Nirgendwo ist das Wasser so wasserhaft wie im Film. Nicht dass es nicht auch in vor-cineastischen Bildern voller Gewalt und Glück sein konnte, von der aus dem Schaum des Meeres geborenen Venus des Botticelli über Hokusais Wellen bis zu den Seerosen des Claude Monet. Aber nur im Film ist es unabdingbar: Wasser bedeutet immer Bewegung. Wenn es einmal ruhig ist, dann ist das fast so bedrohlich wie der radikale Aufruhr; zwischen Stille und Sturm droht Wasser dem Menschen – und beglückt ihn in vielem dazwischen.

Wasser fließt, tropft, schwappt, rauscht, rinnt, schwallt, drängt, steigt und fällt durch alles Leben, es ist das Element, das alles mit allem verbindet, den Anfang mit dem Ende, die Heimat mit der Fremde, das Glück mit der Gefahr. Der Film, die flüssigste aller ästhetischen Repräsentationsformen, hat offensichtlich eine innere Beziehung zum Wasser. Das heißt aber nicht, dass er nicht auch von Wasser »handeln« könnte, so wie er von Feuer, vom Fliegen, von Erde, Fels und Sand handeln kann. Um zu begreifen, was Wasser bedeutet in der großen Erzählung vom Ich und der Welt, genügt vielleicht ein kleiner Streifzug durch die Wasserdramen des Kinos.

Rückkehr zur Urheimat

Alles Leben, sagt man, kommt aus dem Meer. Und es gibt Menschen, reale wie fiktionale, die dorthin zurückwollen, wo alles begann. Luc Bessons Film »The Big Blue« war dem Tiefseetaucher Jacques Mayol, der auch als Berater mitwirkte, nachempfunden und dramatisiert die Rivalität zweier Taucher um einen Tiefenrekord. Mehr als sonst wird hier, ebenso wie in der Serie »The Rig«, das Meer als Urheimat benannt. Diese wird von der Faszination zur seltsamen Obsession und damit zum Konflikt mit den Mitmenschen. Wie oft wird ebendies zum großen Traum: das Meer sehen, zum ersten oder auch zum letzten Mal.

Eine große Sehnsucht nach dieser Urheimat ist das eine, eine tiefe Furcht vor dem, was da drinnen und aus der Tiefe kommen mag, das andere. So sind Reisen in und durch das Meer stets von beidem, der Lust und der Angst, begleitet. Von Captain Nemo aus »20.000 Meilen unter dem Meer« über die apokalyptisch im Wasser versunkene Welt in Kevin Costners »Waterworld« bis zur digitalen Wasserfantasie des neuen »Avatar«-Films, der im Original schließlich »The Way of Water« heißt, reicht das Verlocken und Verschlingen.

Kampf um Wasser

Zugleich ist Wasser der Lebensstoff, um den immer wieder gekämpft werden muss. Der große mythospoetische Western »C’era una Volta il West« von Sergio Leone geht um diesen Stoff, der bei der Erschließung des Westens durch die Eisenbahn eine so wichtige Rolle spielt. Wer das Wasser hat, der hat die Macht, und darum geht es in etlichen Western, die die »Weidekriege« zum Inhalt haben. Und Dämme wie Brücken sind in den Kriegsfilmen Objekte des Angriffs.

Der saubere Eros

Wenn im Film gebadet oder geduscht wird, liegt verbotener Eros, verbotener Blick in der Luft. Und nur im Regen kann man so frei tanzen und singen. Bade- und Duschszenen sind nicht nur willkommene Vorwände auch in Genres, die es ansonsten eher etwas puritanisch haben wollen, sie erscheinen oft auch als mehr oder weniger komische Erinnerung an die Körperlichkeit. Und zugleich ist Wasser das Medium der Sünde und der Strafe, wie in »Psycho«, oder es geht um das Abtauchen in die Sphären des Unterbewussten wie in den frühen Horrorfilmen des Dario Argento.

