Entgegen verbreiteten Auffassungen von der Aufklärung als einer Epoche des vernunftgeleiteten Meinungsaustauschs, erlebten vehement geführte und verletzende Auseinandersetzungen im 18. Jahrhundert eine Hochkonjunktur. Dies lag nicht zuletzt am Konfliktverhalten vieler Akteure innerhalb der Aufklärungsbewegungen: Während sie von sich selbst behaupteten, dem Ideal der rationalen Kritik zu entsprechen, warfen sie anderen schnell polemisches Verhalten und Regelverletzungen vor – und sanktionierten dies mit gebührender Schärfe. Eskalation zwischen widerstreitenden Parteien gehörte zum Alltag einer bereits hoch entwickelten und ausdifferenzierten Medienlandschaft.

Den Kontrast zwischen Ideal und Wirklichkeit visualisiert Daniel Nikolaus Chodowiecki, der wohl bekannteste und produktivste Künstler der Berliner Aufklärung, in einem karikaturesken Bild von 1781 mit dem Titel »Die Philosophen«. Diese beiden Herren gebaren sich so gar nicht, wie es ihr Berufsstand erwarten ließe, gehen sie doch lautstark aufeinander los. Mit weit aufgerissenen Augen und Mündern schlagen, treten und zerren sie. Die Gesichtszüge sind den beiden Streithähnen entglitten, Perücken und Hüte im Eifer des Gefechts zu Boden gefallen. Sie wirken nicht würdevoll, sondern lächerlich. Mit der Verspottung der unter Gelehrten verbreiteten Streitlust erfüllt das Bild eine wichtige zeitgenössische Gattungserwartung: Aufgabe der Karikatur war es, erzieherisch auf die Gesellschaft einzuwirken, indem sie Fehlverhalten und Normverstöße in einer allgemeingültigen Weise der Lächerlichkeit preisgab und als vermeintlich überparteiliches moralisches Korrektiv diente.

Viele der deutschen Gesellschaftskarikaturen aus dem 18. Jahrhundert erschienen ursprünglich in einem größeren publizistischen Zusammenhang. Dies ist auch bei Chodowieckis Philosophen der Fall. Die Radierung gehörte zur Bildausstattung einer im Berliner Decker-Verlag erschienen Neuausgabe von Erasmus von Rotterdams »Lob der Narrheit«. Bekannter sind heute die satirischen Grafikfolgen, die der Künstler ab 1777 für den von Georg Christoph Lichtenberg herausgegebenen »Göttinger Taschenkalender« zu Themen der richtigen, d. h. moralisch anständigen, bürgerlichen Lebensführung erstellt hatte. Sie sollten, so beschrieb es Lichtenberg in seiner Vorrede, keine konkreten Personen angreifen und auch nicht unmittelbar in Kontroversen oder Konflikte eingreifen.

Jenseits solcher Gesellschaftskarikaturen findet sich im 18. Jahrhundert aber auch eine dezidiert polemische Bildpraxis, die das Potenzial hat, Debatten zu verschärfen und Gegner zu diskreditieren. Das Spektrum reicht von mehr oder weniger offenen Anspielungen durch Beischriften oder visuelle Anspielungen bis hin zu einer tradierten Schmähmotivik, die ihre Wurzeln im mittelalterlichen Schandbild hat. Hierzu zählen etwa der Galgen und der Sau- oder Eselsritt. Von weniger derber Bildsprache, aber von ähnlicher Schlagkraft, waren konventionelle Porträtdarstellungen mit sogenannten »pasquillischen Pieces« – also Spottbeigaben. Verbreitet waren Pfeifen, Bierkrüge, Weinflaschen und Spielkarten. Sie unterstellten dem Dargestellten Tabak-, Trunk- und Spielsucht. Bisweilen symbolisierten auch Tiere wie der Affe oder Satyr zügellosen Genuss und Triebhaftigkeit. Häufig wurden derartige Accessoires von spöttischen Versbeigaben begleitet. Hier ging es nicht mehr um eine inhaltliche Kontroverse oder das Ringen um das bessere Argument, sondern darum, den Ruf und das Ansehen eines Kontrahenten oder eines politischen Feindes in den Augen eines möglichst großen Publikums zu zerstören.

Derart dezidierte Diffamierungen in Bild und Text waren in den deutschen Ländern verboten und erschienen deshalb in der Regel anonym oder unter einem Pseudonym mit fingiertem Druckort. Moralisch konnte ein solch öffentlicher Angriff gegen eine Person aber durchaus gerechtfertigt erscheinen – und zwar in solchen Fällen, in denen er sich gegen Menschen richtete, die der Gesellschaft schadeten, juristisch aber nicht zu belangen waren. Johann Georg Sulzer bemerkte hierzu in seiner »Allgemeinen Theorie der Schönen Künste« (1774), solche »Bösewichte« könnten nur »mit der Geißel des Spötters gezüchtiget werden«. Ziel müsse es sein, sie in »allgemeine Verachtung« zu bringen, denn so heißt ab Seite 50 fortfolgend: »Wer in allgemeiner Verachtung steht, ist selten fürchterlich.« Diese Worte mögen wie ein liberales Bekenntnis zu den Selbstverteidigungskräften einer bürgerlichen Gesellschaft klingen, doch wird die Frage, bei welchen Vergehen und Regelüberschreitungen die Waffe öffentlicher Rufschädigung angemessen erschien, zu neuen Konflikten geführt haben.

Für Nikolaus Chodowiecki war dies offenbar der Fall, als Jean Morino 1786 in seiner Verlagsbuchhandlung neben künstlerisch anspruchsvollen Stadtveduten auch sensationslustige Bildnachrichten herausbrachte. Dies nahm der Künstler zum Anlass für eine spöttische Darstellung mit dem Titel »Verbesserung der Sitten«. Sie kann als frühe Medienkritik avant la lettre gelten. Einem Marktschreier gleich zeigt sie den Verleger auf einer Tribüne. Mit weit aufgerissenem Mund preist er seine Drucke an – über Hochzeit und Ehescheidung ebenso wie über Diebstahl und Mordbrennerei. Eine begierige Menschentraube hat sich um ihn versammelt, während zu den Seiten die Welt im Chaos versinkt: Auf der Linken baumelt ein Mann an einem Strick, ein weiterer entleibt sich mit einer Pistole, während ein Dritter aus einem ballonähnlichen Gefährt zu Boden rauscht. Gegenüber treiben die Menschen groben Schabernack, schlagen Rad oder gehen auf Stelzen. Die Ordnung zerfällt. Chodowieckis überreiche Personalkarikatur ist formal in keiner Weise mit den rüden Schmähbildern zu vergleichen, doch greift auch sie in einen Konflikt ein; ergreift Partei und fordert zur Positionierung auf. Sie bedient sich dabei ganz ähnlicher Mittel wie die Bildsatire zu übergeordneten Themen. Überspitzt und despektierlich zieht sie ihren Gegenstand ins Lächerliche. Dies zeigte offenbar Wirkung, denn Morino soll seine Bilderserie kurz darauf eingestellt haben und versuchte, Chodowieckis Druckplatte käuflich zu erwerben, um weitere Abzüge zu verhindern.

Das Beispiel verdeutlichte die große Schlagkraft von Bildern in Konflikten und Kontroversen. Sie waren gefürchtet aufgrund ihrer Auflagenstärke und Reichweite, aber auch, weil sie die Aufmerksamkeit eines unüberschaubar großen Rezipientenkreises auf sich zu ziehen vermochten. Einmal in die Welt gesetzt, war es – und ist es heute noch – schwer, ihrer Herr zu werden.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2023.