Fast hätte ich euch ermahnt, dass der trotzige Bock nicht unter eure Achselhöhlen Einzug hält und … dass nicht Trägheit eure Zähne braun werden lässt« – so erinnert Ovid seine Leserinnen in der berühmten »Liebeskunst« an Erfordernisse der Basishygiene, bevor er sich ausführlichen Schmink-Tipps zuwendet. Aber im Grunde sei das nur positive Verstärkung, korrigiert er sich selbst: »Ich unterrichte ja keine Mädchen vom Kaukasus-Gebirge …«. Bei seinen Ratschlägen an Männer wird er deutlicher. Wer erotisch erfolgreich sein wolle, müsse fiesen Mund- und Schweißgeruch unbedingt vermeiden. Ganz so überflüssig scheinen diese Hygiene-Tipps nicht gewesen zu sein. Und als Ausdruck einer kultivierten Urbanität in amourösem Kontext spiegeln sie kaum den Alltag der meisten Menschen im Römischen Reich wider. Der Realität entspricht eher das, was Seneca als »alte Gewohnheit der Stadt« beschreibt: Nach der Arbeit wusch man sich Arme und Beine, ein Vollbad nahm man aber nur an Markttagen, d. h. alle neun Tage. Aus Sicht von Elite-Angehörigen der Kaiserzeit waren das immundissimi, »schlimmste Dreckspatzen«; für einfache Leute galt die »Regel« indes unvermindert fort. Morgens eine Handvoll Wasser ins Gesicht, den Mund ausspülen und abends das Abwaschen von Staub und Deck – darauf dürfte sich die Körperpflege der meisten Römerinnen und Römer beschränkt haben.

Zwar stand Wasser in den meisten Städten, vor allem in Rom selbst, reichlich zur Verfügung. Rein rechnerisch flossen im 2. Jahrhundert 500 Liter Wasser jeder Person in der Hauptstadt pro Tag »zu«. Aber es floss nur bei den wenigsten in der Wohnung aus dem Wasserhahn. Der direkte Wasseranschluss war ein vom Kaiser gewährtes – nicht vererbbares – Vorrecht; man schätzt die Zahl der Privilegierten in Rom auf wenige Tausend Menschen – bei einer Gesamtbevölkerung von einer Million. Die anderen Bürger mussten sich ihr Wasser aus Laufbrunnen holen. Der Weg dahin dauerte allerdings nur wenige Minuten. Das über Aquädukte in die Stadt geführte Quellwasser war frisch und für alle zum Nulltarif zu haben. Das war eine beachtliche »Sozialleistung«, die als zivilisatorisches und hygienisches Plus nicht gering zu schätzen ist. Gleichwohl war es mühsam, das benötigte Trink- und Brauchwasser vielfach mehrere Etagen hoch in die Wohnungen zu schleppen.

Wer ausgiebig baden wollte, dem standen in allen Städten architektonisch eindrucksvolle, pompöse Thermen mit Kalt-, Lauwarm- und Warmwasserbereich sowie Saunen zur Verfügung. Die Kaiserthermen in Rom waren repräsentative, mit edlen Kunstwerken geschmückte Badepaläste – Zeugen einer Wasserkultur, die die Notwendigkeit der Körpersäuberung und das Vergnügen an warmen Bädern mit einem eindrucksvollen kulturellen Erlebnis verbanden. Der Eintritt war frei, sodass manchmal von einer »demokratischen« Badekultur die Rede ist. Das nährt allerdings falsche Vorstellungen. Zum einen besaßen die wirklich Reichen eigene Thermen in ihren Stadt- und vor allem in ihren Landvillen, die sie vor der Hauptmahlzeit am frühen Nachmittag regelmäßig aufsuchten. Zum anderen lag die Gesamtkapazität aller stadtrömischen Thermen in der maximalen Ausbaustufe bei höchstens 25.000 Badegästen gleichzeitig. Die Vorstellung, dass sich »die« Römer jeden Tag oder auch nur alle paar Tage ein Thermenvergnügen gönnen konnten, ist deshalb schon aus kapazitären Gründen illusorisch. Hinzu kommt, dass das Gros der Menschen für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Ein mehrstündiger Aufenthalt in einem der schicken »Badetempel« war so mit einer empfindlichen Lohneinbuße verbunden. Fazit: Ein Thermenbesuch war für die kleinen Leute nur ein paar Mal im Jahr »drin«.

Eine – wenn auch sehr bescheidene – Alternative stellten Badestuben, balnea, dar. Sie boten deutlich weniger Komfort und wurden kommerziell betrieben – sozusagen für das Bad zwischendurch. »Sie dienen dem Nutzen und nicht dem Vergnügen«, stellt ein römischer Beobachter fest. Aber sie waren eine hygienische Erfolgsgeschichte: Zählte man im 1. Jahrhundert v. Chr. in Rom noch 160 balnea, so stieg ihre Zahl im 4. Jahrhundert auf fast 900.

Wie hygienisch waren römische Thermen? An modernen Standards darf man sie sicher nicht messen. Dass sich offensichtlich kranke Leute oder Badegäste mit offenen Wunden in den Badebecken tummelten, dürfte aufgrund funktionierender Sozialkontrolle weitgehend auszuschließen sein. Und es war außerordentlich hilfreich, dass stets frisches Wasser nachlief. Ein stetiger Wasseraustausch war dadurch gewährleistet und ersetzte chemische Zusätze in gewissem Umfang.