Sex, Party und Mord am Pool

Das architektonisch und sozial gebändigte Wasser als Luxus: Der Swimmingpool ist für die (vergangene) Moderne ein zentraler Ereignisort, dort kann die Party, wie in den Komödien von Blake Edwards, der persönliche Niedergang – wie der von Burt Lancaster in »The Swimmer«, der durch die Pools seiner Nachbarschaft in die eigene Katastrophe schwimmt – oder die Sex- und Mord-Geschichte à la Patricia Highsmith in »The Pool« nur stattfinden, und wo sollten »Die Halbstarken« sich einst getroffen haben, wenn nicht im Schwimmbad? David Hockney findet auch im Film im Pool seinen künstlerischen und erotischen Traumort, doch wer einen Pool auf einem alten indianischen Friedhof errichtet, darf sich nicht wundern, dass er sich einen »Poltergeist« einhandelt.

Flüsse des Lebens

Der Fluss ist immer wieder die »Lebensader«, die wie in Jean Renoirs »The River« in ihrem Fließen Zeit und Raum bestimmt oder an das Glück und Drama der Familie erinnert: »A River Runs Through It«. Umgekehrt sind Flüsse auch der Ort der Eroberung und des Scheiterns, so in Werner Herzogs Filmen wie »Aguirre – Der Zorn Gottes« oder »Fitzcaraldo«. In »African Queen« gelingt die Flucht von Humphrey Bogart und Katharine Hepburn wie die von Marilyn Monroe und Robert Mitchum in »River of No Return«: Reisen mit dem Tod und zur Liebe.

Wilde Wasser

Die »Wilden Wasser« des deutschen Heimatfilms bedeuten eine selten gute Begegnung von sündhaftem Handeln und Verbrechen, das Mordkomplott von »Niagara« hat den Wasserfall mehr als nur zum Hintergrund. Wie symbolisch fliegen der Priester und das Kreuz, das er zu tragen hat, in »Mission« den Wasserfall hinunter. Und Meryl Streep als Mutter muss die Kinder durch alle Stromschnellen retten in »Am wilden Fluss«.

Durst

Immer wieder wird der Mensch auf dem Weg durch die Wüste geführt von der verzweifelten Hoffnung auf das Wasser, die Oase, die Rettung. Um die letzten Tropfen entbrennen grausame Kämpfe und ebenso zeigt sich heroischer Opfermut. Emblematische Bilder: die letzten Tropfen, der erlösende Brunnen.

Katastrophe und Sintflut

Wasser spielt bekanntlich auch seine Rolle bei der gewöhnlichen Katastrophe wie beim partiellen Weltuntergang. Noahs Arche muss die große Flut überstehen, in Filmen, die das biblische Geschehen rekonstruieren ebenso wie in Aktualisierungen. In Martin Scorseses »Taxi Driver« träumt der zweifelhafte Held davon, dass ein großer Regen komme, um die Stadt von ihrem Abschaum und ihrer Sünde zu reinigen. Den Tsunami zu überleben bedeutet in Clint Eastwoods »Hereafter« eine Nahtoderfahrung, die das Leben auf eine andere spirituelle Ebene befördert.

Das ewige Blau

Piraten und Abenteurer stechen in See und sie befreien sich in diesem Aufbruch, wie auch ein Christoph Kolumbus oder, anders herum, die Meuternden der Bounty. Auf der Jagd nach Moby Dick oder auf der Suche nach neuen Seewegen wie in »To the Ends of the World« werden die Weltmeere zur eigentlichen Heimat. Zum Grauen freilich wird die Reise auf See für die Sklaven, die bei den antiken Schlachtgemälden à la »Ben Hur« die Ruder bedienen oder auf den realen Sklavenschiffen wie »Amistad« sind. Jeder Krieg findet auch auf und unter dem Wasser statt, und daher haben wir ebenso Kriegsfilme, die von Seeschlachten oder vom U-Boot-Krieg handeln: Die fundamentale Enge inmitten der größten Weite.

