-erstellte Bilder oder KI-erstellte Romane gibt es einen solchen Leistungsschutz aber nicht. Das rechtliche System führt also nicht dazu, dass alle KI-Erzeugnisse gleiche Schutzmöglichkeiten haben. Das löst Fragen nach einer diskriminierenden Wirkung des Urheberrechts aus. Ob ein gleichmäßiger Schutz rechtspolitisch überhaupt notwendig ist, kann im Moment aber noch nicht abschließend beurteilt werden. Notwendig ist dafür, den KI- und Kulturmarkt weiter zu beobachten. Auch ist mit einer Änderung des Urheberrechts im Moment nicht zu rechnen.

Auf der anderen Seite der Medaille stehen die Fälle, in denen KI-Erzeugnisse Urheberrechte Dritter verletzen. Fälle, in denen eine KI Inhalte generiert, in denen vorbestehende Werke Dritter urheberrechtlich relevant wiedererkannt werden können, konnten in der Praxis bereits beobachtet werden. Solche Fälle dürften vor allem vorkommen, wenn die KI vorher mit Werken Dritter trainiert wurde. Was aus einer urheberrechtlichen Perspektive dann passiert, ist noch ungeklärt. Da gelegentliche Übereinstimmungen aus technischen Gründen letztlich nicht vollständig verhindert werden können, steht bei dieser Frage die gesamte generative KI auf dem Spiel. Schließlich – und praktisch derzeit noch relevanter – muss aber die Frage beantwortet werden, ob geschützte Werke ohne Einwilligung der betroffenen Urheber frei zum Training, also zur Entwicklung von KI genutzt werden dürfen. Getty Images als Inhaber von Bildrechten führt hierzu in Großbritannien schon einen Gerichtsprozess gegen Stability AI, die den Open-Source-Kunstgenerator Stable Diffusion betreibt. Der deutsche Gesetzgeber hat auf der Basis von EU-Recht im Jahr 2021 eine urheberrechtliche Schrankenbestimmung, also eine Regelung zur Einschränkung des urheberrechtlichen Schutzbereichs für sogenanntes Text- und Data-Mining geschaffen. Text- und Data-Mining umfasst das automatisierte Analysieren von urheberrechtlich geschützten Inhalten. Ob das Sammeln und Nutzen geschützter Werke als Trainingsdaten für KI wirklich hierunter fällt, ist aber noch nicht abschließend geklärt. Die neue Schrankenbestimmung sieht jedenfalls keine Vergütungspflicht zugunsten betroffener Urheber für die Nutzung ihrer Werke zum Training von KI vor. Sollen Urheber und andere Rechtsinhaber aber wirklich dulden müssen, dass ihre Werke von Dritten frei genutzt werden, um KI zu entwickeln, die schlussendlich Konkurrenzprodukte zu den genutzten Werken herstellt? Die urheberrechtliche Regelung zur Zulässigkeit des Trainings von KI-System mit urheberrechtlich geschützten Inhalten steht vor einem Dilemma: Einerseits wird der Zugang zu diesen Trainingsdaten maßgeblich darüber entscheiden, wie schnell die Entwicklung von KI vorankommen wird und in welchen Ländern sich KI-Wirtschaft ansiedeln wird. Andererseits droht gerade deswegen ein Unterbietungswettbewerb zwischen den Staaten – zulasten der Urheber und sonstigen Rechteinhaber.

Alles in allem bleiben damit viele, wenn nicht gar alle der in diesem Beitrag aufgeworfenen Fragen des Urheberrechts noch ungeklärt. Nicht nur die Kulturbranche, sondern auch das Urheberrecht stehen wegen des Einsatzes leistungsfähiger KI-Systeme damit vor immensen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Bei der Beantwortung der Fragestellungen drängt allerdings die Zeit. Denn KI entwickelt sich rasant, und noch leistungsfähigere KI-Systeme werden auch zu noch mehr KI-generierten Liebesgedichten, Kunstwerken, Musikstücken, Übersetzungen oder anderen Leistungsergebnissen führen. Katalysatorisch werden dabei auch eine steigende Massenverfügbarkeit der Systeme und sinkende Kosten für den Einsatz von KI wirken. Das Urheberrecht muss seine Hausaufgaben daher früher als später erledigen. Die Debatte hierzu ist bereits in vollem Gange.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2023.