Vom Wasser zum Abwasser. Genauer gesagt: zur Entsorgung von Fäkalien. Nur wenige Wohnungen – hauptsächlich die Häuser und Paläste der Wohlhabenden – verfügten über eigene Latrinen. Ein Teil von ihnen war an die Abwasser-Kanalisation angeschlossen, die in vielen römischen Städten gerade auch von Griechen als bedeutender zivilisatorischer Fortschritt bewundert wurde. Die meisten Römerinnen und Römer waren auf öffentliche Latrinen angewiesen, in die sie auch die Inhalte ihrer matellae entleerten. Auch wenn sie in vielen modernen Beschreibungen römischen Alltagslebens keine Erwähnung findet und lexikalisch im Lateinunterricht kaum vorkommt, war die matella, der »Nachttopf«, ein unabdingbares Requisit in allen Haushalten.

Römische Latrinen waren Mehrsitzer für manchmal mehrere Dutzend Besucherinnen und Besucher – erstaunlicherweise im Unisex-Look ohne Geschlechtertrennung und ohne Trennwände. Zur Reinigung diente ein an einem Holzstab befestigter Schwamm, den man in eine vor den Sitzreihen verlaufende Rinne mit fließendem Wasser tauchte. Natürlich gab es auch bei den Römern »Ferkel«, die ihre Notdurft – trotz mancher an Wände geschriebener Warnung wie cacator, cave malum! – »Kacker, pass auf, dass dir nichts Böses widerfährt!« – in der Öffentlichkeitverrichteten. Aber das waren wohl ebenso Ausnahmen wie die berüchtigte Entleerung der matella in hohem Bogen aus dem Fenster. Da hielt die Einsicht die meisten vor der bequemen Versuchung zurück: Wer heute ein ekliges Wurfgeschoss abfeuerte, konnte am nächsten Tag selbst Opfer einer fremden Guss-Attacke werden …

Die angeblich am Straßenrand für urinierende Männer aufgestellten Amphoren entspringen eher der Fantasie des 19. Jahrhunderts; belastbare literarische oder archäologische Quellenbelege gibt es dafür nicht. Anders, was die sogenannte römische Prachtlatrine angeht. Die gab es tatsächlich seit dem 1. Jahrhundert. Damals begann die Elite, sich beim Latrinengang von den »Normalos« abzugrenzen, indem man das sonst wenig einladende Ambiente mit viel Licht und Luft, mit edlen Materialien wie Stuck und Marmor, Kunstwerken und Wasserspielen zu einem Raum »gehobenen« Defäkierens nobilitierte. Dort war man unter sich, manchmal sogar mit namentlich gekennzeichneten Sitzplätzen – sozusagen das Pendant zum Stammtisch.

Über die Qualität der Siedlungshygiene in römischen Städten gehen die Ansichten der Wissenschaftler weit auseinander. Sicher ist, dass die Straßen bei Weitem nicht so verdreckt und mit Abfall überhäuft waren wie in den Städten des Mittelalters. Dafür sorgte schon eine kontinuierliche Straßenspülung durch das Überlaufwasser der öffentlichen Zapfstellen. Allerdings darf man sich die Straßen und Plätze nicht so geradezu »klinisch« sauber vorstellen, wie es viele Rekonstruktionsbilder suggerieren. Da hat oft eine falsche Ehrfurcht vor der »Klassik« den Pinsel geführt oder die PC-Animation gelenkt. Eine regelmäßige Müllabfuhr lässt sich weder für Rom noch für andere Städte nachweisen. Das wenig appetitliche »Entsorgen« von Abfällen einschließlich Tierkadavern in den Tiber ist dagegen vielfach bezeugt. Der Fluss war in der Kaiserzeit im Stadtgebiet Roms sehr stark verschmutzt. Eine, anachronistisch ausgedrückt, »nachhaltige« Mentalität war die Sache der Römer nicht – nicht in der Siedlungshygiene und auch nicht in anderen Bereichen.

Im Verhältnis zu den Toten hielt man auf Distanz. Innerhalb der sakralen Stadtgrenze, des pomerium, durften sie nicht bestattet werden; die Krematorien lagen ebenfalls außerhalb des pomerium. Neben magisch-religiösen Gründen spielten wohl auch hygienische Überlegungen eine Rolle bei dieser schon im 5. Jahrhundert v. Chr. gesetzlich fixierten Bestimmung.

Auch wenn die meisten Wohnungen sehr klein und viele überbelegt waren, kannte das antike Rom keine Slums. Das kam der Gesundheit der Bevölkerung auch in Zeiten von Epidemien zugute. Allerdings war die antike Medizin weit davon entfernt, die Übertragungswege von Infektionskrankheiten gut zu durchschauen. Eine systematische Isolierung infektiöser Kranker oder gar eine Quarantäne wurde nicht praktiziert. Das Leben auf dem Land, wo rund 85 Prozent der Menschen lebten, war in dieser Hinsicht aufgrund der »Vereinzelung« gesünder. Über die hygienische Situation der einfachen Landbewohner, die nicht in den schmucken Landhäusern der Großgrundbesitzer wohnten, lässt sich mangels Quellen wenig sagen.

Der kurze Überblick über die Hygiene bei »den« Römern zeigt Licht- und Schattenseiten und starke – auf der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen basierende – Unterschiede. Gegenüber späteren Epochen des Mittelalters und der frühen Neuzeit war das, was wir heute unter Hygiene verstehen, in römischer Zeit sicher deutlich weiterentwickelt. Die griechische Göttin Hygieia wurde als Hygia – oder normalerweiselateinisch als Salus – zwar auch von den Römern verehrt. Aber diese kultische Verehrung galt ihr als der personifizierten allgemeinen »Gesundheit«. Was den spezifischen Bereich der Hygiene angeht, blieben bei der Göttin sicher noch Wünsche offen.

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2022 – 1/2023.