Fantastische Strände

Der Strand ist der Traumort, der sich freilich immer wieder auch in einen Albtraum verwandelt. Nicht nur für Leonardo Di Caprio und die seinen im Aussteigertraum von »The Beach« oder für die Nachfolger von Robinson Crusoe, etwa Tom Hanks in »Cast Away«. Der Strand ist natürlich auch ein idealer Ort für den Ferienfilm, die klassische Mischung aus Familienkatastrophe und Coming of Age. Unvergesslich etwa die Versuche von Jacques Tati, in einem Faltboot das Meer zu erobern, oder Louis de Funès’ ewiger Kampf mit den Tücken um sein Segelboot namens »Sausewind«. Am Ende aber geht auch der gute Geschmack in den Wellen verloren, in den Ferien-Satiren wie Gerhard Polts »Man spricht deutsh« oder Tom Gerhardts »Ballermann 6«.

Die Insel

Nicht nur Schiffbrüchige verschlägt es auf die Inseln, sie sind zugleich stets auch Orte der Utopie, seit Beginn dieses Denkens bei Thomas Morus. Auf die Insel wendet man sich zur Flucht, zwischen einem Aussteigertraum à la Paul Gauguin und einem kolonialistischen Fluch.

Monster und Meerjungfrauen

Aus dem Wasser kommen Bedrohungen und Erlösungen, Wesen wie das Monster aus der Lagune, aber auch Godzilla, die Urechse mit dem heftigen Sirenenton und dem feurigen Atem, sucht immer wieder das Meer auf, und entkommt auch dort. Der weiße Hai war nur der Anfang, ihm folgten Orcas, Piranhas und Tintenfische. Und dann gibt es die Unterwasserreiche wie das von Atlantis, aus dem kiemenatmende Parallelmenschen wie Prinz Namor alias »Submariner« stammen und natürlich die Meerjungfrauen à la »Arielle«.

Schnee und Eis

Das Wasser im erstarrten Zustand, vom Blau ins Weiß, von der Bewegung zur bizarren Festung. Unterwegs im Kajak im »Land der langen Schatten«, bei den Pol-Expeditionen oder auch in den Höhen von Alpenregionen, in denen Lawinen lauern und Eishöhlen locken, eine bizarre weiße Welt ohne Grenzen und manchmal auch ohne Wiederkehr. Frankenstein und sein Geschöpf jagen sich bis ans Ende der Welt, in die weißen Eiswüsten, in denen Schiffe zu Gefängnissen werden und Menschen zu verzweifelten Märschen durch Schnee und Eis aufbrechen.

Sport und Show

Natürlich ist Wasser auch das Element einer Reihe von Sportarten, und es ist eine Bühne, wie die, auf der die legendäre Esther Williams und ihre Wasserballette sich entfalten konnten. Wasserball ist eine wichtige Metapher in den frühen Filmen von Nanni Moretti. Und Filme wie »Der Schwimmer« erzählen von den anstrengenden Vorbereitungen auf olympische Wettkämpfe im Wasser.

Ende/Anfang

Das Wasser ist das Element der dunklen Todessehnsucht, des Selbstmordes; und die Rettung daraus ist der Beginn wundersamer Liebesgeschichten wie in Helmut Käutners »Unter den Brücken«. Ins Komödiantische gewendet ist dies in »Boudu sauvé des Eaux« der Beginn der Umkehrung sozialer Rollen. Robert Redford kämpft in »All Is Lost« allein gegen den Ozean und sinkt schon in die ewigen Tiefen des Meeres, als er in letzter Minute ein rettendes Licht über sich sieht. Und der kleine künstliche Junge, der sich so sehr nach der Liebe einer menschlichen Mutter sehnt, verbringt in Steven Spielbergs »A.I.« Jahrhunderte auf dem Meeresgrund, bevor er von Angehörigen einer Alien-Kultur erlöst wird. Dem Tod folgt die Wiedergeburt, dies also ist die Tiefenstruktur der Wasser-Metapher in den Kinobildern.

Wie der junge Ishmael, der sich mit dem Sarg seines Freundes Queequeg vom Kampf mit dem weißen Wal und dem Untergang der »Pequod« rettet, erreicht man am Ende des Bilderflusses das erlösende Ende. Das Wasser hat genommen, das Wasser hat gegeben. Gepriesen sei das Bild des Wassers.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2023.